• 03.06.2020 10:42

  • von Mike Kuleschow, Übersetzung: Roland Hildebrandt

Vergessene Studien: Lamborghini Marzal (1967)

Zu den aufregendsten Studien der 1960er-Jahre gehört der futuristische Lamborghini Marzal - Wir erzählen seine Geschichte

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Name: Lamborghini Marzal

Premiere: Genfer Autosalon 1967

Technische Daten: Viersitziges Coupé auf Basis des Lamborghini Miura. Gläserne Flügeltüren. Ein gebautes Exemplar, welches heute noch existiert.

Länge: 4.450 Millimeter
Breite: 1.700 mm
Höhe: 1.100 mm
Radstand: 2.620 mm (plus 120 mm gegenüber dem Miura)

Hintergrund:

Der Koenigsegg Gemera, der vor ein paar Monaten sein Debüt gab und von der russischen Designerin Sasha Selipanov gestaltet wurde, ist verdammt cool. Der 1.750 PS starke schwedische Hypersportwagen kann nicht nur in 1,9 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigen, er schafft es auch mit vier Personen an Bord! Und ja - den Zugang zu beiden Reihen der Gemera-Sitze öffnet eine riesige guillotinenartige Tür.

Ein gewisser Ferruccio Lamborghini aus der italienischen Gemeinde Sant'Agata Bolognese hat so ein ähnliches Konzept schon vor einem halben Jahrhundert erfunden - lange bevor es zum Mainstream wurde.

Alles begann in den 1960er-Jahren, als der erfolgreiche Unternehmer und Inhaber der Firma Lamborghini Trattori sich für Ferrari-Fahrzeuge begeisterte und entdeckte, dass einige technische Lösungen viel zu wünschen übrig ließen - etwas, das er Enzo deutlich aufs Brot schmierte.

Streit mit Ferrari führte zur Lamborghini-Gründung

Der impulsive Commendatore war wütend, bis ins Mark beleidigt und schickte den "Hinterwäldler" fort, um das Ackerland weiter mit seinen Traktoren zu durchfurchen. Doch der ehrgeizige und prinzipientreue Ferruccio antwortete mit einer Urkunde: 1963 war das Jahr der Gründung von Automobili Lamborghini S.p.A.!

Bis 1966 gehörten der aufregende Miura mit Heck-Mittelmotor und der 400 GT mit Frontmotor plus 2+2-Sitzanordnung zum Portfolio der jungen Autofirma. Für das volle Glück genügte nur ein wirklich universeller Sportwagen - und Signor Lamborghini beschloss mit Unterstützung des legendären Marcello Gandini aus dem Karosserie-Atelier Bertone, diese Lücke zu schließen.

Lamborghini Marzal

Lamborghini Marzal Zoom

Einer der Stars des Genfer Autosalons 1967 war ein einprägsames Konzept: Der Lamborghini Marzal mit gläsernen Flügeltüren und einem vollwertigen viersitzigen Innenraum.

Serienfertigung war nie geplant

Die Ironie bestand darin, dass Ferruccio eigentlich gar keine Pläne hatte, den Marzal in Serie zu bringen. Als talentierter Geschäftsmann rechnete er aus: Die Schaffung einer aufsehenerregenden Studie, die den Namen Lamborghini garantiert auf die Titelseiten der Zeitungen bringt, wird deutlich billiger sein als Direktwerbung.

Dem Fachmagazin "Automotive Quarterly" gegenüber sagte Ferruccio später: "Der Marzal wurde nicht als Serienauto entwickelt. Wenn man ein Auto wie den Marzal auf Automessen wie Genf, Turin und Frankfurt präsentiert, berichten alle Magazine auf der ersten Seite darüber.

Sie würden lieber 100 Millionen Lire für den Bau eines solchen Automobils ausgeben, das immer noch billiger ist, als für die ganze Werbung zu bezahlen. Das würde fast eine Milliarde Lire kosten. Es entschädigt also auf jeden Fall dafür, ein solches Wegwerfauto zu bauen".

Basis war der Miura

Zum Vergleich: Der neue Fiat 124 kostete gut eine Million Lire. Das Stück, das von Enzo Ferraris Ego gebissen wurde, war für Ferruccio von unschätzbarem Wert.

Das Marzal-Konzept basierte auf dem Fahrgestell des Lamborghini Miura mit 120 mm mehr Radstand, der eine volle zweite Reihe hinter den Vordersitzen ermöglichte. Die Gesamtverglasungsfläche beträgt mehr als 4,5 Quadratmeter. Von der Fahrradfirma Campagnolo stammten die Magnesium-Felgen.

Lamborghini Marzal

Lamborghini Marzal Zoom

Das Einzige, worüber man in Maranello zu Recht lästern konnte, waren die technischen Merkmale des Konzepts. Aufgrund des Show-Gedankens, der räumlichen Auslegung und aus Gewichtsgründen erhielt der Marzal eine bescheidenen Sechszylinder mit 175 PS, was der Hälfte des 350 PS starken V12 aus dem Miura entspricht.

Fürstliche Probefahrt in Monaco

Und ja - trotz des Gewichts von 1.220 Kilogramm musste die Beschleunigungsdynamik beim Marzal zweigeteilt werden: Die ersten 100 km/h bewältigte der Marzal in unendlichen 9,4 Sekunden, bis 200 km/h kam er einfach nicht. Der 4,0-Liter-V12, der die gesamte erste Welle bei Lamborghini antrieb, wurde von Gianpaolo Dallara konstruiert

Hat sich Ferruccio über solche "Kleinigkeiten" aufgeregt? Ehrlich gesagt, kaum. Er genoss die Begeisterung der Autopresse auf dem Genfer Autosalon und sah einige Monate später, wie Fürst Rainier III. in Begleitung von Gracia Patricia alias Grace Kelly mit dem Marzal auf der traditionellen Vorstartparade des Großen Preises von Monaco 1967 unterwegs war. 

Fürst Rainier

Fürst Rainier chauffierte den Marzal um den F1-Kurs von Monaco Zoom

Dalli-Dalli lässt grüßen: Auffälliges Merkmal waren viele Sechsecke im Fahrzeug. Durch den Einsatz von sehr viel Glas waren die Passagiere sowohl der Sonne als auch den Blicken von Passanten ausgesetzt.

Nach dem Auftritt in Monaco verschwand der Marzal zunächst vom Radar. Doch Lamborghini und Gandini, endlich von der Tragfähigkeit des Konzepts überzeugt, begannen derweil mit der Arbeit an einer Serienversion. Das viersitzige Espada Coupé, das 1968 (nur ein Jahr später!) vorgestellt wurde, erbte sowohl den allgemeinen Stil als auch eine Reihe von technischen Lösungen vom Marzal.

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Die spektakulären Glastüren mussten jedoch aufgegeben werden, und der 350 PS starke V12 wurde in die Front gesetzt. Neben einem Fünfgang-Schaltgetriebe gab es auch eine Dreigang-Automatik von Chrysler. Manch einer erinnert sich vielleicht noch an den Espada als Spielzeugauto der Firma Siku. Der Lamborghini Espada hielt sich zehn Jahre lang im Modellprogramm. Insgesamt wurden 1.217 Exemplare gebaut.

Um auf den Helden der heutigen Geschichte zurückzukommen: 1996 spielte der Marzal die Hauptrolle beim Concorso Italiano in Monterey, Kalifornien. Und dann erfreute er anderthalb Jahrzehnte lang die Besucher des Bertone-Museums in seiner Heimat. 2011 jedoch verkaufte der Karosseriebauer in einer langwierigen Krise einen Teil seiner Sammlung, um über die Runden zu kommen.

Für rund 1,5 Millionen Euro fand der Marzal einen Käufer. Leider erwies sich das Opfer als vergeblich - Bertone musste 2014 seine Tore schließen.

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