Die Saison 2013 im Rückspiegel
"Das Auto ist deutlich schneller, als es den Anschein hat", lautet das erste Zwischenfazit von Technikchef James Allison nach den Startpositionen sieben und acht beim Saisonauftakt in Melbourne.
Und Allison sollte damit Recht behalten: Kimi Räikkönen kommt im trockenen Rennen mit einem Stopp weniger aus als seine heißesten Konkurrenten und gewinnt den Grand Prix von Australien. Es ist sein zweiter Sieg in den letzten vier Rennen. Da vergisst man dann auch mal, dass einem der Chef eigentlich noch einen Haufen Geld schuldet...
Aber nur eine Woche später ist Räikkönen die WM-Führung auch schon wieder los: Erst vom siebten auf den zehnten Startplatz zurück (wegen Qualifying-Blockade von Nico Rosberg), dann im Rennen in Malaysia hinter Teamkollege Romain Grosjean nur Siebter.
Beim Grand Prix von China fährt Räikkönen zum einzigen Mal 2013 in die erste Startreihe - und beendet auch das Rennen als Zweiter hinter Fernando Alonso, trotz eines beschädigten Frontflügels. Teamintern steht es nach drei Rennen nach Punkten 49:11 für den "Iceman".
Vierter Grand Prix des Jahres, und immer deutlicher zeichnet sich ab: Der E21 ist ein reifenschonender Racer, aber kein guter Qualifyer. Räikkönen/Grosjean wiederholen trotzdem das Vorjahresergebnis, fahren von den Startplätzen acht und elf noch auf das Podium. Lotus ist damit vorläufig Zweiter der Konstrukteurs-WM.
Räikkönen holt auch beim Europa-Auftakt in Barcelona Platz zwei hinter Lokalmatador Fernando Alonso und bleibt damit Sebastian Vettel in der Fahrer-WM auf den Fersen. Der Rückstand beträgt nach fünf Rennen nur vier Punkte.
Grosjeans Kugel fällt beim Grand-Prix-Roulette in Monaco auf Zero: Erst ein unnötiger Trainingsunfall, durch den er beinahe das Qualifying verpasst, und dann eine Kollision mit Daniel Ricciardo im Rennen, wegen der er eine Rückversetzungs-Strafe um zehn Positionen nach Kanada mitnimmt.
Räikkönen fällt indes vom fünften auf den achten Platz zurück, unter anderem wegen einer Berührung mit dem überaggressiven Sergio Perez. Den McLaren-Fahrer beschimpft er später: "Dieser Idiot! Vielleicht braucht er mal eine Abreibung, damit er es versteht."
Im Sommer verliert Räikkönen den Anschluss zu Sebastian Vettel: Nach einer Boxenpanne, Bremsproblemen und Platz neun in Kanada fällt er nicht nur hinter Fernando Alonso zurück, sondern auf die WM-Spitze fehlen inzwischen schon 44 Punkte.
In Silverstone geht Räikkönen "all in", verpokert einen sicher scheinenden zweiten Platz, weil er während der Safety-Car-Phase nicht mehr zum Reifenwechsel kommt und alles auf Sieg setzt. Aber das geht schief: Es wird Platz fünf.
Für viel mehr Wirbel sorgt aber sein neuer Irokesen-Haarschnitt, der stets mit Kappe vor neugierigen Kameras geschützt wird. Eine denkbar schlechte Idee, wenn man eigentlich einen Haarshampoo-Werbespot drehen sollte!
Für Teamkollege Grosjean endet beim britischen Grand Prix mit der vierten Nullrunde hintereinander seine längste Durststrecke der gesamten Saison.
Auf dem Nürburgring kehrt Lotus zu alter Stärke zurück: Räikkönen wird Zweiter, Grosjean Dritter - und die Stallorder zugunsten des "Iceman" beweist, wer teamintern der beliebtere Fahrer ist. Noch.
Beim letzten Grand Prix vor der Sommerpause lässt Räikkönen eine Bombe platzen: Weil er langsam die Schnauze voll hat, verrät er bei einem Medientermin, dass er noch kein Gehalt gesehen hat. Nach und nach wird die seit Monaten dramatische Lotus-Finanzkrise auch einer breiteren Öffentlichkeit bewusst.
Aber das schmälert Räikkönens Leistungen vorerst nicht: Der Finne fährt bei seinem halben Heim-Grand-Prix in Ungarn, stets besucht von tausenden Landsleuten, erneut auf den zweiten Platz. Es ist sein sechstes Podium im zehnten Saisonrennen.
Auch wenn Grosjean am Hungaroring als Dritter der Startaufstellung den besseren Samstag abliefert, sind die Hierarchien bei Lotus klar gezogen: 134:49 Punkte und 8:2 gewonnene Qualifyings sprechen eine klare Sprache pro Räikkönen.
Übrigens: Gerade im heißen Sommer gilt die Lotus-Hospitality als beliebter Zwischenstopp bei den Journalisten. Einerseits, weil es hier immer kaltes Eis am Stiel gibt, andererseits wegen der gratis Deosprays. Den Sponsoren Magnum und Rexona sei Dank.
In Belgien eskaliert der Streit zwischen Räikkönen und dem Lotus-Management: Offiziell krank, schwänzt der "Iceman" den Medien-Donnerstag in Spa-Francorchamps. Gleichzeitig kommen die ersten Gerüchte über einen Wechsel zu Ferrari dazu - und im Rennen der erste Ausfall seit seinem Comeback in der Formel 1.
Im Herbst beginnt das Lotus-Team, das die Mitarbeitergehälter immer öfter nur verspätet bezahlen kann, auszubluten: Nach Technikchef James Allison (rechts) wechselt auch der Aerodynamiker Dirk de Beer zu Ferrari. Gute Idee, denkt sich Räikkönen - und beschließt, nach einem vierjährigen Seitensprung nach Maranello zurückzukehren. Dort war er zwischen 2007 und 2009 Bestverdiener in der Formel 1.
Beim Nachtrennen in Singapur quält sich Räikkönen trotz wieder akut werdender Rückenschmerzen, die ihn für den Rest der Saison begleiten werden, vom 13. Startplatz auf das Podium nach vorne. Pechvogel Grosjean, im Qualifying überragender Dritter, scheidet mit Defekt aus.
Der originellste Heiratsantrag des Formel-1-Jahres 2013: Lotus-Mechaniker Nick hält um die Hand von Red Bulls Hospitality-Managerin Kerry an. Die Redaktion wünscht alles Gute für eine glückliche Ehe!
Training zum Grand Prix von Südkorea: Die Körpersprache von Räikkönen nach einem Unfall spricht Bände über die Stimmung im Team. Der "Iceman" wirkt zunehmend lustlos.
Im Rennen gibt es diesmal keine Teamorder mehr - wozu sollte Lotus den künftigen Ferrari-Piloten Räikkönen, der ohnehin keine realistischen WM-Chancen mehr hat, auch noch schützen? Grosjean schafft es aber aus eigener Kraft nicht, den Finnen zu schlagen. Am Ende wieder Platz zwei und drei hinter Sieger Sebastian Vettel.
Spätestens ab dem Japan-Grand-Prix hat Lotus einen neuen Teamleader: Grosjean, der immer wieder mit einem Mentaltrainer gearbeitet hat, um seine unnötigen Fehler abzustellen, wächst über sich hinaus, erweist sich als ernsthafter Herausforderer des Red-Bull-Duos, muss sich am Ende aber doch knapp geschlagen geben. Aber: Mit dieser Leistung löst er wohl sein Ticket für die Saison 2014.
Ganz anders der Teamkollege: Räikkönen wirft das Auto im Training wieder einmal weg, kommt im Qualifying nicht mit und beendet das Rennen als Fünfter. Jetzt steht auch rechnerisch fest: Er kann 2013 nicht mehr Weltmeister werden.
Beim Grand Prix von Indien interessiert sich niemand für die Plätze drei (Grosjean nach sensationeller Aufholjagd) und sieben, sondern alles nur für den Boxenfunk-Skandal: "Kimi, mach verdammt noch mal Platz!", plärrt Chefingenieur Alan Permane, als Räikkönen den schnelleren Grosjean durchlassen soll. Aber das lässt sich ein echter "Iceman" nicht gefallen: "Schrei mich nicht an, du Arsch!"
Somit schlägt für einen anderen Finnen noch einmal die große Stunde: Heikki Kovalainen nimmt in den USA und in Brasilien im zweiten Lotus Platz, kommt aber nicht über zwei enttäuschende 14. Plätze hinaus.
Für Grosjean endet die Saison in Brasilien mit einem kapitalen Motorschaden. Lotus zieht am Ende im Kampf um Platz zwei in der Konstrukteurs-WM den Kürzeren und wird hinter Red Bull, Mercedes und Ferrari Vierter.
Aber den wichtigsten Kampf des Jahres müssen die Lotus-Bosse erst nach Saisonende ausfechten. Denn nach dem Platzen des belächelten Quantum-Deals rund um den kurios auftretenden Investor Mansoor Ijaz geht es für Gerard Lopez & Co. finanziell ums nackte Überleben.
Selbst die gut 20 Millionen Euro von Neuzugang Pastor Maldonado sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Mit dessen PDVSA-Petrodollars kann Genii Capital gerade mal die Schulden bei Räikkönen begleichen, nicht aber jene bei Kreditgeber Andrew Ruhan, Motorenlieferant Renault und dutzenden anderen Zulieferern...