Die wechselvolle Geschichte der Lokalmatadoren in Interlagos und Jacarepagua: Als Senna kollabierte und Massa weinte
Eine Heimbilanz, die sich sehen lassen kann: Bei bisherigen Ausgaben des Brasilien-Grand-Prix landeten Lokalmatadoren neun Siege. Vier Piloten waren zweimal erfolgreich, ein weiterer holte einen großen Pokal. Wir blicken zurück und beleuchten auch Dramen, die es in Sao Paulo und Jacarepagua rund um die Nationalhelden gab.
Gleich bei der Premiere des Großen Preises von Brasilien (nach einer Austragung ohne WM-Status im Vorjahr) steht Emerson Fittipaldi ganz oben. Der Paulista gewinnt das zweite Saisonrennen 1973 für Lotus in Interlagos, auch weil sein Teamkollege Ronnie Peterson wegen eines Reifenschadens aufgeben muss.
1974 wiederholt Fittipaldi seinen Triumph als McLaren-Pilot - mit Verspätung, weil das tosende Publikum auf den Tribünen die Strecke mit Glasscherben übersät hat. Peterson, der erneut mit einem Plattfuß zurückfällt, werden unbeseitigte Überreste im Duell mit dem Ex-Teamkollegen zum Verhängnis. Wegen Regens wird frühzeitig abgebrochen.
Den brasilianischen Hattrick komplett macht ein Jahr später Carlos Pace (Brabham), nach dem die Strecke in Sao Paulo heute benannt ist. Erneut geht es später los als geplant - diesmal, weil Wrackteile auf der Bahn liegen. Es ist Paces erster und einziger Formel-1-Sieg. Er kommt zwei Jahre bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.
1982 freuen sich die Fans zu früh: Nelson Piquet fährt als Erster über den Zielstrich, wird aber wie Keke Rosberg (Williams) wegen Untergewichts disqualifiziert. Denn Brabham hat in den Wagen einen illegalen Wassertank eingebaut, der sich im Laufe des Rennens entladen und es leichter hemacht hat. Startschuss zum FISA-FOCA-Krieg.
Im Jahr darauf währt die Freude länger. Piquet siegt regelkonform vor den Toren Rio de Janeiros. Ein zweiter Platz wird nicht vergeben, weil die Rennleitung Rosberg wieder aus der Wertung nimmt. Seine Williams-Mechaniker haben ihn nach einem Feuer beim Boxenstopp regelwidrig angeschoben.
Piquets zweiter Erfolg in Jacarepagua 1986 bietet mehr Dramatik: Mittlerweile bei Williams profitiert er von einer Kollision zwischen Pole-Mann Ayrton Senna (McLaren) und Teamkollege Nigel Mansell sowie von einem Motorschaden Alain Prosts (McLaren). Als einziger brasilianischer Sieger auf der Strecke trägt sie heute seinen Namen.
Lange im Pech: Ayrton Senna. Dem Idol der Nation werden ein Turboschaden (1984), Elektronikprobleme (1985) und ein Motorplatzer (1987) zum Verhängnis. Dass er drei Pole-Positions nicht in sichere Siege ummünzt, liegt an einem Getriebeschaden (1988) und Kollisionen mit Gerhard Berger (1989) sowie dem überrundeten Satoru Nakajima (1990).
Der 24. März 1991 wird dann der Tag des Helden: Senna schleppt seinen McLaren in Interlagos ins Ziel, als er zunächst ohne vierten, später auch ohne dritten und fünften Gang fahren muss. In einigen Kurven hält er den Honda-Motor mit Mühe am Leben. Dass auch seine Williams-Rivalen Getriebeprobleme und Reifenschäden haben, ist Glück.
Bei 30 Grad Celsius und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit verausgabt sich Senna bei dem Versuch, den McLaren auf der Bahn zu halten, bis auf das Letzte. Übermannt von seinen Emotionen, sich einen Kindheitstraum erfüllt zu haben, und mit Fieber von Krämpfen geschüttelt, muss er aus dem Auto gehoben und vom Medical-Car zum Podium gefahren werden
1993 gewinnt wieder Senna dramatisch. Auf zunächst trockener Bahn sieht alles nach einem Sieg des Lokalmatadoren aus, ehe er für das Überrunden bei gelber Flagge eine Stop-and-Go-Strafe kassiert. Als monsunartiger Regen einsetzt und das erste Mal in der Geschichte die Safety-Car-Regel angewendet wird, wendet sich das Blatt erneut.
Während Alain Prost (Williams) eine deutliche Führung riskiert und auf Slickreifen crasht, macht Senna alles richtig und krönt seine Leistung mit einem siegbringenden Überholmanöver gegen Damon Hill (Williams).
Ein ewiger Brasilien-Pechvogel bleibt trotz der Pole-Positions Rubens Barrichello. 2003 ist er dicht dran an einem Heimsieg, doch ein Defekt am Benzinsystem bremst seinen Ferrari in Führung liegend aus.
Besser läuft es für Felipe Massa, auch wenn ihm seine Emotionen beinahe teuer zu stehen kommen: Nach seinem ersten Erfolg 2006 hält er im Ferrari im Senna-S an und lässt sich von einem Fan eine Flagge für die Ehrenrunde geben. Ein Verstoß gegen das Sportliche Reglement, über den die FIA aber hinwegsieht.
Ein Triumph unter Tränen ist sein Interlagos-Sieg zwei Jahre später. Massa gewinnt das Rennen, verliert aber den WM-Titel an Lewis Hamilton (McLaren), nachdem er in dem Glauben, der neue Champion zu sein, über die Ziellinie gefahren ist und seine Familie in der Box schon gejubelt hat.
2016 weint Massa wieder, weil er glaubt, seine Formel-1-Karriere zwei Wochen später zu beenden - nicht ahnend, dass ihm der Rücktritt Nico Rosbergs eine weitere Saison bei Williams in der Königsklasse bescheren wird. Der Paulista zieht mit Frau und Kind unter frenetischem Jubel der Fans durch die Boxengasse.
Die wechselvolle Geschichte der Lokalmatadoren in Interlagos und Jacarepagua: Als Senna kollabierte und Massa weinte