Hauchdünne Entscheidungen, ein Boykott und der einzige (halbe) WM-Punkt für eine Frau: die 65-jährige Historie des Grand Prix' von Spanien
Alles begann am 28. Oktober 1951: In Spanien, das damals unter der Diktatur Francos leidet und von der wirtschaftlichen Prosperität anderer europäischer Staaten weit entfernt ist, wird erstmals ein Grand Prix ausgetragen. Die Wahl fällt auf das beschauliche Örtchen Pedralbes vor den Toren Barcelonas. Das katalanische Dorf, das sonst nur für ein gothisches Kloster bekannt ist, erlebt den ersten WM-Titel Juan Manuel Fangios. Für Alfa Romeo gewinnt er das Saisonfinale und damit auch die Krone gegen Alberto Ascari.
Vier Jahre später steht Pedralbes wieder auf dem Programm, doch es heult nie ein Motor auf. Nach der Le-Mans-Tragödie von 1955 um den Unfall von Pierre Levegh, die dem Fahrer und 80 weiteren Menschen das Leben kostet, wird das Rennen wegen Sicherheitsbedenken abgesagt. Der 6,316 Kilometer lange Straßenkurs, der nur sechs Kurven hat und auf einer langen Geraden höllisches Tempo zulässt, wird von der Formel 1 nie wieder befahren.
Doch schon zu Zeiten Francos geht es zurück nach Spanien. Genauer gesagt nach Jarama. 1967 eröffnet der nationale Motorsport-Verband nördlich von Madrid eine neue permanente Rennstrecke mit einem Grand Prix, der nicht zur Meisterschaft zählt: Jim Clark gewinnt für Lotus auf einer nur 3,850 Kilometer langen, aber kurvenreichen Bahn im spanischen Niemandsland.
Schon im Jahr darauf handelt es sich um einen offiziellen WM-Lauf, den Graham Hill für sich entscheidet. Doch selbst ein Despot wie Franco muss die Spanier und ihre sprachlich, historisch und kulturell so unterschiedlichen Regionen, die sich teilweise spinnefeind sind, besänftigen. Es wird eine alternierde Austragung vereinbart. Gerade Jahreszahlen gehören dem kastillischen Jarama, ungerade dem katalanischen Montjuic.
Der Plan wird sofort umgesetzt: 1969 debütiert der Straßenkurs rund um Barcelonas Hausberg, den die Kollegen von 'Autosport' zu den zehn besten Formel-1-Strecken der Geschichte zählen. Es geht durch eine bewaldete Parklandschaft durch Wohngebiete, die Zuschauer genießen den Ausblick auf den Hafen Barcelonas. Das Tempo macht sie jedoch auch zu einer der gefährlichsten.
1974 - wieder in Jarama - schlägt eine historische Stunde. Niki Lauda gewinnt für Ferrari das erste Formel-1-Rennen seiner Karriere. Ab zunächst nasser, dann aber abtrocknender Strecke profitiert Lauda von technischen Defekten an den Autos von Ronnie Peterson und Jacky Ickx.
Im Jahr darauf schlägt in Montjuic die Schicksalsstunde. Schon während der Rahmenrennen kommt im Fahrerlager der Verdacht auf, dass die Leitplanken am Streckenrand nicht so installiert wären, dass sie einem Aufprall standhalten würden. Es entbrennt eine Diskussion, schließlich entscheiden sich die Fahrer sogar für einen Boykott. Die durch das Franco-Regime bestellten Organisatoren drohen damit, die Autos zu konfiszieren. Und die Piloten geben schließlich nach...
...außer Emerson Fittipaldi, der nach nur einer Runde die Box ansteuert und den Dienst quittiert. Rolf Stommelen fährt. Der Heckflügel seines Lola bricht, er rast in die Absperrung. Bei dem Unfall verlieren fünf Zuschauer ihr Leben. Das Rennen wird abgebrochen und Jochen Mass gewinnt, erhält dafür aber nur halbe Punkte. Für die teuflisch schnelle, aber sehr enge Strecke in Montjuic kommt zusammen mit dem Ende der Diktatur in Spanien das Formel-1-Aus.
Wovon kaum noch jemand Notiz genommen hat: Lella Lombardi holt als bisher einzige Frau einen WM-Punkt, da sie in ihrem March-Ford mit zwei Runden Rückstand als Sechste gewertet wird. Nur acht Autos erreichen überhaupt die Abbruch-Runde 29. Genau genommen stimmt die Sache aber gar nicht: Der Italienerin erhält nur einen halben Zähler, weil wegen der absolvierten Distanz geteilt wird. Somit müssen die Frauen bis heute auf ihren ersten Punkt warten.
Weiter geht es bis 1981 in Jarama, wo schon 1976 das nächste Drama folgt: Allerdings ist es in diesem Fall nur ein sportliches und wird dem Begriff in Anbetracht der Vorgeschichte nicht gerecht. James Hunt gewinnt vor Lauda und erhält den Pokal aus den Händen König Juan Carlos, der aus dem Exil in Rom zurückgekehrt ist. Am Abend wird der britische Lebemann disqualifiziert. Der McLaren ist 4,572 Zentimeter zu breit. Teddy Mayer legt gegen die Entscheidung sofort Einspruch ein und ist erfolgreich - allerdings erst zwei Monate später. Das Argument: Die Goodyear-Reifen haben sich nach dem Abkühlen ausgedehnt.
Weitere Kontroversen lassen nicht lange auf sich warten: 1980 erkennt Jean-Marie Balestre (rechts), damals Präsident des FIA-Vorgängers FISA, dem Rennen den WM-Status ab. Es starten nur die zwölf unter der Flagge der Konstrukteursvereinigung FOCA von Bernie Ecclestone und Max Mosley (links im Bild) organisierten Teams. Sie haben zuvor aufgrund ihrer Unterrepräsentation gegenüber den Werksteams Ferrari, Renault und Alfa Romeo bei strategischen Entscheidung der Formel 1 Fahrermeetings boykottiert. Die Regeln sichern dem Trio damals eine Sperrminorität zu.
Balestre belässt es zunächst bei Geldstrafen in Höhe von 2.000 US-Dollar (damals umgerechnet rund 3.300 Deutsche Mark), entzieht drei Tage vor dem Rennen aber 15 Piloten die Lizenz, weil sie nicht bezahlen. Die FOCA-Fraktion will abreisen. Juan Carlos von Spanien schaltet sich ein und will die Bußgelder durch den Motorsport-Verband auslegen lassen, doch die FISA schiebt dem einen Riegel vor. Balestre will Zaster von den Fahrern sehen und den Nachweis dafür. Der König findet ein Schlupfloch und lässt den Grand Prix unter nationaler Aufsicht, nicht unter FISA-Ägide, austragen, eine Lizenz ist nicht mehr nötig. Alan Jones feiert im Williams einen letztlich bedeutungslosen Sieg in Abwesenheit von Ferrari, Renault und Alfa Romeo.
1981 schlägt die Sternstunde des Gilles Villeneuve. Der Kanadier wird endgültig Enzo Ferraris Lieblingskind, als er ein schon fast verloren geglaubtes Herzschlagfinale gewinnt. Villeneuve kommt 0,22 Sekunden (damals war die Zeiterfassung auf die Tausendstelsekunde noch nicht möglich) vor Jacques Laffite ins Ziel. Auch John Watson, Carlos Reutemann und Elio de Angelis überqueren die Linie binnen 1,24 Sekunden nach dem Ferrari-Star. Es ist die zweitengste Zielankunft in der Geschichte der Formel 1.
Zuvor zeigt Villeneuve sein ganzes Können: Weil es in Jarama unglaublich heiß ist, begehen viele Piloten Fahrfehler. Den Kanadier plagt in Führung liegend ein Lenkungsproblem am Ferrari, die ihn hetzende Meute scheint um Sekunden schneller fahren zu können. Villeneuve jedoch macht in den Kurven so geschickt die Schotten dicht, dass es keine Chance gibt, ihn auf den Geraden zu attackieren und rettet Platz eins ins Ziel. Spanien wird die Sache zum Verhängnis: Weil die Strecke in Jarama als zu eng befunden wird und zu wenig Zuschauer kommen, ist es der vorerst letzte Grand Prix auf der iberischen Halbinsel.
Das Comeback gibt es erst 1986: in Jerez, und gleich winkt ein Jahrhundert-Duell. Ayrton Senna führt im Lotus auf uralten Reifen, rutscht und driftet, während von hinten der mit neuen Pneus ausgestattete Nigel Mansell im Williams heranfliegt. Der "Löwe" versucht alles, um am Brasilianer vorbeizukommen, doch Senna verteidigt sich virtuos und wirft teilweise radikal die Tür zu. Am Ende rettet er den Wimpernschlag von 0,014 Sekunden Vorsprung über die Linie. Mansell beklagt sich nachher nicht, sondern erfreut sich an der Action: "Wir hätten beide 7,5 Punkte bekommen sollen."
1991 geht es geht zurück nach Katalonien, genauer gesagt an den Circuit de Catalunya vor den Toren Barcelonas. In der Gaudi-Metropole finden ein Jahr später die Olympischen Sommerspiele statt, was die Spanier medienwirksam nutzen. Die Strecke ist nagelneu und entspricht modernen Anforderungen. Interessante Randnotiz: Es ist das Antrittsrennen des frisch gewählten FISA-Präsidenten Mosley, das Nigel Mansell für Williams gewinnt.
1996 regnet es wie aus Kübeln und es wird Geschichte geschrieben. Mit einem Husarenritt durch den Monsun siegt Michael Schumacher erstmals in seiner Karriere in einem Ferrari. Binnen zehn Runden begehen die Konkurrenten einen Fahrfehler nach dem anderen, was den Kerpener vor fast 30.000 deutschen "Schumania"-Fans auf den Tribünen von Rang sechs auf eins spült. Nach einem spielerischen Überholmanöver gegen Jacques Villeneuve fliegt er zum Erfolg und ist bis zu drei Sekunden pro Runde schneller als der Rest.
Offiziell als "Grand Prix von Europa" deklariert gibt es in Spanien 1997 wieder ein Rennen, das kein Formel-1-Fan, der es gesehen hat, jemals vergessen wird. Schumacher führt die WM mit einem Punkt vor Villeneuve an und wäre Weltmeister, wenn beide nicht punkten. Als Villeneuve ihn überholen will, rammt der Ferrari-Pilot seinen Kontrahenten, scheidet aber nur selbst dabei aus. Der Kanadier holt den Titel, "Schumi" werden alle Punkte aberkannt.
2001 gibt es nochmals ein großes Drama: Mika Häkkinen im McLaren liegt mit über 40 Sekunden in Führung und hat sogar schon den auf Rang drei befindlichen Juan Pablo Montoya überholt, als die Hydraulik in der letzten Runde versagt. Der Finne rollt weniger als drei Kilometer vor dem Sieg aus, Schumacher erbt. Immerhin gibt es von Teamkollege David Coulthard eine Taxifahrt - ohne Geldstrafe.
Von 2008 bis 2012 gab es mit dem Europa-Grand-Prix in Valencia ein weiteres Rennen auf spanischem Boden. Obwohl die Abschiedsvorstellung ansehnlich war, fungierte der Kurs rund um die Americas-Cup-Werften eher als Narkotikum für Formel-1-Fans denn als Spannungsfaktor. Hinzu kam, dass auch die Einheimischen trotz des Alonso-Heimsieges 2012 keinen Gefallen an der defizitären Veranstaltung fanden - ein beliebstes Stadtfestival wurde deshalb gestrichen.
Vorhang auf für Pastor Maldonado: 2012 poliert der als Paydriver und Bruchpilot gescholtene Venezolaner seinen Ruf auf, indem er einen absolut überzeugenden Grand-Prix-Sieg landet und Alonso auf der Stecke düpiert. Es ist der erste Williams-Erfolg seit Brasilien 2004 und der erste (und einzige) in der Karriere Maldonados.
2016 gibt es mit Max Verstappen einen weiteren Premierensieger. Der Niederländer war erst vor dem Rennen von Toro Rosso zu Red Bull geholt worden und profitiert von einer teaminternen Kollision bei Mercedes. Rosberg, der zuvor alle Saisonrennen gewonnen hatte, will Hamilton in der ersten Runde blocken, der kommt auf das Gras und rutscht in seinen Teamkollegen hinein.
Hauchdünne Entscheidungen, ein Boykott und der einzige (halbe) WM-Punkt für eine Frau: die 65-jährige Historie des Grand Prix' von Spanien