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Ferrari-Teamorder auch in Baku? Leclerc will abwägen, Vettel verteidigt Team

Wird Charles Leclerc auch in seinem vierten Ferrari-Rennen vom Team gebremst? Er und Sebastian Vettel schildern ihre Gedanken zum Thema Teamorder

(Motorsport-Total.com) - Seit Formel-1-Shootingstar Charles Leclerc im Winter von Sauber zu Ferrari gewechselt hat, wurde er in jedem einzelnen seiner bisher drei Rennen für die "Roten" über Funk eingebremst. Beim Saisonauftakt, dem Grand Prix von Australien in Melbourne, durfte Leclerc in der Schlussphase keinen Angriff auf seinen an vierter Stelle fahrenden Teamkollegen Sebastian Vettel reiten, obwohl er schneller war. Vettel, der mit nachlassenden Reifen kämpfte, durfte Vierter werden. Leclerc musste sich bei seinem Ferrari-Debüt mit P5 begnügen.

Beim zweiten Saisonrennen, dem Grand Prix von Bahrain in Sachir, wurde der von der Pole-Position gestartete Leclerc nach verpatztem Start im Zuge seiner Aufholjagd angewiesen, zunächst zwei Runden hinter Vettel zu bleiben. Der Monegasse überholte den Teamkollegen aber schon zu Beginn der nächsten Runde. Seinen ersten Grand-Prix-Sieg verpasste Leclerc daraufhin nur aufgrund eines technischen Problems am Ferrari-Motor. Als Dritter lag er im Ziel aber sogar noch zwei Plätze vor Vettel, der sich im Rennverlauf einen Dreher geleistet hatte.

Beim dritten Saisonrennen, dem Grand Prix von China in Schanghai, wurde Leclerc direkt in der Anfangsphase angewiesen, Vettel überholen zu lassen. Der Deutsche wurde am Ende Dritter, Leclerc Fünfter. Während für Ferrari somit nach drei Rennen zwei dritte Plätze als beste Ergebnisse zu Buche schlagen, hat Mercedes seine beiden Piloten Lewis Hamilton und Valtteri Bottas in allen drei Rennen auf den Plätzen eins und zwei ins Ziel gebracht.

Teamchef Binotto ist derjenige, der entscheidet

In der Fahrerwertung vor dem vierten Saisonrennen, dem Grand Prix von Aserbaidschan in Baku an diesem Wochenende, führt Hamilton mit sechs Punkten Vorsprung auf Bottas. Die beiden Ferrari-Piloten Vettel und Leclerc rangieren durch nur einen Punkt voneinander getrennt auf den Tabellenplätzen vier und fünf hinter Max Verstappen (Red Bull). Dabei fehlen Vettel als Tabellenviertem bereits 31 Punkte auf WM-Spitzenreiter Hamilton.

Die Frage, die sich mit Blick auf das Rennen in Baku am Sonntag viele stellen: Greift Ferrari zum vierten Mal in dieser Saison zu einer Teamorder zu Gunsten Vettels und zu Ungunsten Leclercs? "Ich weiß es nicht", meint Leclerc und verweist darauf, dass die Entscheidung darüber bei Teamchef Mattia Binotto liege: "Diese Frage muss man eher Mattia stellen. Er entscheidet, nicht ich."

Mattia Binotto

Mattia Binotto entschied 2019 schon dreimal pro Vettel und contra Leclerc Zoom

Und wie sieht Vettel das Ganze? Der viermalige Weltmeister, der seit 2015 für Ferrari fährt, dort aber bislang noch keinen WM-Titel errungen hat, vergleicht die Situation mit Leclerc mit jener als er im Zeitraum 2015 bis 2018 Kimi Räikkönen als Teamkollege hatte. "Ich würde sagen, es ist mehr oder weniger das Gleiche wie in vorigen Jahren auch. Wir versuchen, so viele Punkte wie möglich einzufahren. Das hat Priorität für uns und daher denke ich, dass es normal ist, alles bestmöglich machen zu wollen", so Vettel, um als Nachsatz hinzuzufügen: "Das sehen alle so."

Leclerc will abwägen, sich nicht bedingungslos fügen

Gilt das aber wirklich auch für Leclerc? Frustrierend ist es für den 21-jährigen Ferrari-Neuzugang allemal, sich Vettel als der vermeintlichen Nummer 1 im Team wiederholt unterordnen zu müssen. Würde Leclerc eine weitere Teamorder überhaupt akzeptieren? "Das hängt von der Situation ab. Teamorder wird es in der Formel 1 natürlich immer geben. Aber es hängt von den Umständen ab. In einigen Situationen werde ich das", antwortet der Youngster konkret auf das Akzeptieren und stellt damit klar, sich nicht bedingungslos fügen zu wollen.

Ein Gespräch mit Teamchef Binotto hat Leclerc jedenfalls nicht unbedingt weitergebracht, wie er sagt: "Ich habe ihn gefragt, aber die Antwort ist immer die gleiche. Er trifft die Entscheidung an der Boxenmauer. Sie haben dort viel mehr Daten als ich sie im Auto habe. Wie das in Zukunft läuft, werden wir sehen."

"Es ist natürlich frustrierend, wenn du im Auto sitzt und angewiesen wirst, einen anderen Fahrer überholen zu lassen", gesteht Leclerc ganz offen, sieht aber auch eine andere Seite: "In gewisser Weise kann ich es verstehen. Seb fährt jetzt sein fünftes Jahr in diesem Team. Er ist viermaliger Weltmeister. Ich hingegen befinde mich in meiner zweiten Formel-1-Saison. Ich muss noch vieles beweisen. Es liegt an mir, im Auto den bestmöglichen Job zu machen, um dem Team damit zu beweisen, wozu ich in der Lage bin. Ich glaube, ich muss einfach so weitermachen wie bisher und versuchen, mich selber zu verbessern. Dann wird es sich hoffentlich bald ändern."

Charles Leclerc

Charles Leclerc: Zweite F1-Saison, erste für Ferrari und schon kurz vor erstem Sieg Zoom

Vettel kann Diskussionen und Emotionen verstehen

Dass das Thema Teamorder heiß diskutiert wird, kann Vettel durchaus nachvollziehen. "Ich verstehe, dass Leute darüber sprechen, welche Entscheidungen wir hier und da getroffen haben. Es ist aber einfach unmöglich zu sagen, wo wir in ein paar Monaten oder in einem halben Jahr [von den Punkten her] stehen werden. Die Antwort darauf wird nur die Zeit geben können. Wir werden sehen."

Aus dieser Sicht verteidigt Vettel insbesondere die Teamorder beim zurückliegenden Rennen. "In China hatte ich im ersten Stint das Gefühl, dass ich schneller war [als Leclerc]. Leider konnten wir die Mercedes aber nicht einholen. Das gilt für uns beide. Somit haben wir den Sieg, den wir uns vorgenommen hatten, verpasst." Ein Sieg sei aber konkret "das Ziel gewesen und deshalb bin ich mir sicher, dass wir einen einfahren werden, wenn wir weiter intensiv arbeiten", so Vettel.

Sebastian Vettel

Sebastian Vettel: Fünftes Ferrari-Jahr, Jagd auf ersten Titel in Rot hält an Zoom

Für Leclerc wäre ein solcher Sieg ganz "nebenbei" der erste Grand-Prix-Sieg seiner Karriere, nachdem ihm dieser in Bahrain kurz vor Schluss unverschuldet durch die Lappen gegangen ist. Besessen davon, seinen ersten Sieg in Kürze einzufahren, ist der 21-Jährige aber nicht.

Konzentriert man sich zu sehr aufeinander?

"Momentan bin ich besessen davon, im Auto den bestmöglichen Job zu machen und das volle Potenzial zu entfalten", sagt Leclerc und weiter: "Wenn mir das gelingt, bin ich sicher, dass auch die Ergebnisse kommen werden. Ich warte ungeduldig auf diesen Moment [den ersten Sieg], sollte er denn überhaupt jemals kommen. Genau daran arbeite ich. Ich bin aber nicht besessen davon, denn nur an den Sieg zu denken, wäre meiner Ansicht keine gute Herangehensweise an ein Wochenende."

Angesichts des Punkteunterschieds von nur einem Zähler nach drei Rennen, obwohl er in allen drei Rennen eingebremst wurde, stellt sich für Leclerc weniger die Frage, ob er Vettel auf die Saison gesehen schlagen kann, sondern vielmehr ob er das auch darf. "Ich weiß es nicht. Es ist noch sehr früh in der Saison und das ist eine knifflige Frage. Dass das Potenzial dafür da ist, glaube ich absolut. Aber um dieses Potenzial entfalten zu können, muss ich hart arbeiten und vieles richtig machen", so der Neuzugang im Team.

Sebastian Vettel, Charles Leclerc, Lewis Hamilton

In der WM trennt Vettel und Leclerc vor Baku nur ein Punkt - trotz dreimal Teamorder Zoom

Konzentriert man sich bei Ferrari womöglich zu sehr auf den jeweiligen Teamkollegen anstatt auf die Rivalen, die allen voran von Mercedes angeführt werden? "Das glaube ich nicht. Es ist mehr oder weniger das Gleiche wie früher", meint Leclerc und stimmt Vettel in diesem Punkt zu. Der Youngster versichert mit Nachdruck: "Ich konzentriere mich nicht auf meinen Teamkollegen, sondern auf mich selbst. Dann werden hoffentlich auch die Ergebnisse kommen."

Vettel glaubt weiter fest an Titelchance

Dass Leclerc im Boxenfunk zuweilen ungeduldig rüberkommt, will Vettel nicht direkt auf die Teamorder schieben: "Das Problem bei Funksprüchen ist, dass man als Außenstehender beim Hören nicht weiß, in welchem Gemütszustand wir gerade im Rennen sind. Natürlich versuchen wir zu jedem Zeitpunkt, so schnell wie möglich zu fahren. Wenn dir da jemand eine Frage stellt, ist es meiner Meinung nach normal, dass man nicht so antwortet wie wenn man zu Hause entspannt mit einem Drink auf der Couch sitzt. Ich finde, Emotionen sind ein Teil unseres Sports und das ist gut so."

In gewisser Weise fühlt sich Vettel beim Gedanken an Leclercs aktuelle Situation an seine eigene in der Saison 2009 bei Red Bull erinnert. Damals fuhr der deutsche die zweite volle Saison seiner Formel-1-Karriere und die erste in einem Topteam. So gesehen kann der Routinier die Aussagen und das Verhalten seines jungen Teamkollegen bezüglich Teamorder durchaus nachvollziehen.

"Ich selbst denke jetzt natürlich anders über Dinge als es vor zehn Jahren der Fall war. Ich glaube, das gilt für jeden. Das hat einfach etwas mit Alter und Erfahrung zu tun. Ich bin mir sicher, dass er in zehn Jahren anders denken wird als jetzt. Und auch ich werde in zehn Jahren anders denken", so Vettel, um zu gestehen. "Eine richtig gute Antwort kann ich aber nicht geben. Ich denke noch darüber nach."

Sebastian Vettel, Lewis Hamilton

Lewis Hamilton hat nach drei Rennen 2019 schon 31 Punkte mehr als Vettel Zoom

Über eine andere Frage denkt Vettel derweil nicht lange nach - nämlich jene, ob er sowohl Leclerc als auch Tabellenführer Hamilton auf die Saison gesehen hinter sich lassen kann: "Ich glaube fest daran, dass ich Weltmeister werden kann. Ich denke, das beantwortet die Frage in Bezug auf beide." Die Zukunft wird zeigen, ob Vettel Recht behält ...