Eigenbau statt Übernahme: Ein Dutzend Teams stampften seit 1990 ein eigenes Projekt aus dem Boden, nur vier überlebten
Ohne Michael Andretti kommt Cadillac jetzt in die Formel 1. Doch das ist gar nicht so leicht! In den vergangenen Jahrzehnten gab es zahlreiche Teamübernahmen und Umbenennungen, doch nur 13 Mannschaften gründeten sich seit dem Jahr 1990 neu. Überlebt haben nur vier Projekte, davon lediglich eines in der ursprünglichen Form. Wir erzählen die Storys dahinter!
Life (1990): Das italienische Projekt glänzt kaum - schon gar nicht durch Bescheidenheit. Life bringt 1990 nicht nur sein eigenes Formel-1-Team an den Start, sondern konstruiert auch einen eigenen Zwölfzylinder-Motor mit 3,5 Litern Hubraum und exotischer W-Bauweise. Gründer Ernesto Vita (der für die Teambezeichnung seinen Nachnamen aus dem Italienischen ins Englische übersetzt) erlebt sein Waterloo ...
In 14 Grands Prix qualifiziert sich das einzige an den Start gebrachte Auto nicht ein einziges Mal - auch nicht, als die Mannschaft auf einen V8 von Judd umsattelt. Die leidtragenden Piloten sind erst Gary Brabham, später Bruno Giacomelli. Für die beiden wohl mehr Erlösung als Trost: Schon vor dem Saisonende ist Life mausetot.
Modena (1991): Ein heimliches Werksteam tritt 1991 seinen Dienst an. Lamborghini und sein damaliger Mutterkonzern Chrysler besitzen einen Zwölfzylinder-Motor und kommen zu einem Chassis wie die Jungfrau zum Kinde. Weil ein mexikanischer Traumtänzer sein Projekt namens GLAS fallen und die Italiener auf den Entwicklungskosten sitzen lässt, entschließen sich die Verantwortlichen, ein eigenes Auto ins Rennen zu schicken. Modena, benannt nach der Heimat der Marke und aufgrund der trüben Erfolgsaussichten nicht nach ihr selbst, ist geboren!
An der Spitze steht der Gründer des Sportartikel-Herstellers Fila, der große Summen in das Projekt pumpt. Seine Lira hätte er sich besser gespart: Obwohl Nicola Larini beim Saisonauftakt in den USA als Siebter (mit fünf Runden Rückstand!) gleich das beste Resultat für Modena einfährt, fehlen ihm und Eric van de Poele fortan regelmäßig bis zu zehn Sekunden auf die Pole-Zeiten. Es gelingt kaum noch eine Qualifikation und das Geld geht endgültig zuneige, als sich Lamborghini von dem Projekt distanziert. Ende 1991 wird zugesperrt.
Jordan (1991): Eine der wenigen Erfolgsstorys schreibt ein verrückter Ire namens Eddie Jordan. Der gelernte Bankier bringt sein mit zwei Titeln durch Johnny Herbert und Jean Alesi dekoriertes Formel-3000-Team in der Saison 1991 in die Königsklasse. Ein Motorendeal mit Ford und ein Sponsorenvertrag mit Pepsi sind die Grundlage, den Jordan 191 mit Routinier Andrea de Cesaris und Betrand Gachot zu melden. Dass der Belgier wegen einer angeblichen Reizgas-Attacke auf einen Londoner Taxifahrer hinter Gitter wandert, verhilft einem gewissen Michael Schumacher zu seinem Formel-1-Debüt.
Es folgen 250 Rennteilnahmen mit vier Grand-Prix-Siegen, verrückten Ideen und der Geburt der Boxenluder, ehe Jordan 2005 für 60 Millionen US-Dollar an die Midland-Gruppe verkauft. Das Team existiert danach als Midland, Spyker, Force India, Racing Point und inzwischen Aston Martin bis heute weiter. 2022 fährt Sebastian Vettel sein letztes Formel-1-Rennen für den Rennstall.
Sauber (1993): 1967 fährt Sauber mit einem Volkswagen Käfer zur Arbeit, bis ihn ein Freund dazu überredet, ihn tunen zu lassen und an Clubrennen teilzunehmen. Eine Passion ist geboren. Nach Gründung des Mercedes-Juniorteams in der Sportwagen-WM wagt der Schweizer 1993 den Einstieg in die Formel 1: Karl Wendlinger und JJ Lehto sind die ersten Piloten des indirekt über Motorenpartner Ilmor von Mercedes unterstützten Projekts, das sofort erfolgreich ist: Der Finne holt beim Saisonauftakt in Südafrika WM-Punkte.
Wenn auch oft knapp bei Kasse, ermöglichen Deals mit Petronas und BMW Sauber später große Erfolge - auch als Talentschmiede. Den einzigen Grand-Prix-Sieg holt 2008 Robert Kubica in Kanada, als man das BMW-Werksteam bildet. Aktuell geht der Rennstall aus Hinwil in der Formel 1 als Alfa Romeo an den Start, ab 2026 wird man zum neuen Audi-Werksteam.
Pacific (1994): Ein Team, das in jeder Nachwuchsserie, an der es teilnimmt, gewinnt, muss doch auch in der Formel 1 reüssieren, oder? Pustekuchen! Als sich 1993 Ex-Mechaniker und Neo-Teamchef Keith Wiggins ein von Reynard entwickeltes Chassis sichert (die US-Amerikaner hatten selbst in die Königsklasse einsteigen wollen, das Vorhaben aber in Ermangelung eines Motors verworfen), beginnt die Irrfahrt des Pacific-Projekts.
Ein Start mit dem Deutschen Michael Bartels scheitert an den Finanzen, 1994 greifen dann Bertrand Gachot und Paul Belmondo - der Sohn des französischen Filmstars - mit Ilmor-Power ins Lenkrad. Die Qualifikation gelingt nur siebenmal, eine Zielankunft nie. Das Fiasko setzt sich 1995 mit Ford-Motoren und neuen Piloten fort, das Geld geht Pacific zum Ende des Jahres aus. Der letzte Sargnagel für die Briten.
Simtek (1994): Co-Gründer des für seine lilafarbene Lackierung und den tödlichen Unfall Roland Ratzenbergers zu zweifelhafter Prominenz gelangten Teams ist der spätere FIA-Präsident Max Mosley. Das Rezept: kostengünstig im eigenen Windkanal entwickeln, wo schon zu Beginn der Neunzigerjahre im Auftrag von BMW ein Formel-1-Auto entsteht. Mit dem eigenen Chassis, Ford-Power im Heck, dem Musiksender MTV als Sponsor und Rennlegende Jack Brabham als neuem Teilhaber geht es ab 1994 auf die Grand-Prix-Strecke.
Das Problem: der Bolide wird mit aktiver Radaufhängung fertiggestellt, die Technik aber vor Saisonbeginn verboten. Simtek kommt (unter anderem mit Bruchpilot Taki Inoue) auf keinen grünen Zweig. Als 1995 die Sponsoren den Geldhahn zudrehen, ziehen sich die Briten mitten in der Saison zurück.
Forti (1995): Ein knallgelbes U-Boot unternimmt in der Formel 1 seine Tauchgänge allen voran in den Tiefen des Klassements. Als Guido Forti aus seinem Juniorteam 1995 eine Mannschaft für die Königsklasse macht, besorgt ein brasilianischer Supermarkt-Boss die nötigen Millionen. Der Clou: In seinen Geschäften bietet er Unternehmen von Weltrang bevorzugte Platzierung, wenn sie bei Forti einsteigen. Als Gegenleistung für die Geldbeschaffung bekommt sein Sohn Pedro Diniz ein Cockpit.
Mit Ex-Ferrari-Rennleiter Cesare Fiorio in der Verantwortung floppt das komplett selbst entwickelte Chassis jedoch. Weder Diniz noch Teamkollege Roberto Moreno holen WM-Punkte. Forti, das anschließend auf Luca Badoer und Andrea Montermini setzt, geht 1996 nicht nur der gelbe Lack, sondern auch das Geld aus, als ein dubioser Sponsor nicht zahlt. Arrivederci!
Stewart (1997): Um Jackie Stewart und seinen Sohn Paul von einem Formel-1-Einstieg mit ihrer Nachwuchsschmiede (für die Stewart jun. noch kurz zuvor selbst ins Lenkrad gegriffen hatte) zu überzeugen, braucht es einen Werksdeal mit Ford und den Staat Malaysia als Sponsor. Als 1997 alles unter Dach und Fach ist, bauen die Schotten an einem Standort namens Milton Keynes ihren ersten Boliden. Rubens Barrichello und Jan Magnussen haben mit den unzuverlässigen Modellen SF01 und SF02 ihre liebe Mühe, doch der SF3 ist 1999 eine kleine Wunderwaffe.
Mit Cosworth-Unterstützung fährt der Brasilianer dreimal auf das Podium, Neuzugang Johnny Herbert siegt am Nürburgring. Ford will mehr und kauft das Team als Jaguar-Werksmannschaft, doch die Formkurve zeigte abwärts - bis 2005 der Red-Bull-Konzern den Rennstall übernimmt. Der Rest ist Geschichte ...
Toyota (2002): Ein Automobilgigant bläst 2002 zum Großangriff auf die Formel 1. In ein in Köln beheimatetes Werksprojekt pumpt Toyota nach gescheiterter Le-Mans-Attacke Unsummen und testet vor dem Einstieg in die Königsklasse auf elf Grand-Prix-Kursen. Das hilft dem von Gustav Brunner entworfenen TF102 herzlich wenig: Obwohl beim Debüt in Australien und in Brasilien dank Mika Salo in den Punkterängen, geht Toyota schnell die Puste aus.
Nach einer Spionageaffäre um Ferrari bekrabbelen sich die Japaner 2005 und haben erstmals ein siegfähiges Auto, jedoch schrammten Ralf Schumacher, Jarno Trulli und später Timo Glock am Coup mehrmals vorbei. Als die Leistungen auf hohem Niveau stagnieren, zieht Toyota Ende 2009 auch unter dem Einfluss der japanischen Regierung den Stecker - obwohl für 2010 angeblich ein Wunderauto in der Garage steht ...
Super Aguri (2006): Toyotas großer Rivale ist damals Honda, und 2005 haben die Japaner die Idee, neben dem eigenen Werksteam auch noch ein inoffizielles B-Team auf die Beine zu stellen. Damit will man unter anderem die Formel-1-Karriere von Lokalmatador Takuma Sato retten, für den im Werksteam kein Platz mehr ist. Mit Ex-Formel-1-Pilot Aguri Suzuki an der Spitze und Sato und einem gewissen Yuji Ide im Cockpit beginnt das japanische Projekt, ...
... das jedoch keine 2,5 Saisons durchhält. Ide erlangt zweifelhaften Ruhm, weil er mit der Formel 1 komplett überfordert ist und die FIA ihm die Superlizenz nach nur vier Rennen und mehreren Zwischenfällen entzieht. Sato schafft es immerhin zweimal in die Punkte, Highlight ist ein sensationeller sechster Platz 2007 in Kanada. Ein Jahr später gibt es das Team jedoch schon nicht mehr. Nach vier Rennen der Saison 2008 sperrt man aus finanziellen Gründen zu. Ein Vorbote, denn Ende des Jahres verabschiedet sich Honda komplett aus der Königsklasse.
HRT (2010): Spaniens erstes Formel-1-Team ist der Traum des Ex-Rennfahrers Adrian Campos, der sich nach seiner aktiven Karriere als Fahrermanager verdient gemacht hat. Doch ehe das erste Auto mit Dallara-Chassis und Cosworth-Motor gebaut ist, fangen 2010 die Finanzprobleme an. Die Teilnahme an den Wintertests wird abgesagt. Teilhaber Jose Ramon Carabante (verdient sein Geld mit dem Management von NBA-Profis) kauft die Truppe, sägt Campos ab, installiert Colin Kolles als Teamchef und tauft sie auf den Namen Hispania Racing Team (HRT) um.
Mit elf Sekunden Rückstand beginnt das Unterfangen beim Saisonauftakt unter anderem mit Ayrton-Senna-Neffe Bruno am Steuer. Und es wird kaum besser. Die Finanzprobleme nehmen in den Folgejahren Überhand und ein Käufer findet sich nicht. Im November 2012 ist Schluss und es geht in die Insolvenz.
Virgin (2010): Lederjacken als Teamoutfit und das erste Formel-1-Auto, das ausschließlich am Computer entworfen wird: Mit diesem Rezept will Multimilliardär und Grenzgänger Richard Branson die Königsklasse 2010 aufmischen. Doch Virgin, benannt nach seinem Firmenimperium und auf der Basis der Nachwuchsschmiede Manor aufgebaut, ist von Anfang an eine Pleite.
Das erste Auto des Teams hat einen zu kleinen Tank und muss von seinen Piloten Timo Glock sowie Lucas di Grassi mit Halbgas gefahren werden, um überhaupt ins Ziel zu kommen. Auch als im zweiten Jahr der russische Autohersteller Marussia einsteigt, sind WM-Punkte Fehlanzeige. Branson hat genug und zieht sich zurück, seine Mitstreiter machen weiter - oft mehr schlecht als recht. Nach der Saison 2016 ist endgültig Schluss.
Lotus (2010): Verwirrspiel um einen prestigeträchtigen Namen. Der malaysische Airline-Tycoon Tony Fernandes nutzt das Label der britischen Sportwagenschmiede über einen Lizenzdeal mit seinen Landsleuten der Autofirma Proton. Er bringt auch mit der Hilfe der Regierung des südostasiatischen Staates das Formel-1-Team "Lotus Racing" an den Start.
Das Debüt mit Cosworth-Power ist ein Reinfall, auch ein Jahr später mit Renault-PS wird es nicht besser und es mehren sich die juristischen Kriegsschauplätze wegen der Namensrechte. Fernandes erwirbt die Autofirma Caterham und macht noch drei Jahre weiter, ehe er genug vom Hinterherfahren hat, den Stecker zog und die Truppe ihrem Schicksal überlässt.
Haas (2016): Sechs Jahre nach dem vorherigen Neueinstieg gibt es wieder ein neues Formel-1-Team. Mit Haas stellt sich nach langer Zeit wieder ein amerikanisches Team der Herausforderung Königsklasse. 2021 und 2022 fährt mit Mick Schumacher sogar ein deutscher Pilot für die US-Truppe - allerdings ohne die ganz großen Erfolge. Ab 2023 folgt ihm mit Nico Hülkenberg ein weiterer Landsmann nach.
Eigenbau statt Übernahme: Ein Dutzend Teams stampften seit 1990 ein eigenes Projekt aus dem Boden, nur vier überlebten