Nicky Hayden: Kämpfer, Sympathieträger & Gentleman

Am 22. Mai 2017 trifft Nicky Haydens Familie eine unzumutbare Entscheidung: Die Motorradwelt nimmt Abschied von einem der letzten Gentleman-Racer

Titel-Bild zur News: Nicky Hayden

Valencia 2006: Nicky Hayden feiert den größten Triumph seiner Karriere Zoom

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,

tagelang fürchtete ich mich vor dem, was am Montagabend, dem 22. Mai 2017, zur bitteren Realität wurde. Nicky Hayden ist tot. Ich möchte es nicht wahrhaben, kann es nicht akzeptieren.

Durch meinen Kopf schwirrt ständig dieses eine Bild, an das sich vermutlich jeder MotoGP-Fan erinnert. Nicky Hayden dreht 2006 in Valencia als frisch gebackener MotoGP-Weltmeister seine Ehrenrunde. Weinend. Ohne Helm. Dafür mit ganz vielen Emotionen. Vater Earl ist beim größten Triumph seines Sohnes mitten im Geschehen. Die TV-Bilder gehen um die Welt. Nicky Hayden hat den übermächtig erscheinenden Valentino Rossi vom MotoGP-Thron gestoßen.

Elf Jahre später verhindert die Gesundheit von Hayden senior, dass das Familienoberhaupt dabei sein kann, als Sohn Nicky in Italien den größten Kampf seines Lebens führt. Und verliert. Die Familie entscheidet am Montagnachmittag, die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen, die den klinisch toten US-Amerikaner nach seinem schweren Rennradunfall vom 17. Mai am Leben halten - eine Entscheidung, die niemand treffen möchte.

Es ist noch nicht einmal vier Wochen her, als ich Nicky zum letzten Mal traf, ausgerechnet beim Superbike-WM-Event im holländischen Assen - ein ganz besonderer Kurs für den 35-Jährigen, denn es war die einzige Strecke außerhalb der USA, auf der er ein MotoGP-Rennen gewinnen konnte. Vor dem Start des Superbike-Wochenendes führen wir ein lockeres Gespräch und unterhalten uns über die aktuelle Situation bei Honda. Über die stockende Entwicklung der Fireblade. Über den neuen Motor vom vergangenen Test. Über Teamkollege Stefan Bradl. Und auch über die Zukunft.

Das letzte Treffen mit Nicky Hayden

Nicky gestand mir, dass er sich große Sorgen macht, wie es in der kommenden Saison bei ihm weitergeht. Der Vertrag mit dem Team von Ronald ten Kate lief aus. Nicky wirkte beunruhigt. Als ob er um seinen Platz im Team bangt. Dabei hatte er den Rennerei überhaupt nicht mehr nötig. Es war der reine Spaß am Rennsport, der die MotoGP-Legende dazu antrieb, weiterhin alles zu geben. Wenn es sein musste auch mehr.

Im Kopf des MotoGP-Champions von 2006 schwirrte dieses große Ziel: Er wollte der erste Fahrer sein, der sowohl in der MotoGP als auch in der Superbike-WM den Titel holen kann. Dafür motivierte er sein Umfeld und sich selbst. Und das, obwohl in der langen Karriere des sympathischen US-Amerikaners nicht immer alles nach Plan verlief.


Fotostrecke: Die Karriere-Highlights von Nicky Hayden

MotoGP-Aufstieg: Hürden & Opfer

Nach dem rasanten Aufstieg in die MotoGP wurde Hayden mit der harten Realität konfrontiert. Das junge US-Talent opferte sein bisheriges Leben in den Vereinigten Staaten, um sich in Europa mit den besten Fahrern der Welt zu messen. Er wurde Teamkollege von Valentino Rossi. Doch anstatt neben dem damals dominanten Italiener zu zerbrechen, blieb der damals erst 22-jährige Grand-Prix-Rookie cool und beendete seine erste Saison in der Königsklasse auf einem beeindruckenden fünften Platz.

In der Saison 2006 folgte das Karriere-Highlight: Hayden holte Honda aus der Krise und bescherte den Japanern den ersten WM-Titel seit Rossis Weggang. Besonders dankbar war HRC dem Mann aus Owensboro aber nicht. Bereits in der folgenden Saison geriet der Titelverteidiger immer mehr aufs Abstellgleis. Honda konzentrierte sich bei der Entwicklung der neuen RC212V auf Dani Pedrosa, der dem größten Motorradhersteller der Welt eine glorreiche Zukunft bescheren sollte.

Nicky Hayden

MotoGP-Saison 2007: Die Startnummer 1 gerät bei HRC aufs Abstellgleis Zoom

Nach der Saison 2008 endete die Ehe mit Honda. Bei Ducati fand Hayden ein neues Zuhause. Erneut musste sich der US-Amerikaner mit einem übermächtigen Teamkollegen messen lassen. An der Seite von Casey Stoner fiel es ihm nicht leicht, sich in Szene zu setzen. Das charismatische Lächeln, für das Nicky Hayden seit seinem MotoGP-Debüt bekannt war, blieb dennoch erhalten.

Das große Ziel bleibt unerreicht

Als Stoner Ende 2010 zu Honda wechselte, wurde Hayden wieder mit Rossi vereint. Es folgten schwierige Jahre bei Ducati. Die Chance, für die Italiener in der Superbike-WM zu fahren, ließ Hayden Ende 2013 sausen. Er wollte weiter MotoGP fahren. Das Open-Honda-Projekt war dem ehemaligen Weltmeister aber unwürdig.

Doch Hayden gab nicht auf und verfolgte ab 2016 in der Superbike-WM das große Ziel: Erster Weltmeister in beiden Weltmeisterschaften. Doch die schwache Performance der Honda Fireblade erlaubte dem ehrgeizigen Athleten in dessen Superbike-WM-Debütsaison nur einen Laufsieg. Am 15. Mai 2016 steht Hayden beim Regenrennen in Sepang (Malaysia) zum letzten Mal ganz oben.

Nicky Hayden

Haydens Traum: Erster Fahrer, der in der MotoGP und in der WSBK Titel holt Zoom

Was bleibt sind Erinnerungen an einen wahren Champion. An einen Fahrer, der nicht wie die meisten seiner Gegner über Leichen ging. An einen wahren Gentleman. An den bisher letzten US-Fahrer, der die MotoGP gewinnen konnte. Nicky Hayden könnte mit Blick auf die fehlenden Nachwuchstalente für immer der letzte US-Champion sein. Unvergessen bleibt dieses eine Bild. Nicky Hayden dreht 2006 in Valencia als frisch gebackener MotoGP-Weltmeister seine Ehrenrunde. Weinend. Ohne Helm. Dafür mit ganz vielen Emotionen.

Nicky, deine Leistungen werden weiterhin junge Talente motivieren. Im Fahrerlager hinterlässt du aber eine nicht zu füllende Lücke, denn deine lockere und sympathische Art war einmalig.

Mach's gut, Champion!


Sebastian Fränzschky