8. Oktober 2005 auf der Nordschleife: "Alter, ich bin abgeflogen"

Ein Abflug an der Hohen Acht wird zum Kultmoment der Nordschleife - Der Funkspruch von Marc Basseng beim DMV-250-Meilen-Rennen 2005 ist unvergessen

(Motorsport-Total.com) - Samstag, 8. Oktober 2005, 13:32 Uhr, Tatort Hohe Acht: Der drittplatzierte Marc Basseng hat gerade zum sechsten Mal im Rennen die lange Steigung hin zur Hohen Acht hinter sich gelassen. Der damals 26-Jährige sollte sich wenige Momente später bei Nürburgring-Fans unsterblich machen. (Der Unfall mit anschließendem Funkverkehr im Video)

Titel-Bild zur News: Marc Basseng im Land-Porsche in der VLN 2005

Marc Basseng gab vor 20 Jahren einen der berühmtesten Motorsport-Funksprüche aller Zeiten ab Zoom

Zwei Rennen hat der gelb-blaue Porsche bereits in der Saison gewonnen und zählt wie immer zu den Topfavoriten auf den Sieg. Beim 29. DMV-250-Meilen-Rennen teilt sich Basseng den Porsche 996 GT3 RSR mit Marc Lieb.

Ein Favorit hatte sich gerade verabschiedet: Uwe Alzen platzte am "Turbinchen" im Streckenabschnitt Schwedenkreuz ein Reifen, wodurch sich der Porsche 996 Turbo mit einem wilden Unfall aus dem Rennen verabschiedete.

Der einzige nennenswerte Gegner um den Sieg für den Land-Porsche war nun der von Manthey-Racing eingesetzte Porsche 996 GT3 MR. Dieser fuhr in jenem Jahr zum ersten Mal im gelb-grünen Design, das mittlerweile zur Legende geworden ist.

Als Basseng in die Rechtskurve Hohe Acht einlenkt, gibt es plötzlich ein hässliches Geräusch von hinten links und der Porsche dreht sich unvermittelt ein. Der 470 PS starke Bolide hebt ab, fliegt über die Leitplanke, wird ein zweites Mal über die Planke zurückgeschleudert und kommt auf dem Seitenstreifen zum Stehen.

Legendäre Sprüche von zwei Seiten

Was nun folgt, ist Nürburgring-Kult. Der total durchgeschüttelte Basseng stellt in aller Seelenruhe den Motor ab, findet zielsicher den Funk-Knopf auf dem Lenkrad und ruft die Box mit den Worten an: "Alles klar. Alter, ich bin abgeflogen. Reifenschaden hinten links. Ich glaub‘, mir geht's gut. Oh f..."

Als er gerade gefragt wird, wo sich der Unfall ereignet habe, kommt jemand von außen ans Fahrzeug heran gespurtet. Es handelt sich jedoch nicht um einen Marschall, sondern um Bassengs 22 Jahre älteren Bruder, der aufgrund des Altersunterschiedes nur selten bei Marcs Rennen dabei war und zufällig genau an dieser Stelle als Zuschauer stand.

Er klärt den durchgeschüttelten Marc Basseng, der ihn zunächst gar nicht erkennt, darüber auf, was wirklich passiert ist: "Du hasset Rad verlor'n." Was Basseng gleich an die Box weitergibt. Die anschließenden Worte seines Bruders sind ebenso legendär: "Kumm russ, Marc."


Der berühmte Unfall von Marc Basseng mit dem anschließenden Funkverkehr

Basseng erstattet einen letzten Bericht: "Also, Rad abgerissen, übers Rad aufgestiegen, über die Leitplanke drübber, ich steh hier, ich steig‘ jetzt aus, ne?" Woraufhin die Box noch bestätigt, dass man ihn an besagter Stelle abholen wird. Erst draußen erkennt er seinen Bruder.

Gegenüber Motorsport-Total.com erinnert sich Basseng, was ihm wirklich durch den Kopf ging: "Zunächst war es noch nicht so schlimm, aber als ich dann rückwärts aufstieg, war meine Befürchtung, dass ich über die Böschung in die Zuschauer fliegen könnte." Der FIA-Zaun wurde erst zwei Jahre später installiert.

"Die Schläge waren wirklich hart und ich habe sie am ganzen Körper gespürt. Als ich dann zum Stehen kam, merkte ich als Erstes, dass der Motor noch lief. Nur auf einer Zylinderbank, weil der Auspuff der anderen mit Erde vollgestopft war. Deshalb war mein erster Gedanke, den Motor abzustellen."

"Dann war es mir besonders wichtig, dass die Jungs an der Box wissen, was los ist. Deshalb habe ich sie sofort angefunkt." Es gab damals weder Livestream noch Streckenkameras. Informationen über einen Unfall kamen oft erst mit minutenlanger Verspätung überhaupt beim Team an. Dass etwas nicht stimmt, merkten manche Teams erst, wenn das Auto nicht nach der üblichen Zeit an Start/Ziel vorbeifuhr.

Eines der ersten viralen Nordschleifen-Videos

Das Besondere: Der Land-Porsche war mit einer Onboard-Kamera der Firma renn.tv ausgestattet, was damals eine absolute Seltenheit war. Daher hatte die Aufnahme echten Seltenheitswert.

In diversen Online-Foren (Facebook war zwar schon erfunden, aber noch ein Studenten-Medium in den USA) verbreitete sich der Clip dank der damals brandneuen Videoplattform YouTube wie ein Lauffeuer. Es war das wohl erste Video der VLN-Langstreckenmeisterschaft (heute: Nürburgring-Langstrecken-Serie), das viral ging.

"Ich werde bis heute auf dieses Video angesprochen, das ist mit mir verknüpft", lacht Basseng, der mit dem etwas unfreiwilligen Ruhm kein Problem hat. "Das Video zeigt ja einfach, wie ich bin. Es ist immer der Link von mir zur Nordschleife."

Der Porsche 996 GT3 RSR von Land-Motorsport mit dem charakteristisch nach hinten rausstehenden Heckflügel

Der Porsche 996 GT3 RSR von Land-Motorsport mit dem charakteristisch nach hinten rausstehenden Heckflügel Zoom

Doch was war eigentlich passiert? Der Grund ist ein Bruch eines Metallstifts, der die Radmutter hielt. Das Bauteil nennt sich Zuganker. (Zuganker in Bildern)

Hintergrund: Damals war es bei Porsche üblich, dass die Radmutter quasi auf die Antriebswelle gesetzt wird. Dies erfolgte über ein Verbindungsstück, den sogenannten Zuganker. Der Zuganker saß auf der Antriebswelle, die Radmutter wiederum auf dem Zuganker. Als der Zuganker brach, hatte das Rad keine Verbindung mehr zum Auto und mutierte zur Sprungschanze.

Basseng musste zu Routineuntersuchungen ins Krankenhaus, blieb aber komplett unverletzt. Nach dem Rennen wurde er mit den Worten zitiert: "Ich hatte viel Glück. Dass ich den Unfall unverletzt überstanden habe, ist nicht zuletzt auch auf die hervorragenden Sicherheitseinrichtungen im Land-Porsche zurückzuführen."

Vom Rettungsanker zur VLN-Dominanz

Für Basseng waren die Einsätze mit Land-Motorsport eine Möglichkeit, seine zuvor in Stocken geratene Karriere wieder in die Spur zu bringen. Nach seinem Aus als Porsche-Junior schlug er sich mit Einsätzen in Ford Pumas und Renault Clios durch.

Es war Wolfgang Land, der seinerzeit noch gegen Basseng im Porsche-Cup gefahren war, der den gebürtigen Engelskirchener in das damalige Bilstein-Projekt holte. "Das war der Weg zurück in den professionellen Motorsport für mich", sagt Basseng. "Ohne Wolfgang, Christian und Bilstein hätte ich niemals das erreicht, was danach noch kam. Ich habe ihnen und dem Projekt alles zu verdanken."

Der Land-Porsche wurde in der VLN zur dominanten Kraft der mittleren 2000er-Jahre und war sogar für Manthey-Racing schwer zu knacken. 19 Gesamtsiege gelangen mit dem blau-gelben Porsche, an 17 war Basseng beteiligt.

Selbst Manthey musste sich strecken: Der Land-Porsche dominierte die VLN in den mittleren 2000er-Jahren

Selbst Manthey musste sich strecken: Der Land-Porsche dominierte die VLN in den mittleren 2000er-Jahren Zoom

Der erste Sieg nach dem Unfall gelang Basseng gemeinsam mit dem heutigen Kommentator des ADAC GT Masters, Patrick Simon, bereits zwei Wochen später nach einem Reparatur-Kraftakt. "Ich bin eingestiegen und habe sofort Vollgas gegeben. Bei Wolfgang und Christian wusste ich einfach, dass sie mir ein perfektes Auto hinstellen, so vertraue ich sonst nur ganz wenigen Menschen", so der heute 46-Jährige.

Bassengs Karriere nahm mit dieser Erfolgsserie richtig Fahrt auf und öffnete neue Türen. 2012 gewann er zusammen mit Markus Winkelhock die FIA-GT1-Weltmeisterschaft, die in ihrem finalen Jahr mit GT3-Fahrzeugen ausgetragen wurde, und holte im selben Jahr den Gesamtsieg beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring für Audi, für die er jahrelang als Werksfahrer tätig war.

Er ist bis heute aktiver Rennfahrer und gewann im Jahr 2025 die TCR-Klasse beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring gemeinsam mit Manuel Lauck und Christer Jöns auf einem Hyundai Elantra N TCR. Im Jahr 2016 kehrte er noch einmal zu Land zurück und bestritt mehrere Rennen auf der Nordschleife sowie die gesamte Saison im ADAC GT Masters auf einem Audi R8 LMS GT3.

Es bleibt ein Spruch, der bis heute gefeiert wird. Aufkleber mit den Worten "Alter, ich bin abgeflogen" werden noch immer als Merchandise-Artikel verkauft. Basseng selbst teilte den Clip im Jahr 2015 zum zehnjährigen Jubiläum mit den Worten: "Dieser Unfall gehört zu meiner Karriere, genauso wie alle Erfolge, die ich mit den verschiedenen Teams feiern durfte."