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  • 31.03.2022 14:22

  • von Stefan Ehlen, Co-Autor: Jonathan Noble

Formel-1-Zukunft: Saudi-Arabien ist "offen für Gespräche"

Wie Formel-1-Chef Stefano Domenicali den Grand Prix in Saudi-Arabien und dessen Zukunft bewertet und wie das Land selbst zu seinem Rennwochenende steht

(Motorsport-Total.com) - Für ihr Rennwochenende in Saudi-Arabien 2022 hat die Formel 1 viel Kritik erhalten. Umso mehr, nachdem es am Freitag zu einer Geschoss-Explosion unweit der Strecke in Dschidda gekommen war. Ein Boykott des Grand Prix durch die Fahrer stand anschließend im Raum, gefahren wurde aber schließlich trotzdem. Und Formel-1-Chef Stefano Domenicali stellt den Austragungsort auch für die Zukunft nicht in Frage.

Titel-Bild zur News: Blick auf die Formel-1-Rennstrecke in Dschidda bei Nacht

Blick auf die Formel-1-Rennstrecke in Dschidda bei Nacht Zoom

Man dürfe sich von den Ereignissen nicht blenden lassen, sondern müsse "zwischen der Emotion und dem Rationalen unterscheiden", so erklärt der Italiener im Gespräch mit 'Sky'.

Außerdem lege die Formel 1 viel Wert auf die Sicherheit aller Beteiligten. Diese habe "absolute Priorität für uns, gar keine Frage", meint Domenicali. Und: "Uns wurde [in Saudi-Arabien] versichert, es sei alles unter Kontrolle. Und darauf müssen wir uns verlassen."

Domenicali erkennt Fortschritte bei Menschenrechten

Doch die Sicherheit ist nur eines von vielen Themen, denen sich die Formel 1 in Saudi-Arabien stellen muss. Oder: stellen könnte. Denn gut zwei Wochen vor dem Grand Prix in Dschidda hat das Königreich Saudi-Arabien eine Massenhinrichtung durchgeführt, nimmt es mit Menschenrechten generell nicht allzu genau.

Wie die Formel 1 darauf reagiert? "Wir sind ja nicht blind", sagt Domenicali, "aber man darf nicht vergessen: Dieses Land hat auch durch die Formel 1 und den Sport einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Und man kann nicht davon ausgehen, eine eintausend Jahre alte Kultur im Handumdrehen ändern zu können."

Er erkenne bereits große Fortschritte in Saudi-Arabien. Zum Beispiel: "Vor ein paar Jahren durften Frauen [dort] nicht mal Autofahren. Es werden Gesetze umgeschrieben, damit das jetzt passieren kann."

Die Formel 1 will "nicht politisch sein"

Aber selbst Domenicali räumt ein: "Es gibt natürlich Spannungen und Dinge, die besser werden müssen. Ich glaube: Wir spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Modernisierung des Landes und konzentrieren uns dabei natürlich darauf, dass [diese Themen] zentral in unserer Agenda verankert sind." Nachsatz: "Wir wollen da aber nicht politisch sein."

Und Saudi-Arabien? Das Königreich zeigt sich grundsätzlich gesprächsbereit - zum Status des Rennens und der Situation im Land, wie Prinz Abdulaziz Al Faisal als Sportminister erklärt: "Wir sind offen für Feedback und Bedenken, denn wir sind dazu da, der bestmögliche Gastgeber für die Formel 1 zu sein."

Natürlich verfolge seine Nation einen Zweck mit der Austragung des Grand Prix. Man habe "aus Gründen" eine langfristige Partnerschaft mit der Formel 1 besiegelt, so Al Faisal. "Denn wir sehen ja, wo wir uns hinbewegen: Wir wollen mit der Formel 1 wachsen."

"Wir kennen die Bedeutung der Formel 1 und wollen ein Teil der internationalen Gemeinschaft werden. Wir wollen ein Punkt auf der Landkarte sein. Und jeder soll nach Saudi-Arabien kommen und sich dort so fühlen können wie überall sonst auf der Welt."


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Saudi-Arabien: Sicherheitsbedrohung auch anderswo

Diese Hoffnung hat sich beim Rennwochenende in Dschidda 2022 nicht erfüllt: Viele im Formel-1-Fahrerlager hatten Sicherheitssorgen, doch Al Faisal beschwichtigt: "Solche Probleme", wie sie Saudi-Arabien mit Terrorangriffen habe, "passieren leider überall in der Welt. Wir müssen bestmöglich damit umgehen", so erklärt er.

Der Umgang im konkreten Fall nach der Explosion am Freitag bestand darin, zu versichern, es gäbe überhaupt keinen Anlass zur Beunruhigung. Die Sicherheitsdienste hätten die Lage zu jeder Zeit im Griff gehabt.

Und darüber hinaus tue Saudi-Arabien alles dafür, sich als modernes Land zu präsentieren. "Uns wurde immer vorgeworfen, wir würden ausgrenzen", sagt Al-Faisal. "Aber: Die ersten Touristen-Visa wurden für die Formel E ausgestellt. Und auf einmal kriegt man unser Visum ganz leicht, wo es vorher noch unheimlich schwierig war."

Das Königreich fühlt sich missverstanden

Dennoch werde sein Land häufig missverstanden: "Wir sagen der Welt, sie möge uns besuchen und uns kennenlernen. Jetzt aber werden wir dafür angeprangert, uns zu sehr zu öffnen, viel zu schnell vorzugehen und so weiter."

Doch was in Saudi-Arabien vorgehe, das entspreche dem Willen des Volkes. Al Faisal meint: "Die Leute wollen es. Wenn es die Leute nicht wollen würden, [gäbe es keine Bewegung]. Doch die Leute wollen es, weil sie in den sozialen Netzwerken unterwegs sind und sehen, was andere Länder haben."

Saudi-Arabien sei eben eine "junge Nation" - das Königreich besteht seit 1932 - und "lerne dazu", mache ständig Fortschritte. "Wir müssen aber noch viel Entwicklungsarbeit leisten, vieles anpassen, auf vieles hinarbeiten", sagt Al Faisal.


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Saudi-Arabien: Es tut sich doch was!

Sein Fazit: "Dinge verändern sich. Heute arbeiten Männer und Frauen zusammen überall im Königreich, selbst in Ministerien. Und früher war es [Frauen] nicht mal erlaubt, sich auf öffentlichen Plätzen zu bewegen. All das ändert sich."

"Manches davon ändert sich sehr schnell, anderes braucht Zeit. Aber wir sind hier, um zuzuhören, um zu sprechen, um zu diskutieren. Wir wollen Fortschritte und Saudi-Arabien zu einem besseren Ort machen."

Den Vorwurf des sogenannten Sportswashings, des Einkaufens sportlicher Großveranstaltungen zur Image-Steigerung, kann Al Faisal damit nur bedingt entkräften. (Mehr dazu in der Formel-1-Kolumne "Letzte Nacht" zum Saudi-Arabien-Grand-Prix 2022!)

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