Kritik an 2017er-Regeln: Und das soll die Show verbessern?
Williams-Technikchef Pat Symonds sieht in der Regelfindung für die Formel-1-Saison 2017 nichts als Aktionismus: "Wer sieht den Unterschied? Ich nicht!"
(Motorsport-Total.com) - Sinkende Einschaltquoten und teils leere Ränge bei den Rennen vor Ort - die Formel 1 befindet sich aktuell nicht gerade auf dem aufsteigenden Ast. Die Verantwortlichen haben die Zeichen erkannt und bekämpfen nun zumindest die Symptome, aus Sicht einiger Fachleute nicht jedoch die eigentliche Krankheit. Mit neuen Regeln zur Saison 2017 sollen die Formel-1-Autos um bis zu fünf Sekunden pro Runde schneller werden. Dies soll für eine bessere Show sorgen. Aber tritt dies tatsächlich ein?
© Andries van Overbeeke
2017: Vereinfachter Frontflügel, mächtiges Leitwerk am Heck und breite Reifen Zoom
"Nein", meint Williams-Technikchef Pat Symonds. Aus Sicht des erfahrenen Briten, der unter anderem großen Anteil an Michael Schumachers erstem Titelgewinn 1994 mit Benetton hatte, ist eine höhere Geschwindigkeit kein Schlüssel zum besseren Rennsport. "Wenn man während des zweiten Trainings an der Strecke ist, wo wir mit neuen Reifen und wenig Sprit fahren, und dann Benzin einfüllen, da werden die Autos um viereinhalb Sekunden langsamer. Wer sieht diesen Unterschied? Ich nicht!"
"Zeiten kann man nicht sehen", bemerkt Symonds im Interview mit dem Magazin 'Motor Sport'. Es sei sogar "eher das Gegenteil" der Fall. "Ein Auto, das im Regen herumrutscht, ist sicherlich nicht schnell, sondern vergleichsweise langsam. Die Jungs versuchen, es einzufangen. Das sind die Sachen, die man wirklich sehen kann. Ein Auto, das gut ausbalanciert ist, das sieht nicht spektakulär aus, und man sieht es auch nicht wirklich, wenn man an der Strecke steht."
Für Symonds liegt der Schlüssel zu aufregenderen Rennen in einer Beschränkung der Aerodynamik. Nicht eine Erhöhung des Abtriebs, wie zur Saison 2017 über neue Unterböden und größere Diffusoren angedacht, sondern das Gegenteil könne die Balance eines Fahrzeuges erheblich schädigen und somit wieder nach mehr Fahrkunst im Cockpit verlangen. Der Nachteil: Die Rundenzeiten würden sich erhöhen, die Formel 1 wäre womöglich nicht mehr lange die schnellste Rundenstrecken-Serie der Welt.
Sind die Flügel-Auswüchse die Wurzel des Übels?
Die massiven aerodynamischen Auswüchse an den aktuellen Fahrzeugen erzeugen viele Turbulenzen. In der so entstehenden sogenannten "Dirty Air" - also unangenehmen Verwirbelungen - können nachfolgende Autos das Tempo in Kurven nicht mehr mitgehen. Für Symonds liegt die Ursache vor allem an der Front. Die dortigen Flügel bestimmen den Luftfluss um das Fahrzeug herum. Zahlreiche Flaps, Ausschnitte und Leitelemente machen aus dem eigentlich simplen Flügel ein komplexes System.
"Ich bin mir nicht sicher ob das Wort Flügel da überhaupt noch richtig ist. Ja, es gibt Tragflächen und Flügelchen. Aber es gibt eben viele Turbulenzerzeuger", sagt Symonds. Mit sogenannten Vortex-Generatoren wird die Luft dorthin gelenkt, wo sie am eigenen Fahrzeug am besten genutzt werden kann, oder zumindest nicht stört. "Die Kontrolle über diesen Flow gibt uns viel von unserer Performance. Wenn ein anderes Auto vor dir fährt und die Luft verwirbelt, dann verlieren wir viel Leistung. Gäbe es diese Frontflügel nicht, könnten wir nicht unsere ganze Leistung abrufen."
"Ein simpler Flügel würde nicht so gut operieren. Wir designen sie nicht aus reinem Spaß. Würden diese Flügel simpler sein, dann gäbe es beim Hinterherfahren weniger Probleme. Nur kann man die guten alten Zeiten nicht zurückdrehen", wehrt sich Symonds gegen Rückschritte an falscher Stelle. "Unser Verständnis für die Aerodynamik ist viel weiter als vor 15, 20 Jahren. Man kann eben nichts 'zurückerfinden'. Wenn man einmal weiß, dass es hier und da einen Effekt gibt, dann versucht man den zu reproduzieren."
Symonds' Kritik: Schnellschüsse ohne Datengrundlage
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse formuliert Symonds seine Vorbehalte an den künftigen Regeln der Formel 1. Mehr Abtrieb sorge für noch mehr Sorge, so der Brite. "Sagen wir, ein Auto verliert x Abtriebspunkte, wenn es hinter einem anderen Auto fährt. Dann wird auch das x höher, wenn der Gesamtbetrag der Downforce ansteigt. Das ist ein unumgänglicher Fakt", erklärt der Williams-Technikchef. Er sieht in der Regelfindung 2017 teils blinden Aktionismus.
Im Gegensatz zur Einführung des "Halo"-Systems für einen verbesserten Kopfschutz fehle bei der Formulierung der Aerodynamikregeln nahezu jede Datengrundlage. "Jetzt passiert gerade sehr viel mit dem Kopfschutz, der Cockpit-Sicherheit. All das wird professionell durch Forschung von der FIA gemacht", so Symonds. "Das Schreiben und Beschließen der 2017er-Regeln passiert aber nicht durch Forschung, es wird mit einer ratschlagenden Gruppe gearbeitet, der technischen Arbeitsgruppe."
In der Arbeitsgruppe basierten Vorschläge auf Meinungen, nicht auf Versuchen. "Die können Dinge mit der FIA besprechen, aber es wird nichts geforscht", sagt der Brite. Er kritisiert die aktuelle Herangehensweise und sieht eine Parallele zu einem Prozess, der die DRS-Einführung in der Formel 1 ermöglichte. "Auch bei der Überhol-Arbeitsgruppe gab es damals einen sehr geringen Output. Das Ergebnis hätten wir in ein paar Tagen in unserer Aerodynamik-Abteilung hinbekommen."