• 14.09.2016 11:26

  • von Scott Mitchell (Haymarket)

Was wir von den Formel-E-Testfahrten gelernt haben

Die Formel E war zuletzt sechs Tage in Donington unterwegs: Hier sind sieben Dinge, die wir von den Testfahrten auf der britischen Strecke gelernt haben

(Motorsport-Total.com) - Meistens wird die Formel E 2016/2017 nicht auf Strecken wie Donington ausgetragen, von daher sind Schlussfolgerungen aus den letzten Testtagen bis zur Saisoneröffnung am 9. Oktober in Hongkong schwierig. Dennoch gab es einige Einblicke: Es wurde gezeigt, wie sich das Kräfteverhältnis der Teams in etwa darstellen könnte, welche Veränderungen zwischen den Saisons aufgetreten sind und welche neuen Herausforderungen vor den Teams liegen. Hier sind sieben Punkte, die sich bei den Testfahrten in Großbritannien erkennen ließen.

Titel-Bild zur News: Felix Rosenqvist

Die Formel E hat ihre Testfahrten in Donington mittlerweile beendet Zoom

1. Renault ist die Messlatte

Nachdem der Renault Z.E.15 Sebastien Buemi zur Fahrer- und e.dams zur zweiten Teammeisterschaft in Folge geführt hat, steht der französische Hersteller nun in der Pflicht, dort weiterzumachen, wo er aufgehört hat. Im vergangenen Jahr war Renault Vorreiter bei einer Heckarchitektur, die auf einen niedrigen Schwerpunkt abgezielt hat. Der Inverter wurde von über der Batterie nach weiter unten verlagert, zudem half ein Karbongehäuse für das Getriebe Gewicht zu sparen.

Renaults Vincent Gaillardot fasst die Aufgabe bei der Entwicklung des Z.E.16 geschickt als "Optimierung des Antriebs" zusammen. Laut ihm wusste man, welche Bereiche man verbessern muss. Dass man von zwei auf einen Gang gewechselt ist, sollte die größte Veränderung sein - verbessert hat man sich deutlich. Der Z.E.16 war das Maß aller Dinge, wenn es in Donington um 200kW-Runden ging.

Buemi konnte die sechs Tage mit einem neuen Rundenrekord abschließen (der ersten Formel-E-Runde unter 1:29 Minuten in Donington), obwohl der Schweizer und Teameigner Jean-Paul Driot betonen, dass schnelle Zeiten keine Priorität genossen. "Im ersten Jahr fuhren wir alle schnellsten Runden, trotzdem konnte ich die Meisterschaft nicht gewinnen, von daher interessiert mich das nicht wirklich", sagt Buemi.

Driot sagt Ähnliches: "Ob ich der König von Donington bin, interessiert mich nicht. Ich möchte König von Hongkong sein. Wir sind hier, um zu testen - und das nicht nur die Performance über eine Runde. Es gibt so viele Parameter zu bedenken, und man braucht Zeit, um alle zu checken." Ein anderer beeindruckender Bereich des Renault-Teams waren die gefahrenen Kilometer. Man war nicht nur schnell, man konnte auch viele Runden fahren. Man konnte mehr Rennsimulationen als alle anderen fahren, was sich in beeindruckenden Zeiten niederschlägt.


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Gefahrene Runden:
1. Renault e.dams 572
2. DS Virgin 510
3. Abt 502
4. Mahindra 478
5. Jaguar 464
6. Andretti 441
7. Techeetah 424
8. NextEV 398
9. Dragon 391
10. Venturi 389

2. Techeetah sorgt als Kundenteam für Staunen

Techeetah-Teamchef Mark Preston nennt es eine "interessante Fallstudie". Es wird mehr als das: Zwei Teams werden den besten Antrieb in dieser Saison fahren. Renaults Belieferung des ehemaligen Aguri-Teams war das Gesprächsthema der Testfahrten, weil Jean-Eric Vergne an drei der sechs Tage Schnellster war und bei der schnellsten Zeit nur ganz knapp von Buemi geschlagen wurde.

Techeetahs Renault-Deal geht zurück auf Anfang 2016, als der damalige Aguri-Boss Preston einen Antriebshersteller suchte, weil das Team nicht wirklich in Erwägung gezogen hatte, seinen eigenen zu entwickeln. In der zweiten Saison fuhr man noch mit dem Originalantrieb der Serie. Die neuen chinesischen Eigentümer hatten schließlich kaum eine Wahl mehr. Man hatte zwar viele offene Optionen, aber es wäre verwunderlich gewesen, wenn man einen anderen Hersteller außer Renault gewählt hätte.

Weil man kein eigener Hersteller ist, konnte Techeetah sein eigenes Auto lediglich in der Woche vor den Testfahrten in Donington zum Shakedown bitten. Die Testfahrten waren daher wichtig. "Die Jungs haben noch nie am Auto gearbeitet", stellt Vergne klar. Doch egal: Vergne war bereits am zweiten Tag Schnellster und war auch an den ersten beiden Tagen der zweiten Testwoche ganz oben.

Jean-Eric Vergne

Jean-Eric Vergne war die Überraschung beim neuen Techeetah-Team Zoom

Der Franzose wirkt nach dem schwierigen Jahr bei DS Virgin wie neugeboren, und bei Techeetah sah es so aus, als könnte man sehr schnell das Beste aus dem vorhandenen Paket herausholen. "Es ist immer noch ein langer Weg bis nach Hongkong, aber ich bin zuversichtlich, dass wir große Dinge dort erreichen können", sagt Vergne. "Im vergangenen Jahr waren die Leute, die in Donington schnell waren, das ganze Jahr über schnell."

3. Diese Saison sollte ein ultraharter Wettbewerb herrschen

Donington wird oft als nicht repräsentativ kritisiert, trotzdem gibt es zweifellos Anzeichen für das Kräfteverhältnis. Am letzten Testtag - der letzten Chance vor dem Shakedown in Hongkong - fuhr jedes Team Minuten vor dem Ende eine Runde mit voller Leistung. Acht von zehn Teams konnten unter die Marke von 1:30 Minuten gelangen, im Vorjahr schaffte dies nur Lucas di Grassi. 13 Fahrer lagen dabei innerhalb von einer Sekunde.

Die zwei anderen waren Jaguar, die als Neuling nicht auf Performance gegangen waren, weil sie so viel zu lernen hatten, und Venturi, die bislang Zuverlässigkeitsprobleme bei den Testfahrten hatten. Und selbst diese beiden Teams waren nur einen Bruchteil von der Pace weg.

Schnellste Runden (nach Team)
1. Renault e.dams (Sebastien Buemi) 1:28.910 Minuten
2. Techeetah (Jean-Eric Vergne) 1:29.109
3. DS Virgin (Sam Bird) 1:29.205
4. Dragon (Loic Duval) 1:29.395
5. Abt (Daniel Abt) 1:29.422
6. Mahindra (Felix Rosenqvist) 1:29.713
7. NextEV (Oliver Turvey) 1:29.717
8. Andretti (Robin Frijns) 1:29.981
9. Jaguar (Mitch Evans) 1:30.061
10. Venturi (Stephane Sarrazin) 1:30.121

In Qualifying-Simulationen in Donington trennte das Feld also nur etwas mehr als eine Sekunde. Wenn man bedenkt, dass die reine Pace eine volle Sekunde schneller als im vergangenen Jahr ist, dann ist das angesichts der unveränderten Performance-Parameter beeindruckend. Zudem kann man annehmen, dass die hinteren drei Teams in Hongkong näher dran sein werden, da zwei Probleme mit der Zuverlässigkeit hatten und Jaguar die Hosen am wenigsten heruntergelassen hat.


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Und wenn wir zu den kürzeren Straßenkursen kommen, die normalerweise in der Formel E vorhanden sind, dann sollte sich der Abstand natürlicherweise verringern. Interessanter sind die Longrun-Daten, die vier Teams als Spitzenkandidaten in Position bringen. Wenn man die längsten Runs von jedem Team nimmt und Dragon ignoriert, weil diese ein ähnliches Design wie Mahindra haben, aber auf kürzere Runs gesetzt haben, denn ergibt sich Folgendes:

Longrundurchschnitt (Länge des Stints)
1. Techeetah (Vergne) 1:33,4 Minuten (9 Runden)
2. Abt (di Grassi) 1:33,6 (10 Runden)
3. Renault e.dams (Buemi) 1:34,2 (10 Runden)
4. DS Virgin (Bird) 1:34,3 (9 Runden)
5. Mahindra (Rosenqvist) 1:35,0 (8 Runden)
6. Andretti (Felix da Costa) 1:35,0 (6 Runden)
7. Jaguar (Evans) 1:35,1 (9 Runden)
8. NextEV (Piquet) 1:35,4 (9 Runden)
9. Venturi (Sarrazin) 1:35,8 (10 Runden)

Natürlich wissen wir nicht, mit welchen Energieleveln jedes Auto den Run abgeschlossen hat, von daher sind die Daten mit Vorsicht zu genießen. Beispielsweise wäre Buemis 0,8-Sekunden-Durchschnitt gegenüber Vergne schon einfach erklärt, wenn er am Ende des Stints zehn Prozent mehr Energie in seiner Batterie gehabt hätte.

4. Ein Team behält Doppelmotor, das andere nicht

Die Getriebetechnologie hat sich in der zweiten Saison der individuellen Antriebe angeglichen. Das ist aber nicht überraschend, da Teams herausfinden, was bei der neuen Technologie funktioniert und was nicht. Verschwunden sind die Vierganggetriebe, weil Teams wie Renault jetzt wohl auf einen Gang setzen - anderswo sind zwei Gänge die Norm.

Teams haben in der vergangenen Saison noch den Gangbereich kennengelernt, jetzt haben die Verbesserungen am Motor die Notwendigkeit der Gangwechsel aufgehoben. Weniger Wechsel bedeuten auch weniger Schwingungen, was Bremsstabilität erhöht und die Beschleunigung nicht unterbricht.

Nelson Piquet Jun.

NextEV setzt wohl als einziges Team weiter auf einen Doppelmotor Zoom

Eine der großen Fragen war, ob NextEV und DS Virgin ihren Doppelmotor aus der letzten Saison fallen lassen würden, weil diese schwer und problematisch waren. NextEV sah sich in der Lage, das System zum Funktionieren zu bringen. Man hat weiter zwei Motoren, allerdings ähnlich verpackt, wie es DS Virgin in der Vorsaison hatte.

Zwar hat man beim Testen sein Programm durchgezogen und nur am letzten Nachmittag kurzzeitig eine Qualifying-Simulation als halbwegs repräsentativ gezeigt, doch man kann deutlich sehen, dass man im Vergleich zum Vorjahr weit voraus ist. Die Vorbereitung auf die Saison 2016/2017 war verglichen mit dem desaströsen Auftritt vor einem Jahr ein Unterschied "wie Tag und Nacht", wie NextEV-Präsident Martin Leach meint.

Obwohl DS die Gewichtsprobleme besser als sein chinesischer Rivale in den Griff bekam, sind sie wohl auf einen Motor zurückgewechselt. "Alle nähern sich beim Design des Autos weiter an", sagt DS Virgins Technikchef Sylvain Filippi. "Das Gewicht war das Problem unseres Autos. Wenn wir es ohne das Gewicht machen könnten, wäre es eine richtig gute Lösung. Dieses Jahr haben wir uns enorm auf das Gewicht konzentriert. Das limitiert in gewisser Weise deine Optionen, allerdings gibt es ein paar Wege, um die notwendige Power zu bekommen."

5. Komplexe Lenkräder geben ihr Debüt

Nachdem die privaten Testfahrten im Sommer mit alten Lenkrädern stattfanden, wurden die Teams in Donington mit neuen Kits ausgestattet. Die neuen Lenkräder haben eine erhöhte Funktionalität, man kann mehr auf die Displays packen. Aber mit erhöhter Funktionalität kommt auch mehr Komplexität. Für die Teams war es komplizierter, die Lenkräder gut zum Funktionieren zu bekommen. Einige waren in Sorge, dass in Hongkong schon ein kleines Problem eine ganze Trainingssitzung kosten könnte.

Doch mit der gelösten Zuverlässigkeit - und das war am letzten Tag bei fast allen der Fall - ist das Lenkrad nun eine Art Tor, um das versteckte Schlachtfeld der Formel E in die Höhe zu treiben. Software ist in der Meisterschaft frei. Während die Antriebe homologiert sind, können die Teams kleinere Anpassungen auf der Elektronikseite vornehmen. Und weil ein perfektes Rennen in der Serie mehr Wert hat als reiner Speed, sind zusätzliche Optionen in einem Rennevent (dank des Lenkrads) eine schärfere Waffe.

"Auf dem Lenkrad gibt es mehr von allem - mehr 'Torque Maps', mehr Maps für die Rückgewinnung", so Filippi. Teams können nun feinere Unterschiede zwischen den Maps haben und so näher an das perfekte Setup für jeden Kurs herankommen. "Wenn man die Ressourcen für Simulatorarbeit hat", unterstreicht Filippi. "Es hilft dabei, besser auf Strategien bei Rennevents zu reagieren. Je mehr man reagieren kann, desto besser. Es ist nichts Brandneues, es ist einfach mehr Arbeit."


Formel-E-Test in Donington

"Der Fokus wird noch mehr auf den Fahrern liegen. Sie werden den Unterschied ausmachen. Wird es ein Software-Krieg werden? Ich weiß nicht...", so Filippi. Zusätzlich zum neuen Lenkrad gibt es auch neue Michelin-Reifen. Ein Satz ist fünf Kilogramm leichter und bietet weniger Rollwiderstand, was der Effizienz zuträglich ist. Das Feedback war gemischt. Einige Fahrer haben sich beschwert, dass die Hinterreifen ein wenig schlechter sind, außerdem sorgt die längere Haltbarkeit für Unterschiede beim Aufwärmen und dem Grip-Peak.

6. Mit Roborace in die Zukunft schauen

Ob man es mag oder nicht, fahrerlose Rennautos kommen. Das erste Entwicklungsfahrzeug für das autonome Rennauto von Roborace fuhr beim ersten Test in Donington erstmals in der Öffentlichkeit. Die Maschine hatte die fahrerlose Technologie von Roborace sowie einen Elektroantrieb in einem LMP3-Chassis von Ginetta verbaut.

Erstmals war "DevBot" am zweiten Tag der Testfahrten zu sehen und drehte ein paar Stopp-Start-Runden mit einem Ingenieur am Steuer, bevor das Auto selbstständig fast eine Runde fuhr. DevBot wurde zuvor nur privat getestet, inklusive einem Auftritt hinter verschlossenen Türen in Silverstone. Seine Performance war aber nicht atemberaubend. Es soll etwa bereits einige autonome Fahrzeuge geben, die auf amerikanischen Anlagen deutlich schneller waren.

DevBot

Der autonome DevBot gab in Donington sein Debüt in der Öffentlichkeit Zoom

Was allerdings beeindruckend war, war wie schockiert die Paddock-Insider in der Formel E waren, als es fuhr. Selbst jene, die das technologische Wunder eines autonomen Fahrzeugs begrüßen, waren äußerst misstrauisch darüber, dass ein Roborace-Auto jeglicher Art je auf die Strecke gehen würde. Jetzt ist es passiert - und das in relativ kurzer Zeit. Das Konzept wurde erst im vergangenen November vorgestellt.

Geschichte wurde geschrieben, aber was kommt jetzt? Der Plan sieht vor, dass Roborace im Rahmen der Formel E stattfindet. Allerdings ist unklar, wann ein Prototyp des endgültigen Designs (das kein Cockpit für einen menschlichen Fahrer besitzt) auf die Strecke gehen oder bei einem Formel-E-Event auftauchen wird. Aber man kann sagen, dass selbst die größten Zweifler des Konzepts akzeptieren, dass es nicht so einfach wieder verschwinden wird.

7. Liegt die Zukunft der Formel E nicht in Donington?

Nimmt man die Kritik der Fahrer und Teams an Donington, dann ist die News über eine unwahrscheinliche Rückkehr keine Überraschung. Der britische Kurs fungierte seit 2014 als Basis für die zehn Teams und als operatives Hauptquartier der Meisterschaft. Als Teil der Vereinbarung hielt man in den ersten drei Saisons auch die gemeinsamen Testfahrten ab, viele davon waren für die Fans kostenfrei zugänglich.

Aber im nächsten Sommer wird es für die Teams nicht mehr Pflicht sein, an der Strecke stationiert zu sein. Und da viele die unmittelbare Abreise anstreben, schwächt sich auch Doningtons Position in Sachen Testfahrten. Für die auf Straßenkursen basierende Meisterschaft wird sie als nicht repräsentativ angesehen, weil sie glatten Asphalt und niedrige Randsteine besitzt, aber weil alle Teams zu Beginn dort stationiert waren, war es die logischste Wahl.


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Die Meisterschaft diskutiert nun, welche anderen Optionen es für einen gemeinsamen Test gibt. Etwas zu finden, das keine permanente Rennstrecke ist, Platz für alle Teams hat, die Autos aufladen kann und Unterkunft für das Personal bietet, wird nicht einfach werden. Donington wird logistisches Zentrum bleiben, und Geschäftsführer Christopher Tate hofft, dass zumindest ein paar Teams bleiben. Angesichts der Tatsache, dass man einer der Schlüsselpartner der Formel E war, wäre es schade, wenn man in der Zukunft keine Rolle mehr spielen würde.