Das war das Formel-1-Rennen in Austin 2015: Kontroverse zwischen den Mercedes-Stars und Titelentscheidung
Lewis Hamilton ist zum dritten Mal Weltmeister - aber über seiner Titelparty in Austin hängt ein kleiner Schatten. Der geschlagene Nico Rosberg schmeißt ihm vor der Siegerehrung die Pirelli-Kappe zurück, spricht später von einer Situation, die ihn "sehr nervt". "Krieg der Sterne", revisited. Und Bilder sagen mehr als tausend Worte.
Nach der Absage des zweiten Freitagstrainings kann auch am Samstagnachmittag nicht gefahren werden. Die drei Stunden Wartezeit bis zur endgültigen Verschiebung des Qualifyings überbrücken Teams und Fahrer mit allerlei Schabernack, der zumindest die Fans auf der Haupttribüne bei Laune hält. Hurrikan Patricia lässt grüßen.
Er kann's also doch noch: Rosberg liefert ein blitzsauberes Qualifying ab und sichert sich auf nasser Strecke die Pole zum Grand Prix der USA, auf gebrauchten Regenreifen vor Hamilton. Dem wird die Schlussoffensive auf frischen Pneus von oberster Stelle verweigert. Nein, nicht von Bernie Ecclestone - sondern vom lieben Wettergott, der Q3 ausfallen lässt.
Und wieder verliert Rosberg den Start! Hamilton kommt auf nasser Strecke etwas besser weg, Seite an Seite fahren die beiden Silberpfeile auf die erste Kurve zu, ...
... die Hamilton, wie schon in Suzuka, gnadenlos für sich beansprucht...
... und sich nach außen tragen lässt. "Ich finde, ich habe ein Recht auf ein Stück Strecke", schimpft Rosberg später. "Dass mich mein Teamkollege extra verhungern lässt und sogar so weit geht, dass er in mich reinfährt, ist ein Schritt zu weit."
Sogar die Mercedes-Chefs müssen zugeben: "Das Manöver war zu hart. Lewis weiß das", sagt Toto Wolff.
Von Hamiltons Entschuldigung noch am Boxenfunk kann sich Rosberg nichts kaufen: Er fällt nicht nur hinter die beiden Red Bulls, sondern auch hinter Sergio Perez auf Platz fünf zurück. Immerhin schnupft er den Force India noch in der ersten Runde zurück.
Weiter hinten im Feld fliegen die Fetzen: Fernando Alonso (McLaren) dreht sich in den Williams von Felipe Massa, dessen Teamkollege Valtteri Bottas kollidiert mit Romain Grosjean (Lotus). Letzterer humpelt mit Reifenschaden links hinten an die Box. Und besonders bitter beginnt der 400. Grand Prix für das Sauber-Team: Felipe Nasr kracht ausgerechnet in Marcus Ericsson rein. Das Bottas/Nasr-Experiment mit Slicks nach den Reparaturstopps muss abgebrochen werden - noch zu früh.
Während der ersten virtuellen Safety-Car-Phase bremst sich Daniil Kwjat (Red Bull) kurzzeitig an Hamilton vorbei in Führung, muss den Platz aber zurückgeben. Hamilton nutzt die Gelbphase, um seine überhitzenden Intermediates abzukühlen. "I'll try to get him. Warum ist Lewis so langsam?", kann sich Kwjat darauf zunächst keinen Reim machen.
Doch es kommt alles ganz anders. Auf abtrocknender Strecke findet Rosberg immer besser zu seinem Rhythmus, schnappt erst Daniel Ricciardo (grenzwertige Attacke sofort bei Ende der Gelbphase) und dann auch Kwjat. Und irgendwie dreht plötzlich Ricciardo groß auf - und macht Jagd auf Leader Hamilton.
In der 15. Runde ist es so weit: Ricciardo geht in Führung, dreht auf Anhieb die schnellste Runde im Rennen. Hamilton kämpft indes immer mehr mit seinen abbauenden Intermediates - und hat Teamkollege Rosberg, mit der Wut der ersten Kurve im Bauch, im Rückspiegel.
Toro Rosso und Ferrari liefern sich indes ein Match um die Positionen sechs bis neun. Kimi Räikkönen ärgert sich über Max Verstappen, der im Zweikampf wieder einmal mit allen Milchbubi-Klischees aufräumt: "Wenn das legal ist, was der macht, mach ich es beim nächsten Mal auch", tobt der "Iceman".
18. Runde: Rosberg bekommt seine Revanche, geht mit einem blitzsauberen Manöver an Hamilton vorbei. Der kann zunächst dagegenhalten, muss dann aber doch klein beigeben - und steuert nur ein paar Sekunden später die Box an. Ricciardo, Rosberg und Kwjat kommen eine Runde danach - und bleiben allesamt vor Hamilton.
Aus für Räikkönen, aber nicht ohne Showeinlage: Der Ferrari-Pilot rutscht ins Kiesbett, bleibt an einer Werbebande stecken, gibt aber nicht auf, sondern steigt voll aufs Gas, befreit sich irgendwie aus dem Kiesbett und fährt unter frenetischem Jubel der Fans an die Box zurück. Das ist zwar nur noch für die Galerie, dennoch: Szene des Tages!
Der entfesselte Ricciardo baut seinen Vorsprung zwischenzeitlich auf bis zu 8,9 Sekunden aus, büßt in der 20. Runde aber sechs davon mit einem Fahrfehler ein. In der 22. Runde beginnt mit trockener werdender Strecke Red Bulls Untergang: Zuerst schnappt Rosberg Ricciardo, ein paar Meter weiter hinten, fast zeitgleich, Hamilton Kwjat. Und Rosberg baut mit schnellsten Runden über zehn Sekunden Vorsprung auf seinen Teamkollegen auf.
Doch der ist mit der ersten richtigen Safety-Car-Phase (Ericsson) dahin. Während Mercedes und Red Bull draußen bleiben, setzt Vettel alles auf eine Karte: Wechsel auf Medium zur Halbzeit im Grand Prix, mit der Absicht bis zum Ende durchzufahren - und hoffentlich vor den Silberpfeilen, die erst noch reinkommen müssen, zu gewinnen.
Kwjat kann sich gegen Vettels frischere Reifen nur kurz wehren, von da an soll die Jagd auf die Top 3 beginnen. Aber als Vettel eine Runde nach dem Restart schon mehr als sieben Sekunden Rückstand hat, weil er die härteren Pirellis nicht auf Temperatur bringt, wird klar, dass der Sieg wohl doch außer Reichweite ist.
Heimlich, still und leise pokert auch Nico Hülkenberg (Force India) mit der Vettel-Strategie, aber Red Bulls überholen ist nicht so einfach, wie es beim viermaligen Weltmeister aussieht: Der frischgebackene Motorsportler des Jahres beißt sich an Ricciardo die Zähne aus und muss aufgeben. "Schuldfrage 50:50", urteilt Formel-1-Experte Marc Surer. Wieder wird das virtuelle Safety-Car aktiviert. Rosberg holt frische Reifen ab, Hamilton bleibt draußen und übernimmt die Führung.
"I crashed. Sorry, guys." Dem Funkspruch von Kwjat ist nichts hinzuzufügen. Red Bull hat noch Glück, dass er beim Abflug in der vorletzten Kurve nicht den knapp hinter ihm fahrenden Ricciardo mit ins Verderben reißt.
Wieder muss das richtige Safety-Car auf die Strecke, und jetzt, fünf Runden nach Rosberg, wechselt auch Hamilton Reifen. Mercedes-Showdown bis zum Schluss - und das mit einem hohen Einsatz: Wenn Hamilton gewinnt und Vettel nicht Zweiter wird, fällt die WM-Entscheidung schon in Austin.
Erstmal alles souverän, Rosberg gewinnt den Restart, zieht sofort um 1,7 Sekunden davon. Doch in der 48. Runde macht Rosberg einen Fehler, wie er ihm "noch nie passiert" ist, den er "unglaublich" findet - aber letztendlich auf seine eigene Kappe nehmen muss. Und plötzlich führt der angehende Champion beim Grand Prix der USA.
In der Dramatik an der Spitze geht beinahe unter, dass McLaren mit neuem Honda-Motor mitten in der Weltspitze mitmischt, sicher begünstigt durch den Rennverlauf. Alonso verliert Leistung und fällt noch aus den Punkten raus, doch Jenson Button fährt als Sechster sein bestes Saisonergebnis ein. Endlich Licht am Ende des Tunnels?
Die Ausgangsposition ist klar: Rosberg kann das Rennen nicht mehr gewinnen - aber Hamiltons WM-Party verschieben, wenn er Vettel durchlässt. Vielleicht spielt er tatsächlich kurz mit diesem Gedanken. Fakt ist: Vettel verkürzt seinen Rückstand binnen vier Runden von 2,9 auf 0,4 Sekunden. Als er sich aber in der ersten Kurve der letzten Runde verbremst, hat Rosberg genug Puffer für die allerletzte DRS-Zone.
76 Punkte Vorsprung, nur noch 75 Punkte zu vergeben: Lewis Hamilton ist Formel-1-Weltmeister 2015! Den Grand Prix der USA gewinnt er 2,8 Sekunden vor Rosberg und 3,3 vor Vettel. Nur zwölf von 20 gestarteten Fahrzeugen sehen die Zielflagge. Darunter übrigens auch US-Boy Alexander Rossi (Manor-Marussia), der kurzzeitig sogar an ein Punktewunder glauben darf, am Ende aber doch wieder Letzter wird.
Das war das Formel-1-Rennen in Austin 2015: Kontroverse zwischen den Mercedes-Stars und Titelentscheidung