Nicht nur Stefan Bellof kostete der Tod eine Glanzlaufbahn: Zehn Piloten, die das Zeug zum Formel-1-Champion hatten
Viele Pilotenkollegen hielten Stefan Bellof für den schnellsten Autorennfahrer seiner Generation. Dennoch fand der Sportwagen-Weltmeister von 1984, der im Porsche 956 auf sämtlichen prestigeträchtigen Rennstrecken siegte, nie einen verdienten Platz in den Formel-1-Annalen. 20 Starts in einem unterlegenen Tyrrell waren nicht genug, um zu zeigen, welches Können in dem mit 27 Jahren verunfallten Megatalent Bellof steckte. Doch der Hesse ist nicht der einzige Pilot der Geschichte, für den ein früher Tod eine große Karriere im Keim erstickte...
Auch Gilles Villeneuve trauen Experten den großen Coup zu - nicht zuletzt der "Commendatore" Enzo Ferrari, als dessen Lieblingskind der Kanadier gilt. Der ehemalige Profi-Snowmobilfahrer steht 1979 vor dem Gewinn des WM-Titels, verliert das Duell mit Teamkollege Jody Scheckter aber um vier Punkte und leidet in den Folgejahren und den restlichen seiner 68 Grands Prix unter der Unzuverlässigkeit der roten Renner.
Ronnie Peterson bringt es zwar auf 123 Grand-Prix-Starts, doch auch der Schwede bleibt einer der Unvollendeten. Schon in seiner zweiten Formel-1-Saison 1971 sind es bezeichnenderweise fünf zweite Plätze, die ihn zum Vizeweltmeister hinter Jackie Stewart machen. Sieben Jahre später scheint als Lotus-Pilot die Erlösung möglich, doch es kommt der verhängnisvolle Italien-Grand-Prix in Monza.
Peterson, zu diesem Zeitpunkt WM-Zweiter hinter Mario Andretti, wird Opfer einer Verkettung unglücklicher Umstände: Die Startampel springt zu früh auf Grün, weshalb die noch rollenden Autos hinter ihm deutlich schneller wegkommen. Beim Anbremsen der Schikane kommt es zu einem Massencrash, infolge dessen der Schwede in die Absperrung knallt und mit mehrfach gebrochenen Beinen bei vollem Bewusstsein in seinem brennenden Lotus gefangen ist. James Hunt, Clay Regazzoni und Patrick Depailler retten ihn - doch eine Lungenembolie kostet dem 34-jährigen Peterson noch in der Nacht das Leben.
Ein Vermächtnis als Konstrukteur und Teamgründer hinterlässt Bruce McLaren - weniger als Fahrer. Obwohl bei 104 Grands Prix am Start und viermal Rennsieger, kommt der seit seiner Kindheit an Morbus Perthes erkrankte und körperlich beeinträchtigste Neuseeländer über die Vizeweltmeisterschaft 1960 und zwei dritte Plätze in der Gesamtwertung nicht hinaus - davon einer im eigenen Auto. Mit nur 32 Jahren ist die Karriere vorbei: In einem Can-AM-Auto testet McLaren 1970 im englischen Goodwood neue Aerodynamik-Teile, als er die Kontrolle über den Wagen verliert und in einen Bunker einschlägt.
Er fährt nur fünf offizielle Formel-1-Rennen und dennoch ist Ricardo Rodriguez für viele Experten Anfang der Sechzigerjahre Mann der Zukunft: Der blutjunge Mexikaner sorgt für runtergeklappte Kinnladen, als er bei einem unverhofften Gaststart in Monza 1961 auf Anhieb Platz zwei in der Qualifikation einfährt. Er ist mit 19 Jahren und 208 Tagen bis heute der jüngste Pilot, der ein Rennen aus Startreihe eins beginnt und führt den Grand Prix sogar an, ehe eine defekte Benzinpumpe das Märchen zunichte macht.
Enzo Ferrari will Rodriguez behutsam aufbauen und lässt ihn trotz Werksvertrag 1962 nur sporadisch in der Königsklasse ans Steuer. Weil er beim inoffiziellen Mexiko-Grand-Prix unbedingt starten will, verschafft Rodriguez sich einen Drive in einem privaten Lotus: Im Freien Training ereignet sich auf der pfeilschnellen Bahn ein Aufhängungsschaden, nach dem schweren Einschlag ist der 20-Jährige auf der Stelle tot. Heute trägt die Rennstrecke seinen Namen und den seines Bruders.
In Italien fragt Anfang der Sechzigerjahre niemand, wer Wolfgang Graf Berghe von Trips ist: Der Deutsche ist seit 1957 in der Königsklasse unterwegs und bestreitet 24 seiner 26 Rennen für die Scuderia. Einen Namen macht sich der Internats- und Waldorfschüler, der später Diplom-Landwirt wird, unter einem Pseudonym: "Axel Linther" nennt von Trips sich, damit seine Eltern von seinen motorsportlichen Abenteuern keinen Wind bekommen. Er will eines Tages ohne Imageschaden seinen vorgesehenen Platz als Erbe seines niederrheinischen Adelsgeschlechts einnehmen.
Von Trips, als Youngster noch designierter Silberpfeil-Pilot, wird wegen seiner häufigen Unfälle von der britischen Presse auf den Spitznamen "Count Crash" getauft. In Monza steht er 1961 kurz vor dem ersten WM-Titel für einen Deutschen und kann sich die Krone sichern, als es zur Tragödie kommt: Von Trips bremst in Runde zwei die Parabolica 250 Meter vor dem Beginn der Kurve sehr früh und mittig an, was Jim Clark nutzen will und zum Überholmanöver ansetzt. Als von Trips überraschend nach links zieht, kollidieren die Boliden. Später bezeichnet Clark den Crash als "unausweichlich".
Der Ferrari dreht sich, der Kontakt mit dem Lotus sorgt dafür, dass das Auto fast ungebremst in die Streckenbegrenzung fliegt und sich seitlich überschlägt, ohne dabei den Boden zu berühren. Da es Sicherheitsgurte in der Formel 1 noch nicht gibt, wird von Trips aus dem Cockpit geschleudert und bleibt auf dem Boden liegen. Das halbierte Wrack und einige Trümmerteile fliegen über den kaum zwei Metern hohen Fangzaun. Die dicht gedrängten Zuschauer haben keine Chance zu reagieren, elf von ihnen sind sofort tot, vier sterben später im Krankenhaus. Von Trips wird nur 33 Jahre alt.
Jules Bianchi ist nach Durchlaufen der hauseigenen Academy als Ferrari-Werkspilot vorgesehen, als der im unterlegenen Marussia beeindruckend schnelle Franzose in Monaco 2014 sensationell die ersten WM-Punkte für den Hinterbänkler holt - seine furiose Fahrt bei halbnassen Bedingungen erinnert an die Geburtsstunde diverser Formel-1-Legenden und auch an Stefan Bellof. Doch nur wenige Monate später kommt es im japanischen Suzuka zur Katastrophe: Bianchi ist im Regen trotz gelber Flaggen vermutlich zu schnell unterwegs, gerät von der Strecke ab und rauscht unter einen mit Bergungsarbeiten beschäftigten Radlader. Er stirbt nach neun Monaten im Koma in seiner Heimatstadt Nizza - mit nur 25 Jahren.
Mit 13 Podestplätzen in 47 Grands Prix ist Cevert extrem beständig und holt seinen einzigen Sieg ausgerechnet in Watkins Glen. Im US-Bundesstaat New York findet er nur 24 Monate den Tod: Ein kleiner Fahrfehler lässt seinen Boliden im Qualifying ins Schlingern geraten und über einen Randstein springen. Der Einschlag im 90-Grad-Winkel ist derart heftig und zerstörerisch, dass Teamkollege Jackie Stewart später über die Streckenposten sagt: "Sie haben ihn im Auto gelassen, weil es so klar war, dass er tot war." Cevert wird nur 29 Jahre alt.
Ob Carlos Pace eines Tages Weltmeister geworden wäre? Unter die Top 5 der WM-Gesamtwertung schafft es der Brasilianer trotz 73 Grand-Prix-Teilnahmen nie, sein Talent ist aber unbestritten: Mit dem Sieg in Sao Paulo 1975 fährt er sich auf der Strecke, die heute nach ihm benannt und mit seiner Büste dekoriert ist, in die Herzen seiner Landsleute. 1977 sieht es so aus, als sollte er für Brabham einen Anlauf auf den Titel unternehmen, doch ein Heimflug zu seiner Ranch wird zur Tragödie: Die kleine Privatmaschine kommt in ein Gewitter, der Pilot verliert die Orientierung und das Flugzeug stürzt ab. Der 32-Jährige, seine Frau, seine Töchter und alle übrigen Passagiere sind sofort tot.
Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans, Sieg bei der Targa Florio, Sieg bei den 1.000 Kilometern von Monza und Sieg bei den 24 Stunden von Daytona: In der Karriere des Lorenzo Bandini fehlt Mitte der Sechzigerjahre nur der Gewinn der Formel-1-WM, in der ihn sein Arbeitgeber Ferrari zugunsten seiner Sportwagen-Aktivitäten teilweise gar nicht einsetzt. Trotzdem bringt er es auf 42-Grand-Prix-Teilnahmen und einen Rennsieg.
Als der Italiener dem Regisseur John Frankenheimer hilft, den Hollywood-Streifen "Grand Prix" mit James Garner und Yves Montand zu inszenieren, empfiehlt er die Hafenschikane in Monaco für eine Crashszene. 1967, nur ein Jahr später, verliert Bandini an eben dieser Stelle die Kontrolle über sein Auto. Der Ferrari schlägt in die Strohballen ein, bleibt kopfüber liegen und fängt Feuer, als der Tank aufbricht. Noch schlimmer: Ein explodierendes Auspuffrohr sorgt beim Einsatz der Streckenposten für weitere Flammen. Verbrennungen an 70 Prozent der Körperoberfläche und sechs Brustfrakturen kosten Bandini im Alter von 31 Jahren das Leben.
Joseph Siffert, stets nur Jo gennant, verdient sich das Geld zur Finanzierung seiner Motorsport-Karriere anfangs als Altmetall- und Lumpensammler. Daraus wird eine Tellerwäscher-Story: Ein geliehener Ferrari 500 verschafft dem Schweizer Platz drei bei den 24 Stunden vom Nürburgring und damit erstmals internationale Beachtung. Er schafft es in die Formel 1 und gewinnt bei 96 Grand-Prix-Starts zwei Rennen. 1971 kostet ihm ein Unfall bei einem Rennen ohne WM-Status in Brands Hatch das Leben: Siffert stirbt im Alter von 35 Jahren an Sauerstoffmangel und einer Rauchvergiftung.
Nicht nur Stefan Bellof kostete der Tod eine Glanzlaufbahn: Zehn Piloten, die das Zeug zum Formel-1-Champion hatten