• 12.01.2009 11:58

  • von Stefanie Szlapka

Nissen: "Härter und schwieriger als jemals in Afrika"

Volkswagen-Motorsportdirektor Kris Nissen im Exklusiv-Interview über die Erfolge seiner Piloten und die Unterschiede zwischen Südamerika und Afrika

(Motorsport-Total.com) - Volkwagen-Motorsportdirektor Kris Nissen muss sich vorerst bei der Rallye Dakar - anders als manch einer seiner Kollegen - noch keine großen Sorgen machen. Seine Truppe ist mit einer Dreifachführung in die zweite Hälfte der Rallye gegangen. Im Exklusiv-Interview mit 'Motorsport-Total.com' sprach Nissen über die Gründe für diese Erfolg, über die Rallyepisten in Südamerika und über die Begeisterung in Argentinien und Chile.

Titel-Bild zur News: Kris Nissen und Mark Miller

Kris Nissen (hier mit Mark Miller) kann mit dem bisherigen Verlauf zufrieden sein

Frage: "Mit drei Fahrzeugen ganz vorne in der Gesamtwertung und sehr guten Tagesleistungen aller vier Piloten sind Sie mit ihren Jungs bestimmt mehr als zufrieden?"
Kris Nissen: "Natürlich sind wir bislang mit dem Verlauf der Rallye zufrieden. Wir hatten schon für die Rallye Dakar 2008, die leider abgesagt wurde, viele Abläufe und Prozesse im Team angepasst. Diese neuen Abläufe und Prozesse haben wir bei Tests und anderen Rallyes erfolgreich angewendet. Das heißt, dass wir jetzt von Anfang an viel mehr Routine im Team haben. Jeder kennt genau seinen Platz und seine Aufgaben. Wir haben jetzt auch den Überblick, wenn der Tag normal läuft, wer zusätzliche Arbeitskapazität hat und woanders eingesetzt werden kann."#w1#

"Das ist sehr gut, da man insgesamt früher fertig ist. Da haben alle im Team von Anfang an sehr gut mitgespielt und das hat sich jetzt richtig eingespielt. So lange nichts Unvorhergesehenes passiert, hat man viel Ruhe im Team. Wenn man dann auch noch so gute Ergebnisse hat wie hier, ist die Motivation sowieso hoch. Wenn in der zweiten Woche jeder seinen genauso guten Job macht, dann werden wir bis zum Schluss sehr gute Chancen auf den Sieg haben haben."

Mit den Aufgaben gewachsen

Volkswagen Servicepark

Die Arbeit im Servicepark von Volkswagen geht mit großer Routine von der Hand Zoom

Frage: "Das Team konnte in den letzten Jahren auch viele Erfahrungen sammeln. Hat das auf die neuen Abläufe Einfluss gehabt?"
Nissen: "Zu einem erfolgreichen Team gehört viel dazu: gute Fahrer, die eine Strategie einhalten. Es gehört gute Technik dazu und auch der richtige Einsatz dieser Technik. Natürlich sind wir mit unseren Aufgaben gewachsen. Das Auto ist besser, schneller und zuverlässiger geworden. Auch die Fahrer haben viel Erfahrung aufgebaut. Carlos Sainz, Dieter Depping und auch Mark Miller mussten viel lernen. Giniel de Villiers brachte mehr Erfahrung mit."

"Die ganzen Mechaniker und Techniker mussten sich auf diese große Aufgabe einstellen. Der Marathon-Rallye-Sport ist doch sehr weit weg von der normalen Rallye und noch weiter weg von der Rundstrecke. Das heißt, auch die Arbeitsbedingungen sind sehr oft nicht einfach, dafür sehr wechselhaft. Wir haben eine tolle Unterlage dabei, einen tollen Dampfstrahler, gutes Werkzeug und ein Zelt zum Arbeiten. Aber an einem Tag ist Sonne und windstill und das ist eher zu warm. Am anderen Tag ist leichter Wind und alle sind zufrieden und dann kommt ein Sturm auf und alles fliegt fast weg. Kein Tag ist wie der andere."

"Das Team ist heute in jeder Hinsicht besser geworden als noch vor vier Jahren." Kris Nissen

"Wenn man das nicht gewöhnt ist und nicht miterlebt hat, ist es schwierig sich darauf einzustellen. Wenn man aber solche Rallyes schon mehrfach absolviert hat, dann ist man darauf eingestellt, dass alles passieren kann. Wir sind jetzt auf viele Sachen vorbereitet. So arbeiten wir in einem Zelt, das komplett dicht ist, wenn wir an Fahrzeugteilen arbeiten und dabei keinen Schmutz gebrauchen können. Das Team ist heute in jeder Hinsicht besser geworden als noch vor vier Jahren und natürlich sind auch unsere Ergebnisse besser."

Härteprüfung Südamerika

"Die 30. Rallye Dakar ist härter, anspruchsvoller und schwieriger als wir es jemals in Afrika erlebt haben." Kris Nissen

Frage: "Bilden die Etappen durch Argentinien und Chilé eine neue Herausforderung?"
Nissen: "Die ersten Tage hier waren anstrengender als die ersten Tage bei der 'normalen' Afrika-Rallye. Die vergangenen Tage waren genauso schwierig wie die schwierigsten Etappen in Afrika. Da sieht man auch daran, dass ungefähr nur 20 von 80 Racetrucks noch dabei sind. Die Hälfte der Teilnehmer der Autos und Motorräder sind schon weg - genauso wie Autos aus sehr guten Teams mit sehr guten Fahrern. Das ist ja nicht, weil sie es nicht können, sondern weil die Rallye viel anspruchsvoller ist, als manche erwartet haben. Diese Rallye ist bis jetzt schon genauso hart wie die härteste Rallye, die wir je in Afrika absolviert haben. Die nächsten Tage werden nicht einfacher, eher schwieriger. Deswegen kann ich mit 100-prozentiger Sicherheit sagen: Die 30. Rallye Dakar, die zum ersten Mal in Argentinien und Chilé stattfindet, ist härter, anspruchsvoller und schwieriger als wir es jemals in Afrika erlebt haben."

Frage: "Aber auch die Atmosphäre scheint etwas Besonderes zu sein?"
Nissen: "Wenn ich von der härtesten und schwierigsten Rallye spreche, dann meine ich die Streckenführung. Wenn ich von den Randbedingungen rede, dann haben wir hier bessere Verbindungsstraßen und wir haben auch eine sehr hohe Motivation, wenn man sieht, dass bis zu 500.000 Leute die Fahrer und Servicefahrzeuge erwarten. Alle sind freundlich und es ist eine ganz andere Atmosphäre als bei einer Rallye in Afrika. Sicherlich ist es für die beiden Länder ein sehr großes Ereignis. Dazu dürfen wir nicht vergessen: Wir bewegen uns in einem Land, in dem Volkswagen sehr viele Kunden hat. Wir haben hier einen Marktanteil von über 20 Prozent. Das heißt, es stehen am Streckenrand Volkswagen-Kunden oder potenzielle Kunden. Das ist für uns natürlich ein zusätzlicher Anreiz."

Wäre Afrika noch interessant?

Carlos Sainz

Spitzenreiter Carlos Sainz in den Sanddünen Südamerikas Zoom

Frage: "Mal ganz ehrlich. Ist durch Afrika zu fahren eigentlich noch interessant?"
Nissen: "Diese Frage kann ich nur für mich beziehungsweise Volkswagen beantworten. Dann glaube ich, dass ich jetzt schon sagen kann, dass man solche Rallyes von der Spannung und den Bildern her auch woanders durchführen kann. Das heißt, dass es ein toller Erfolg ist. Ich denke, dass man daraufhin arbeiten sollte, so eine Rallye in Ländern wie diesen - mit dem passenden Terrain und einer stabilen politischen Lage - durchzuführen. Unter solchen Bedingungen kann man mit der Rallye auch 'umziehen'. Das ist aber natürlich nicht etwas, das man von Woche zu Woche machen kann. Eigentlich benötigt man mehr als ein Jahr Vorbereitung. Die ASO hat es in ungefähr zehn Monaten hinbekommen."

"Ein Vorteil war, dass Argentinien und Chile Motorsportländer sind und schon viele Erfahrungen mit Rallyes haben. Wenn man so eine Rallye in China oder Russland durchführen würde, hätte man mit Sicherheit das Gelände, aber weniger Struktur und dadurch noch mehr Vorbereitung. Hier arbeiten auch viele lokale Kräfte mit, zum Beispiel beim Aufbau des Biwak, bei den Kontrollen und so weiter."

Frage: "Wenn man einmal davon ausgeht, dass die Rallye Dakar in den nächsten Jahren in Südamerika bleibt, müsste man die Rennwagen neu entwickeln?"
Nissen: "Nein! Was uns betrifft, kann ich das bisher nicht sagen. Jetzt müssen wir die zweite Woche abwarten. Aber wir sind mit dem Race Touareg bisher sehr zufrieden. Ich glaube nicht, dass die Konkurrenz, die schon einige Schwierigkeiten gehabt hat, damit Probleme hätte. Ich denke eher, dass sie zu Beginn ein zu hohes Tempo eingegangen ist."