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Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat

Hommage an den neuen Weltmeister: Das epische Duell Lewis Hamilton gegen Sebastian Vettel wird als goldenes Zeitalter in die Geschichte der Formel 1 eingehen

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel, Lewis Hamilton

Lewis Hamilton hat in Sebastian Vettel seinen großen Nemesis gefunden Zoom

Liebe Leser,

unsere langjährigen Leser wissen das schon: Am Montag nach der WM-Entscheidung widmen wir diese Kolumne ganz dem neuen Weltmeister. Und das stellt mich vor das gleiche Problem wie vor (fast auf den Tag genau) einem Jahr (ebenfalls in Mexiko): Was soll ich Ihnen noch über Lewis Hamilton erzählen, was Sie nicht schon wissen?

Vielleicht fangen wir damit an, jene Sätze aus dem Vorjahr zu übertragen, die nach wie vor Gültigkeit besitzen. "Er beschäftigte sich systematisch mit seinen (wenigen) Schwächen und dachte darüber nach, wie er seine Stärken weiter forcieren kann", ist einer davon. Zutreffend. Oder: "In den Qualifyings hat er ein neues Level erreicht." Hat er, siehe Singapur. Und: "In den Rennen war er konstanter als je zuvor." Kaum einer würde da widersprechen.

Ich lege mich fest: Wir haben 2018 den besten Lewis Hamilton gesehen, den es je gegeben hat. Wieder einmal. Irgendwie schafft es dieser Teufelskerl jedes Jahr aufs Neue, seine eigenen Grenzen nach oben zu verschieben.

Wie er das macht, ist mir ein Rätsel. Weil das Ausgangsniveau schon so hoch ist. Das Image des Partyhoppers mag dem 33-Jährigen nicht ganz gerecht werden. Ja, er genießt sein Leben in vollen Zügen. Solange er damit Erfolg hat, wird ihm das keiner wegnehmen.

Großes Talent, harter Arbeiter

Aber es gibt neben dem Jetset-Leben auf Instagram noch einen anderen Lewis Hamilton. Den nämlich, der sich abends im Hotelzimmer stundenlang in Datenaufzeichnungen vergräbt. Und sich fast ein bisschen ertappt fühlt, wenn ihn dabei jemand erwischt.

Der alte und neue Weltmeister legt viel Wert auf Imagepflege. Und offenbar wird er lieber als das von Gott gesegnete Naturtalent wahrgenommen als als knochenharter Arbeiter. Was ich nicht ganz verstehe. Er ist beides. Und er sollte stolz darauf sein.

2017 war Hamiltons wichtigste Mission, der Welt zu beweisen, dass er der bessere Rennfahrer ist als Nico Rosberg. Dessen Rücktritt hat ihm lange wehgetan. Weil 2016 in Hamiltons Augen ein Betriebsunfall war, und weil er sich dafür gerne revanchiert hätte. Auf der Strecke, Rad an Rad. Rosbergs Rücktritt am Höhepunkt hat Hamilton als feige empfunden.

Auf einer Stufe mit Juan Manuel Fangio

Aber 2018 hat er ein neues Projekt für sich entdeckt: das Duell mit Sebastian Vettel.

Vielleicht realisieren wir es noch gar nicht im vollen Ausmaß, aber was wir da gerade erleben, ist eines der größten Duelle in der Geschichte des Sports. Nicht nur in der Formel 1. Nur einer von beiden konnte 2018 den fünften Titel gewinnen und mit der unsterblichen Legende Juan Manuel Fangio gleichziehen. Hamilton hat es geschafft.

Es war an einem emotional merkwürdigen Abend (weil der Weltmeister nicht auf dem Podium stand und frisch aus einem seiner schlechtesten Rennen der Saison kam) eine der schönsten Szenen, als Vettel sein TV-Interview mit David Coulthard unterbrach, um Hamilton zu umarmen. Die Fans in Mexiko applaudierten und schrien. Standing Ovations. Gänsehaut.

Bewegende Umarmung nach der Zieldurchfahrt

Zwei große Champions, immer mal wieder in Scharmützel und Sticheleien verwickelt (man denke etwa an Baku 2017), zollen einander Respekt. "Gib jetzt ja nicht nach. Du musst nächstes Jahr wieder mit mir kämpfen", flüstert Vettel Hamilton ins Ohr.

Hamilton und Vettel sind einerseits erbitterte Konkurrenten. Sie wissen aber auch, dass sie mit dieser Ära, die gerade stattfindet, in die Geschichte der Formel 1 eingehen werden. Sie wissen, dass sie Sport auf höchstem Niveau betreiben. Und sie wissen, dass es (noch) keinen gibt, der ihnen das Wasser reichen kann. Max Verstappen wird eines Tages so weit sein. Aber dafür ist der Red Bull noch nicht gut genug.

Hamilton ist sicher bewusst: Wäre nicht sein Nemesis Vettel da, ein viermaliger Weltmeister, ein unbestrittener Könner seines Fachs, wäre sein fünfter Titel bei weitem nicht so viel wert. Man würde bekritteln, dass er vier seiner fünf Weltmeisterschaften mit einem überlegenen Mercedes gewonnen hat.

Hoffentlich geht das so weiter!

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Schon Rosberg war ein würdiger Gegner, der ihm alles abverlangt hat. Und Vettel ist noch einmal eine Nummer größer.

Bleibt zu hoffen, dass sowohl Mercedes als auch Ferrari 2019, bei einem neuen Reglement, Siegerautos bauen werden. Denn wenn es nach mir geht, müsste dieses epische Duell nie zu Ende gehen.

Vielleicht ist die Tragweite dieser Epoche vielen von Ihnen noch gar nicht bewusst. Aber ich gehe jede Wette ein: In ein paar Jahren werden wir über diese Zeit als goldene Ära der Formel 1 sprechen.

Ihr

Christian Nimmervoll

PS: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat, nämlich in den Augen meines Kollegen Dominik Sharaf der glücklose Red-Bull-Pilot Daniel Ricciardo, das gibt's jetzt in der Schwesterkolumne auf de.motorsport.com nachlesen!

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