• 09.04.2017 11:41

  • von Dominik Sharaf

Knapper als es aussah: Warum Hamilton mit Glück siegte

Mercedes profitierte in China vom Safety-Car und einer Ferrari-Panne - Hamilton wechselte im richtigen Moment von ein auf zwei Stopps: "Mussten nicht zocken"

(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton lieferte beim China-Grand-Prix eine tadellose Vorstellung ab: Der Mercedes-Star sorgte am Sonntag in Schanghai für einen Start-Ziel-Sieg, der während der 56 Rennrunden nicht in Gefahr geriet. Der Lohn für die Mühen bei schwierigen Bedingungen sind die mit Ferrari-Pilot Sebastian Vettel geteilte WM-Führung und eine Genugtuung nach der Schlappe von Australien. "Nach dem Rennen ging es mir gut, aber in den Stunden danach brannte der Schmerz", meint Hamilton.

Auch den Verantwortlichen der Silberpfeile war die Erleichterung darüber, dass der W08 dank des besseren Rennspeeds die Ferrari besiegen kann, anzumerken - in diesem Punkt hatte nach der Auftaktpleite Unklarheit geherrscht und für Verunsicherung bei Mercedes gesorgt. "Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass wir zurückgeschlagen haben", jubelt Team-Aufsichtsrat Niki Lauda. "Ich bin wieder glücklich. Wir wollten für Melbourne entschädigen und Selbstbewusstsein wiederherstellen."

So klar, wie er auf dem Papier erscheint, war der Erfolg Hamiltons nicht - sondern mit einer Portion Strategieglück garniert. Der erste richtige Griff: Auf dem Weg in die Startaufstellung entschied er sich gegen Slickreifen. "Es war unmöglich", befindet der Brite, der beim Losfahren auf Intermediates seine liebe Mühe hatte, die empfindlichen Pneus über die zahlreichen trockenen Stellen des Kurses zu tragen. Dann hatte Hamilton das Glück, einen Stopp hinter dem Safety-Car einzulegen.

Mercedes reagierte erst beim zweiten Safety-Car

Denn Verfolger Vettel, der schon in der zweiten Runde während einer Virtuellen Safety-Car-Phase auf Trockenreifen gewechselt hatte, verlor durch seinen Halt während der Neutralisation nur wenig Zeit. Hamilton hätte sie auf der Strecke herausfahren müssen, wäre nicht wegen des Unfalls Giovinazzis das "richtige" Safety-Car ausgerückt. So legte er in der vierten Runde ebenfalls einen preisgünstigen Stopp ein und profitierte davon, dass Vettel auf Rang fünf zurückfiel und festhing.

Hamilton verteidigt die Mercedes-Herangehensweise, zunächst abzuwarten und die Spitzenposition zu behaupten, obwohl es absehbar war, dass Slicks fällig würden. "Unsere Strategen haben einen tollen Job gemacht, was die Entscheidungen für die Zeitpunkte der Boxenstopps betrifft", findet er und erkennt Wiedergutmachung für die Australien-Panne: "An diesem Wochenende haben wir es auf den Punkt gebracht." Das gilt auch für den zweiten Halt, den die Silberpfeile perfekt planten.

Als Vettel - mittlerweile auf Rang zwei vorgerückt - in Runde 34 es erneut mit einem früheren Reifenwechsel versuchte, wartete Hamilton zwei Runden ab, ehe er von der geplanten Einstopp-Strategie abwich, von Soft auf Soft tauschte und komfortabel an der Spitze blieb. Allerdings verlor er auf den älteren Gummis vier von zwölf Sekunden seines Vorsprung, worüber er sich im Funk beklagte. "Dadurch, dass die Reifen und Downforce völlig neu sind, hat sich während des Rennens herausgestellt, dass es wahrscheinlich nicht funktionieren wird", erklärt Toto Wolff die Änderung.

Am Ende kontrolliert vorne - doch mit wie vielen Reserven?

"Wir mussten nicht zocken", relativiert Hamilton. Ferrari sei unter Zugzwang gewesen, er hätte reagieren können: "Sie wollten den Undercut versuchen. Sie mussten ins Risiko gehen. Die Entscheidung war perfekt." In der Folge wirkte es, als kontere Hamilton das Tempo Vettels im Fernduell. Unmöglich zu sagen, ob und wie viel er im Ernstfall hätte zulegen können. "Wir sind identische Runden gefahren. In den letzten 20 Umläufen haben wir uns die Zeiten um die Ohren gehauen", so der Ex-Champion. Er weiß aber: "Hätte er nicht festgehangen, wäre es viel enger geworden."

Denn der Deutsche büßte 5,4 Sekunden ein, als er hinter Teamkollege Kimi Räikkönen fuhr. Hätte die Scuderia ihn früher vorbeigewunken, wäre Hamilton unter Druck gekommen. "Sebastian hat mir eine richtige Herausforderung geboten", bemerkt der Sieger mit viel Respekt in der Stimme und auch Wolff scheint zu wissen, dass der Trumpf seiner Truppe am Sonntag der Mann am Volant war: "An schwierigen Tagen willst du niemanden anders als Lewis im Auto haben", zieht er den Hut.

Für Hamilton, der mit dem 106. Podium seiner Formel-1-Karriere in der ewigen Bestenliste mit dem zweitplatzierten Alain Prost gleichzog, war es der fünfte Sieg beim China-Grand-Prix in Schanghai. "Die Strecke liegt sowohl im Nassen als auch im Trockenen meinem Fahrstil", bestätigt er und holt sich bei Lauda den nächsten Schulterklopfer ab: "Lewis hat unter schwierigen Bedingungen eine fantastische Leistung gebracht", lobt der Österreicher. Fortuna war auch gut in Form.