• 28.12.2009 15:26

  • von Britta Weddige

Der Verrückte und der Arbeiter

Das VW-Duo Nasser Al-Attiyah und Timo Gottschalk gehört bei der Dakar 2010 zu den Favoriten - Aus der ungleichen Paarung wurden schnell Freunde

(Motorsport-Total.com) - Er gehört zu den großen Favoriten bei der Rallye Dakar, die am Neujahrstag 2010 in Buenos Aires startet: Nasser Al-Attiyah. Der Katari führte den Wüstenklassiker im vergangenen Januar im BMW des X-raid-Teams an, bis er vorzeitig ausschied. Nun hat Al-Attiyah einen neuen Arbeitgeber: Seit dem Frühjahr ist er Volkswagen-Werkspilot.

Titel-Bild zur News: Nasser Al-Attiyah, Timo Gottschalk

Neue Paarung bei VW: Nasser Al-Attiyah und Co-Pilot Timo Gottschalk

Im Race Touareg macht sich Al-Attiyah auf, für Volkswagen den nächsten Dakar-Sieg zu holen. Navigiert wird er dabei vom Berliner Timo Gottschalk. Eigentlich sind die beiden ein ungleiches Duo: Al-Attiyah gilt als verrückter Vogel, Gottschalk als eher ruhiger Zeitgenosse. Doch die beiden sind schnell mehr geworden als nur Kollegen, sie sind Freunde. Ihren ersten gemeinsamen Auftritt hatten sie Ende Juni bei der Rallye dos Sertões in Brasilien, bei der sie den zweiten Platz belegten. Nun steht das Abenteuer Dakar an, über das Al-Attiyah und Gottschalk im Vorfeld ausführlich gesprochen haben.#w1#

Frage: "Nasser, wie gut hast du dich im Team eingefunden?"
Nasser Al-Attiyah: "Ich habe zu dem Team schon lange eine gute Beziehung, auch zu den Fahrern und Co-Piloten. Timo erinnert sich vielleicht noch - wir hatten ein gutes Rennen in Ungarn."
Timo Gottschalk: "Ja, da haben wir gegeneinander gekämpft..."
Al-Attiyah: "Wir waren in jeder Prüfung eng beieinander. Von da ab standen wir in Kontakt. Nach der Dakar 2009 wurde ich von VW eingeladen. Es war für eine lange Zeit mein Traum, in einem Werksteam zu fahren. Der Traum wurde wahr und ich habe die vergangenen Rennen wirklich genossen. Ich hatte das Gefühl, Timo und das Team schon lange zu kennen. Das war ein tolles Gefühl."

"Wir haben das Gefühl, dass wir das große Rennen gewinnen können." Nasser Al-Attiyah

Frage: "Arbeitet ihr gut zusammen?"
Al-Attiyah: "Ja, sehr gut! Timo arbeitet immer sehr professionell. Ich habe schon mit vielen Co-Piloten zusammengearbeitet, aber so wie er arbeitet, das habe ich vorher noch nie gesehen - wie er die Karte vorbereitet und wie er plant. Es macht es mir jeden Tag sehr leicht. In Brasilien haben wir sechs der neun Prüfungen gewonnen, die Seidenstraßenrallye haben wir bis zu unserem Unfall angeführt. Wir haben das Gefühl, dass wir das große Rennen gewinnen können."

Frage: "Timo, was magst du an Nasser?"
Gottschalk: "Für mich war es vom ersten Moment an etwas sehr Spezielles. Ich kenne ihn seit einigen Jahren und ich weiß, dass er ein sehr schneller Fahrer ist. Für mich war es eine neue Herausforderung. Dieter (Depping - sein bisheriger Pilot; Anm. d. Red.) war ein guter Freund und wir verstanden uns sehr gut. Nasser war für mich ein komplett neuer Fahrer und ich musste auf Englisch wechseln."

"Schon nach der ersten Etappe dachte ich: Das klappt gut!" Timo Gottschalk

"Ich habe immer versucht, mein Bestes zu geben. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass ich mehr geben muss, als ich kann. Ich versuche, mich zu verbessern. Ich war überrascht, als es in Brasilien von den ersten Prüfungen an gut funktioniert hat. Schon nach der ersten Etappe dachte ich: Das klappt gut!"
Al-Attiyah: "Wir haben diese Etappe gewonnen. Das war ein guter Start."
Gottschalk: "Ich war so nervös. Mein Herz hat geklopft wie verrückt. Nach der Prüfung habe ich mich sicher gefühlt."

Frage: "Nasser, wie fühlst du dich nun vor der Rallye Dakar?"
Al-Attiyah: "Ich bin sehr glücklich, denn das Programm von VW war sehr gut für mich. Da stecken professionelle Leute dahinter, das macht es für mich als Fahrer sehr einfach. Ich komme, mache meinen Job - das ist sehr wichtig für einen Fahrer, den Co-Piloten und auch für das Team. Wir müssen uns jeden Tag Gedanken machen, wie wir den Wagen in einem guten Zustand halten. Den Wagen zu beschädigen, die Mechaniker arbeiten zu lassen, das will ich nicht. Wir müssen alle einen guten Job machen.VW ist ein professionelles Team und das ist für mich das erste Mal, dass ich in so einem Team bin."

Endlich im Werksteam

Frage: "Früher warst du der Herausforderer von VW. Wie fühlt es sich an, jetzt für den großen Gegner von früher zu fahren?"
Al-Attiyah: "Ich war drei Jahre im Team BMW X-raid. Wenn du ein Ziel hast, machst du dir viele Gedanken. VW war immer an der Spitze. Das Team, für das ich vorher gearbeitet habe, war kein Werksteam, eher privat. Das war etwas ganz anderes. Hier muss ich jedem zeigen, dass wir gewinnen können. Das ist nicht immer einfach. Wie ich gesagt habe: Du brauchst den Fahrer, die Mechaniker, man braucht einen Plan, das Team - alle zusammen. Das habe ich hier im Volkswagen-Team gefunden. 2009 habe ich bei der Dakar gegen Carlos Sainz und Giniel de Villiers gekämpft. Dann kam das technische Problem und wir mussten aufhören. Danach habe ich die Chance bekommen, bei VW zu fahren. Da habe ich sofort ja gesagt."

Nasser Al-Attiyah

Auch bei der Seidenstraßenrallye lagen Al-Attiyah/Gottschalk vorn Zoom

Frage: "Ist die Herausforderung nun größer, da deine Gegner von früher nun im selben Auto sitzen?"
Al-Attiyah: "Ja. Bei den letzten Rennen konnte ich viele Prüfungen gewinnen und das mit viel weniger Erfahrung. Nach den Tests in Marokko habe ich nun viel mehr Erfahrung, wir haben viel trainiert und ich habe mehr Erfahrung mit Timo gesammelt. Wir stehen kurz vor einem guten Rennen bei der Dakar und wir können auch gewinnen."

Frage: "Wird sich an deinem Fahrstil oder deiner Taktik etwas ändern?"
Al-Attiyah: "Man entwickelt sich immer weiter - bei jeder Rallye. Ich habe mich sehr schnell mit diesem Team weiterentwickelt, da ich in diesem Wagen einfachere Bedingungen vorfinde. Ich verliere hier nicht so viel Energie. Bei dem anderen Team gab es zum Beispiel keine Klimaanlage. Wenn wir jetzt aus den Autos gekommen sind, waren wir komplett trocken und sauber. Das war ein gutes Gefühl. So konnte ich jeden Tag Kraft sparen und einen guten Job machen."

Frage: "Wie ist der TDI im Vergleich zu einem Benziner?"
Al-Attiyah: "Mit dem Dieselmotor schaltest du bei recht niedrigen Drehzahlen nicht wie beim Benziner. Bei mir ist es so: Wenn ich in ein beliebiges Auto steige, bekomme ich schnell ein Gefühl dafür. Das ist kein Problem für mich. Aber ich habe mit diesem Wagen sehr viel Spaß. Mit niedrigen Drehzahlen bist du sehr schnell."

Der Verrückte aus Katar

Frage: "Was sagst du zu deinem Image, der verrückteste Fahrer von allen zu sein?"
Al-Attiyah: "Für mich ist das kein Problem. Ich liebe es, den Zuschauern Action zu bieten - das ist sehr wichtig für den Motorsport. Du kommst damit schneller an die Leute heran. Es ist, wie es schon Collin McRae gesagt hat: Ohne Action wäre es keine Rallye."

Nasser Al-Attiyah

Nicht nur im Cockpit haben die beiden schnell einen Draht zueinander gefunden Zoom

Frage: "Und Timo, ist es für dich nicht schlimm, mit dem Verrücktesten von allen im Auto zu sitzen?"
Gottschalk: "Wir sind zum ersten Mal bei einem Test in Ungarn zusammen gefahren. Nach drei Schleifen habe ich gesagt, dass er komplett verrückt ist und dass ich das nicht aushalte. Nach fünf weiteren Schleifen war ich sicher, dass er weiß, was er tut und dass es funktioniert."

Al-Attiyah: " Wenn ich ins Auto steige, auch wenn ich einen Co-Piloten habe, gebe ich mein Bestes und Vollgas. Aber ich weiß nicht, wie sich der Beifahrer dabei fühlt. Ich warte darauf was er sagt..."
Gottschalk: "Er hat mich auf die Probe gestellt..."
Al-Attiyah: "Wenn ich richtig pushe, habe ich viel Spaß. Es ist wie bei einem Pferd. Wenn du es die ganze Zeit zurückhälst, fühlt es sich nicht gut. Aber wenn du es laufen lässt..."

Frage: "Timo, wie ist Nasser im Vergleich mit anderen Fahrern, ist sein Fokus stärker?"
Gottschalk: "Ich denke, dass er weiß, wann er sich konzentrieren muss und wann er relaxen kann. Er ist in der Lage, sich seine Energie einzuteilen."
Al-Attiyah: "Wir haben immer etwas Reserve."

Frage: "Geht ihr beide sehr kontrolliert an die Sache?"
Al-Attiyah: "Während des Fahrens geben wir 100 Prozent, daneben haben wir viel Spaß und lachen."

Gegenseitiges Vertrauen

Frage: "Wie lange hat es gedauert, bis ihr euch gegenseitig vertraut habt?"
Gottschalk: "Ich habe ihm schnell vertraut. Wie gesagt: Auf den ersten Schleifen beim Test in Ungarn hatte ich etwas Angst. Aber je mehr man zusammen fährt, um so mehr weiß man, was er machen kann. Du fühlst dich sicherer und kannst dich mehr auf deinen Job konzentrieren. Er weiß, was er tut und ich muss mich auf das konzentrieren, was ich tue."

"Während des Fahrens geben wir 100 Prozent, daneben haben wir viel Spaß und lachen." Nasser Al-Attiyah

Al-Attiyah: "Das Gute ist außerdem, dass ich nicht so viel rede. Ich bin die ganzen 500 Kilometer über ruhig... Ich mag es allerdings, meinen Beifahrer reden zu hören. Manchmal sage ich: 'Es ist alles okay'. Wenn ich mich sicher fühle, gebe ich Gas. Manchmal müssen wir reden, um den richtigen Weg zu finden. Ich fahre dann langsamer, um richtig zu fahren. Denn ein Fehler kostet viel Zeit. Wir versuchen, das immer so zu machen und bisher hat das auch gut funktioniert. So haben wir immer den richtigen Weg gefunden. Wenn du drei oder vier Fehler machst, dann wirst du nervös und das Vertrauen geht verloren. Wir versuchen, das Vertrauen aufrecht zu erhalten, denn die Dakar ist wichtig."

Frage: "Wieso gewinnt ihr die Dakar?"
Al-Attiyah: "Weil ich es im Gefühl habe. Wir waren bei den letzten beiden Rennen nah dran, zu gewinnen. Beim letzten Rennen haben wir uns überschlagen. Ich denke nicht, dass es meine Schuld oder sein Fehler war. Das Roadbook hatte sich kurzfristig komplett geändert. Ich sage: Es war einfach Pech! Ich war in dem Moment nicht allzu traurig. Ich dachte: 'Okay, Game over! Lass uns uns auf die Dakar vorbereiten'. Wir versuchen, das Rennen zu beenden. Und ich habe das Gefühl, dass wir die Dakar gewinnen können."

Frage: "Verbringt ihr neben den Rallyes Zeit miteinander?"
Gottschalk: "Es ist keine Zeit übrig."
Al-Attiyah: "Ich bestreite viele Rennen, aber ich rufe Timo oft an. Er schickt mir viele Informationen über die Rennen. Wir bleiben über Internet, Mail und Telefon in Verbindung."

"Ich will nicht nur kommen und meinen Job machen, dann die Tür zumachen und wieder gehen." Nasser Al-Attiyah

Frage: "Ist es wichtig, dass ihr Freunde seid oder würde es reichen, einfach gute Kollegen zu sein?"
Al-Attiyah: "Wir müssen Freunde sein! Wenn er kein Freund wäre, wäre es für mich nicht interessant. Das wäre nicht mein Weg. Ich will nicht nur kommen und meinen Job machen, dann die Tür zumachen und wieder gehen. Ich bleibe immer bei den Mechanikern, rede mit meinem Beifahrer. Was kommt morgen auf uns zu, wie können wir uns verbessern? Wir sind Menschen! Ich sage nicht: 'Ich bin ein Fahrer und sonst nichts'. Sollte ein Mechaniker kommen und sagen: 'Bitte Nasser, hilf mir', dann würde ich ihm helfen. Das ist sehr, sehr wichtig - die Beziehung zum Beifahrer und den Mechanikern. Ohne die Mechaniker wären wir nichts. Wir würden eine Etappe fahren und dann wäre Schluss."

Traum: Dakar-Sieg und Olympiagold

Frage: "Wie sehen denn deine anderweitigen sportlichen Pläne aus? Schließlich bist du ja auch erfolgreicher Schütze..."
Al-Attiyah: "Ich habe wirklich Glück. Im August habe ich den Europäischen Grand Prix gewonnen und mir damit mein Ticket für die nächsten Olympischen Spiele gesichert. Seitdem bin ich sehr relaxt. Ich will bis zu meinen fünften Olympischen Spielen weitermachen. Die fünften Spiele wären eine tolle Sache für mich. Ich kenne viele Sportler, die Olympia nur zwei oder drei Mal erleben und nicht fünf Mal. Schließlich liegen zwischen den Spielen vier Jahre, da weiß man, wie viel Zeit zwischen fünf Spielen liegen."

"Da sind noch zwei Plätze in meinem Schrank leer." Nasser Al-Attiyah

Frage: "Aber die Rallye Dakar ist vorerst das Wichtigste für dich?"
Al-Attiyah: "Ich habe sechs Mal die Middle East Championship gewonnen. Und einmal die P-WRC und andere andere Rennen. Aber mir fehlt noch ein Dakar-Sieg und ich will bei den Olympischen Spielen gewinnen. Das sind meine Träume. Ich habe schon sieben Goldmedaillen von den asiatischen Meisterschaften, zwei Mal Weltcup-Silber und Bronze von der WM. Aber ich möchte alles zusammenbringen. Bei meinen Trophäen fehlen mir nun nur noch die von der Dakar und den Olympischen Spielen. Da sind noch zwei Plätze in meinem Schrank leer."

Frage: "Was mehr Spaß - Motorsport oder Olympische Spiele?"
Al-Attiyah: "Motorsport macht mehr Spaß, da mehr Leute um dich herum sind. Du reist um die ganze Welt. Im Schießen brauchst du eine hohe Konzentration und du musst viel allein sein. Du brauchst nur ein oder zwei Leute, mit denen du redest: deinen Trainer und deinen Arzt. Denn du musst dich so stark konzentrieren. Manchmal fühle ich eine große Herausforderung im Schießen. Aber ich genieße die Rallyes."