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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Redakteur Ruben Zimmermann glaubt, dass Valentino Rossi aktuell keinen großen Spaß an der MotoGP hat - Hätte er seinen Vertrag nicht mehr verlängern sollen?

Titel-Bild zur News: Valentino Rossi

Valentino Rossi hat aktuell keine Chance, ganz vorne mitzukämpfen Zoom

Liebe Leser,

erinnern sie sich eigentlich noch an die MotoGP-Saisons 2011 und 2012? Valentino Rossi kann das sicherlich noch ganz gut - es sind die beiden Jahre, in denen er für Ducati gefahren ist. Es war die - an den Ergebnissen gemessen - dunkelste Zeit in der langen und ruhmreichen Karriere des "Doctors" - bis jetzt. Denn die aktuelle Situation bei Yamaha könnte sich zu einem neuen Tiefpunkt in der Laufbahn des Rekordchampions entwickeln.

Nun weiß ich natürlich nicht, ob Valentino Rossi in der letzten Nacht wirklich schlecht geschlafen hat. Denn nach dem MotoGP-Rennen in Aragon hat sich der 39-Jährige eigentlich nichts vorzuwerfen. Gemessen an der aktuellen Konkurrenzfähigkeit der Yamaha M1 war Platz acht sogar noch eine einigermaßen gelungene Schadensbegrenzung - denn Rossi war am Ende wieder einmal der beste Yamaha-Pilot.

Trotzdem ist der "Doctor" heute Protagonist unserer Montagskolumne. Zum einen, weil wir die allgemeine Situation bei Yamaha an dieser Stelle bereits oft genug beleuchtet haben. Und zum anderen, weil Rossis Schicksal auch noch einmal ein ganz anderes ist, als das seines deutlich jüngeren Teamkollegen Maverick Vinales. Vor allem eine zentrale Frage steht dabei im Mittelpunkt meiner Kolumne: Warum tut sich Rossi das noch an?


Fotos: Valentino Rossi, MotoGP in Aragon


Rossi nur noch gut bezahlter Tourist?

Eine Frage, die er sich vermutlich auch immer öfter selbst stellt. Als er im Winter seinen Vertrag bei Yamaha vorzeitig um zwei weitere Jahre verlängerte, tat er das vor allem, weil er sich selbst noch fit genug für die MotoGP fühlte. Rossi sprach sogar davon - und tut das übrigens noch immer -, dass er in großartiger Form sei. Einziges Problem: Sein Material ist alles andere als großartig.

Rossi wollte es im Spätherbst seiner Karriere noch einmal allen beweisen. Auch mit 39 Jahren fühlt er sich noch gut genug, um mit den jungen Hüpfern wie Maverick Vinales oder Marc Marquez mithalten zu können. Und tatsächlich hat er seinen Teamkollegen in diesem Jahr über weite Strecke der Saison im Griff, weshalb ich persönlich auf jeden Fall auch glaube, dass Rossi noch lange nicht zum alten Eisen gehört.

Das Dilemma an der Geschichte: Rossi kann es auf der ganz großen Ebene nicht zeigen. Die Yamaha lässt es aktuell nicht zu. In Aragon qualifizierte sich der "Doctor" am Samstag nur als 18. So schlecht war er in seiner gesamten MotoGP-Karriere zuvor nur einziges Mal gewesen - und da war er verletzt. Wie hoch der Frust bei Rossi angesichts solcher Ergebnisse sein muss, zeigte sich bereits am Freitag.

Danilo Petrucci, Marc Marquez, Valentino Rossi

In Assen holte Rossi 2017 vor mehr als einem Jahr seinen letzten MotoGP-Sieg Zoom

Da flüchtete sich der Italiener bei der Frage, ob 2018 eine verlorene Saison sei, fast schon in Sarkasmus. "Ich reise um die Welt, sehe viele tolle Städte", antwortete Rossi. Wer den "Doctor" kennt, der weiß natürlich ganz genau, dass er sich keinen Spaß daraus macht, noch bis Ende 2020 - dann übrigens im Alter von fast 42 Jahren - von Yamaha kostenlos durch die Weltgeschichte geflogen zu werden.

Dem "Doctor" läuft die Zeit davon

Rossi will Rennen gewinnen - insgeheim vielleicht sogar noch einen zehnten Titel. Doch langsam dürfte ihm dämmern, dass er seine letzte realistische Chance auf einen weiteren WM-Pokal bereits 2015 verloren haben könnte. So tief, wie Yamaha aktuell im Schlamassel steckt, könnte es schlimmstenfalls Jahre dauern, bis die Japaner wieder um den Titel kämpfen können - Ducati lässt grüßen.

In einem Interview erklärte Rossi jüngst im Hinblick auf Vinales, dass dieser einfach zur falschen Zeit bei Yamaha sei. Wer zwischen den Zeilen liest, der versteht recht schnell, dass diese Aussage natürlich auch auf Rossi selbst zutrifft. Der entscheidende Unterschied: Vinales ist erst 23, hat noch viele Jahre in der MotoGP vor sich. Das trifft auf Rossi nicht mehr zu.

Offiziell hat der "Doctor" sein Karriereende zwar noch nicht angekündigt, doch die Wahrscheinlichkeit, dass er nach 2020 noch einmal einen neuen Vertrag unterschreibt, erscheint doch recht gering. Im schlimmsten Fall steckt Rossi also noch zwei Jahre bei Yamaha fest, muss dort Aufbauarbeit leisten, um das Team wieder siegfähig zu machen - und die Früchte ernten später andere Fahrer.


Fotostrecke: Lockenkopf und mehr: Rossi im Lauf der Jahre

Grundsätzlich glaube ich nicht, dass Rossi ein Problem damit hat, diese Aufbauarbeit zu leisten - im Gegenteil. Aktuell dürfte es sogar sein oberstes Ziel sein, Yamaha wieder konkurrenzfähig zu machen. Doch Rossi ist eben keine Anfang 20 mehr. Ihm läuft die Zeit davon. Denn nur, um zwei Jahre lang ein besserer Testpilot zu sein und dann abzutreten, hat er seinen Vertrag sicher nicht verlängert.

Noch schlimmer als die Ducati-Jahre?

Vielleicht liege ich auch komplett falsch. Vielleicht findet Yamaha über den Winter ein wichtiges Puzzleteil. Vielleicht ist die M1 schon 2019 wieder gut genug für Siege und sogar den Titel. So wirklich daran glauben kann ich aktuell aber nicht. Zu planlos wirken die Versuche der Japaner momentan. Man arbeitet gefühlt in alle möglich Richtungen, macht die Situation dabei aber eher schlechter als besser.

Nun darf man das Rennen in Aragon sicherlich nicht als Maßstab für alle Strecken im Kalender nehmen, doch dass beide Suzukis und selbst Aleix Espargaro auf der Aprilia vor allen Yamaha-Piloten ins Ziel kamen, war eine schallende Ohrfeige für die Japaner. Und Ducati und Honda scheinen momentan so weit enteilt zu sein, dass Yamaha es aktuell schwer hat, überhaupt noch aus eigener Kraft aufs Podest zu fahren.

Seit Rossi 1996 in die WM kam, gab es nur zwei Jahre, in denen er kein einziges Rennen gewinnen konnte: 2011 und 2012. Nun könnte sich auch 2018 in diese Liste einreihen. Nach dem Ducati-Debakel hätte wohl niemand gedacht, dass die Karriere des "Doctors" noch einmal einen größeren Tiefpunkt erreichen könnte. Aktuell steuert er aber genau darauf zu - und das ausgerechnet kurz vor seinem Karriereende.

Yonny Hernandez, Valentino Rossi

Rossi-Fans fühlen sich langsam an die Ducati-Jahre 2011 und 2012 erinnert Zoom

Und so bleibt die Frage: Warum tut sich Rossi das noch an? Vermutlich ist es die Liebe zum Sport, die ihn weiter antreibt. Doch auch er selbst gestand an diesem Wochenende bereits, dass es schwierig ist, in der aktuellen Situation noch motiviert zu bleiben. Das Feuer in Valentino Rossi ist ganz sicher noch nicht erloschen. Aber ob es bis zum Ende seiner Karriere noch ein letztes Mal richtig aufflammen kann, liegt nicht in seiner Hand.

Ihr


Ruben Zimmermann


Ruben Zimmermann

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