Die Rivalität zwischen Valentino Rossi und Marc Marquez in der Chronologie: Startschuss in Argentinien, Höhepunkt in Malaysia, Finale in Valencia
Das WM-Duell der MotoGP-Saison 2015 heißt Valentino Rossi gegen Jorge Lorenzo. Die Yamaha-Werkspiloten sind in diesem Jahr das Maß aller Dinge. Das eigentliche Duell des Jahres liefert sich Rossi aber mit einem ganz anderen Gegner: Marc Marquez. In dieser Geschichte geht es nicht um Titel oder Siege. Es geht um zwei Piloten, die von Freunden zu erbitterten Feinden werden.
Beim Saisonauftakt in Katar Ende März verstehen sich Marquez und sein Kindheitsidol Rossi noch blendend. Der Spanier geht als amtierender Champion in die Saison und peilt seinen dritten Titel in Serie an. Rossi will seinen Aufwärtstrend des Jahres 2014 bestätigen und greift bereits nach seiner zehnten WM-Krone.
Der erste Akt des Dramas spielt sich im April beim dritten Saisonrennen in Argentinien ab. Das erste Rennen des Jahres hat Rossi gewonnen, das zweite Marquez. In Termas de Rio Hondo kommt es erstmals zum direkten Zweikampf der beiden um den Sieg. Marquez ist mit dem weicheren Hinterreifen unterwegs und kann sich schnell absetzen. Gegen Ende des Rennens baut der Reifen allerdings stark ab und Rossi kommt wieder heran.
Als Rossi den Weltmeister kurz vor Schluss überholt, hält der dagegen, obwohl sein Reifen völlig am Ende ist. Es kommt zur Kollision: Marquez stürzt, Rossi gewinnt und feiert seinen zweiten Saisonsieg. Große Schuldzuweisungen bleiben zunächst aus. Was zu diesem Zeitpunkt aber noch niemand ahnt: Es wird noch lange nicht das letzte Aufeinandertreffen der beiden in diesem Jahr sein.
Beim achten Saisonlauf in Assen Ende Juni scheint der Vorfall aus Argentinien längst keine Rolle mehr zu spielen. Das Rennen selbst verläuft kurioserweise konträr zu dem in Termas de Rio Hondo: Dieses Mal ist es Rossi, der sich an der Spitze absetzen kann, doch Marquez kann die Lücke zum Rekordchampion in den letzten Runden schließen.
In der letzten Kurve kommt es zur Berührung: Dieses Mal bleiben beide sitzen, doch Rossi muss durch den Zwischenfall ins Kiesbett, kürzt so die letzte Schikane ab und gewinnt das Rennen. Erstmals wird der Ton in diesem Duell schärfer. Marquez gibt sich zwar gewohnt diplomatisch, allerdings lassen seine Aussagen durchblicken, dass er eine Strafe gegen Rossi fordert. Die Rennleistung greift aber nicht ein und spricht beide frei.
Der Sommer verläuft ohne weitere Zwischenfälle. Vor dem drittletzten Saisonrennen in Australien hat Marquez bereits keine Chance mehr, seinen Titel zu verteidigen. Er liegt zu diesem Zeitpunkt schon 96 Zähler hinter WM-Spitzenreiter Rossi, dessen einzig verbliebener Gegner Lorenzo ist. Vor dem Rennen ahnt noch niemand, dass dieser 18. Oktober das Verhältnis zwischen Marquez und seinem einstigen Idol für immer verändern wird.
Das Rennen auf Phillip Island avanciert zunächst zu einem der besten Rennen aller Zeiten. Lorenzo kann sich vorne etwas von Rossi, Marquez und Andrea Iannone absetzen. Die drei liefern sich einen spektakulären Kampf, ehe Marquez in der letzten Runde das Tempo erhöht, sich absetzen kann und sich vor Lorenzo sogar noch den Sieg sichert. Rossi wird hinter Iannone Vierter. Noch scheint alles in Ordnung zu sein...
Doch am folgenden Donnerstag in Malaysia ändert sich alles: Rossi erklärt öffentlich, dass Marquez ihn in Australien bewusst eingebremst habe. Seine Behauptung: Der Spanier unterstützt seinen Landsmann Jorge Lorenzo im WM-Kampf. Marquez trifft Rossis Verbalattacke völlig unvorbereitet. Es ist erst der Anfang eines dramatischen Wochenendes.
Am Sonntag kommt es, wie es kommen muss: Rossi und Marquez geraten auf der Strecke im direkten Duell aneinander. Bei ihrem Zweikampf um Platz drei verlieren die beiden viel Zeit, was den Italiener zur Weißglut treibt. Immer wieder gestikuliert Rossi in Richtung Marquez, doch der Spanier fährt unbeirrt weiter. Bremst er Rossi tatsächlich vorsätzlich ein?
Nach einigen Runden platzt Rossi der Kragen: Er fährt in Kurve 14 eine weite Linie und drängt Marquez nach außen. Der Spanier hält allerdings dagegen und es kommt erneut zur Kollision. Marquez stürzt, Rossi kann weiterfahren und wird am Ende Dritter. Es ist bereits der dritte Zwischenfall zwischen den beiden in diesem Jahr. Doch dieses Mal greifen die Rennkommissare ein.
Das Urteil: Drei Strafpunkte gegen Rossi, was gleichbedeutend mit dem letzten Startplatz beim Saisonfinale in Valencia ist. Der Italiener legt beim Internationalen Sportgerichtshof Einspruch ein - vergeblich. Damit ist Rossi beim letzten Rennen des Jahres ausgerechnet auf Schützenhilfe von Marquez angewiesen. Der Italiener verrät später, dass ihm zu diesem Zeitpunkt bereits klar ist, dass er den Titel verloren hat.
Das Finale in Valencia Anfang November verläuft wie von Rossi prognostiziert: Lorenzo fährt an der Spitze, während Marquez zwar permanent am Hinterrad der Yamaha klebt, in den gesamten 30 Runden aber keinen einzigen Angriff setzt. Am Ende gewinnt Lorenzo vor Marquez und Dani Pedrosa, Rossi wird nach einer Aufholjagd Vierter. Der Titel geht damit an Lorenzo.
Die Experten sind sich anschließend uneinig. Nur Marquez selbst weiß, ob er Lorenzo an diesem Tag wirklich bewusst den Sieg geschenkt hat. Auf dem Podium wird der Honda-Pilot von den Rossi-Fans gnadenlos ausgepfiffen. Lorenzos Titelgewinn wird von den Vorfällen rund um Rossi und Marquez komplett überschattet. Es ist das traurige Ende einer tollen Saison.
In der Rivalität zwischen Rossi und Marquez könnte das Jahr 2015 allerdings gerade erst der Startschuss gewesen sein. "Dieses Finale macht mich traurig. Ich war bereit, die WM an Jorge zu verlieren, weil er immer sehr schnell ist. Auf diese Art ist es aber nicht fair", erklärt Rossi. Unklar ist, wie das Duell der beiden 2016 weitergehen wird. Fest steht lediglich, dass ihre Beziehung nie wieder so sein wird wie früher.