Die Saison 2013 im Rückspiegel
Relativ schmucklos präsentiert Marussia am Morgen des 5. Februar in Jerez den MR02. Keiner der Fahrer, sondern zwei Mitarbeiter entfernen die Plane vom Auto, mit dem das britisch-russische Team in seine vierte Formel-1-Saison startet. Vorausgegangen war ein turbulenter Winter.
Nachdem Marussia beim Saisonfinale 2012 Platz zehn bei den Konstrukteuren und damit wichtige Millionen verloren hatte, ist das wirtschaftlich stets am unteren Limit operierende Team unter Zugzwang.
Erstes Opfer des Sparzwangs ist Timo Glock. Der Deutsche, der drei Jahre lang für das unter dem Namen Virgin 2010 in die Formel 1 aufgestiegene Team gefahren ist, einigt sich mit Marussia auf eine Auflösung des bestehenden Vertrages für die Saison 2013. Glock geht in die DTM und findet bei BMW sein Glück.
Damit kann Marussia auf Paydriver setzen, die mit ihren Sponsorenmillionen die Finanzierung des Teams unterstützen. Max Chilton, dessen Vater Graeme Manager beim Versicherungskonzern Aon ist, steht früh als einer der Fahrer fest.
Beim ersten Vorsaison-Test präsentiert Marussia als Teamkollegen des Briten Luiz Razia. Der Brasilianer ist wie Chilton im Vorjahr in der Nachwuchsserie GP2 gefahren und hatte sich dort den Vize-Meistertitel gesichert.
Doch Razias Traum von der Formel 1 ist schnell wieder ausgeträumt. Da die Zahlungen seiner Sponsoren ausbleiben, setzt Marussia den Brasilianer nach den ersten Testfahrten wieder vor die Tür.
Doch Ersatz ist schnell gefunden. Der bisherige Force-India-Tester Jules Bianchi wird mit Hilfe von Ferrari, die ein Einsatzcockpit für ihren Nachwuchsfahrer suchen, zu Marussia transferiert. Damit geht der russisch-britische Rennstall mit zwei Rookies und der jüngsten Fahrerpaarung aller Teams in die Saison.
Als letztes Team der Formel 1 setzt Marussia 2013 auf einen Cosworth-Motor und erstmals auf KERS, welches von Williams geliefert wird. Davon verspicht sich Teamchef John Booth eine Menge: "Wir sind zuversichtlich, dass der MR02 das Produkt einer guten Evolution des letztjährigen Pakets ist. Gleichzeitig integriert er KERS. KERS war 2012 ein entscheidender Faktor dafür, wo wir relativ zu unseren Gegnern standen."
Zunächst sieht es so aus, als solle sich die Prophezeiung des Teamchefs zu erfüllen. Zu Saisonbeginn scheint der Anschluss an das Mittelfeld in Reichweite.
Vor allem Bianchi unterstreicht zu Saisonbeginn sein Talent und fährt beim Grand Prix von Malaysia auf einen starken 13. Platz. Dieses Resultat sollte im weiteren Saisonverlauf noch Gold wert sein.
Chilton tut sich in seiner ersten Formel-1-Saison zu Beginn recht schwer. In Monaco kollidiert er mit Pastor Maldonado und ist so Mit-Auslöser der Rennunterbrechung. Auch im Qualifying-Duell gegen Bianchi sieht Chilton zunächst kein Land und liegt schnell mit 1:5 zurück.
Dafür macht der junge Brite zumindest auf dem Laufsteg, wie hier bei der traditionellen Modenschau der Formel-1-Fahrer in Monaco, eine gute Figur.
Beim Rennen am Nürburgring sorgt Bianchi unfreiwillig für eine Kuriosität. Nachdem er sein Auto mit einem Motorschaden am Streckenrand abstellt, macht sich dieses noch vor dem Eintreffen der Streckenposten selbstständig und rollt quer über die Fahrbahn den Hang hinunter.
Sportliche Highlights sucht man jedoch vergebens. Wie in den Jahren zuvor kämpft Marussia auch in der Saison 2013 am Ende des Feldes gegen Caterham. Aufs Mittelfeld fehlen Marussia vor der Sommerpause im Durchschnitt zwei Sekunden pro Runde.
Zudem muss das Team personell einen schmerzlichen Abgang verkraften. Pat Symonds, der offiziell als Berater, de facto aber als Technikchef für Marussia tätig war, wird im Juli von Williams abgeworben.
Nach der Sommerpause meldet sich Marussia mit einer Galavorstellung zurück. Im nassen Qualifying von Spa-Francorchamps erreichen sowohl Bianchi als auch Chilton im Qualifying Q2 und starten von den Plätzen 15 und 16. Im trockenen Rennen finden sich die Marussia-Piloten jedoch schnell auf den gewohnten Plätzen wieder.
Dauerthema ist in der Saison 2013 (und darüber hinaus) die angespannte Finanzlage von Marussia. Um die Teamkasse aufzubessern, setzt der Rennstall bei acht Grands Prix den venezolanischen Paydriver Rodolfo Gonzalez als Freitagstester ins Auto. Seine Formel-1-Tauglichkeit kann der 27-Jährige dabei aber nicht unter Beweis stellen.
Wirtschaftlichen Rückenwind gibt es allerdings im Sommer, als Marussia mit Ferrari einen neuen Motorenpartner vorstellen kann.
Wenig überraschend wird einige Zeit später dann Ferrari-Junior Jules Bianchi als erster Fahrer für die Saison 2014 bestätigt. Doch Bianchi überzeugt auch sportlich und hat seinen Teamkollegen Chilton locker im Griff. Nach 19 Saisonrennen steht es im Qualifying-Duell 17:2 für den Franzosen.
Für seine starke Premierensaison wird der Franzose zudem am Ende des Jahres bei den renommierten Autosport-Awards als Rookie des Jahres geehrt.
Sportlich gleicht die Schlussphase der Saison einer Zitterpartie. Marussia hofft bei jedem Rennen darauf, dass Regen und Chaos ausbleiben. Denn aus eigener Kraft kann die Konkurrenz von Caterham Platz zwölf nicht erreichen, der über Platz zehn in der Konstrukteurswertung entscheidet. Vom Anschluss an das Mittelfeld ist da schon lange keine Rede mehr.
Marussias Gebete werden erhört: Auch in Brasilien hört der Regen pünktlich zum Rennen auf. Platz zehn und wichtige Millionen sind dem Team damit sicher.
Zudem stellt Chilton einen Formel-1-Rekord auf. Der Brite kam in seiner ersten Saison bei allen 19 Rennen ins Ziel.
Dennoch ist die Zukunft des chronisch klammen Teams derzeit ungewiss. Gerüchte über eine Schließung des Rennstalls oder eine mögliche Fusion mit einem anderen Rennstall halten sich hartnäckig.
Die Saison 2013 im Rückspiegel