Das war das Formel-1-Rennen in Sotschi 2015: Rosbergs Pech, Hamiltons Triumph und Räikkönens Dummheit
Fast geschafft: Lewis Hamilton (Mercedes) gewinnt nach 2014 auch den zweiten Grand Prix von Russland und ist damit praktisch Formel-1-Weltmeister 2015. Wenn er in Austin neun Punkte mehr holt als Sebastian Vettel (Ferrari) und zwei als Nico Rosberg (Mercedes), ist ihm der dritte Titel nicht mehr zu nehmen.
Die Olympiastadt Sotschi lässt erst malkaum Training zu: Ein Dieselfilm am Morgen, verursacht von einem defekten Reinigungs-LKW, und starker Regen am Nachmittag vereiteln eine programmgemäße Vorbereitung auf das Rennen, ...
... und am Samstagmorgen muss wegen dieses Horror-Crashs von Carlos Sainz (Toro Rosso) vorzeitig abgebrochen werden. Sainz bleibt 15 ewig scheinende Minuten ohne jeden Funkkontakt unter den lebensrettenden TecPro-Barrieren vergraben, verlässt das Krankenhaus aber noch am Samstagabend und liegt im Rennen sogar auf Punktekurs, bis er ausscheidet. Wegen eines Abflugs in "seiner" Kurve 13.
3:12 gewonnene Qualifyings gegen Hamilton, damit eines der deutlichsten Stallduelle 2015 - aber in Sotschi hat Rosberg das bessere Ende für sich: Nach den stark verkürzten Trainings tippt er beim Setup am besten und holt sich mit 0,320 Sekunden Vorsprung die Pole. Obwohl Pirelli die Supersofts anbietet, die den Silberpfeilen angeblich nicht liegen, herrschen klare Verhältnisse. Dem drittplatzierten Valtteri Bottas (Williams) fehlen acht Zehntelsekunden.
Geht doch! Nach einigen verpatzten Starts lässt Rosberg diesmal nichts anbrennen und gewinnt das Beschleunigungsduell - wenn auch knapp, sodass er in der ersten Kurve hellwach bleiben muss. Von den Topstars kommt Kimi Räikkönen (Ferrari) am besten weg. Er überholt nicht nur Vettel, ...
... sondern in der ersten Kurve auch Landsmann Bottas. Weiter hinten braut sich Ungemacht zusammen, als Nico Hülkenberg (Force India) ins Schleudern kommt: "Meine Hinterreifen haben blockiert. Da habe ich das Heck verloren", seufzt er und gesteht einen Fahrfehler ein. Im Nachhinein bitter, weil eine Überraschung möglich gewesen wäre.
Hülkenberg schiebt in der ersten Kurve Max Verstappen (Toro Rosso) in einen Dreher, und Marcus Ericsson (Sauber) kann nicht mehr ausweichen. Die spektakuläre Karambolage geht glimpflich aus, beide beteiligten Fahrer müssen aber vorzeitig aufgeben.
An der Spitze eine Schrecksekunde, als das Safety-Car auf die Strecke kommt: Rosberg bremst nämlich so abrupt zusammen, dass Hamilton, der gerade aus einer Rechtskurve beschleunigen will, ihm beinahe ins Heck rauscht - mit qualmenden Bremsen!
Restart in der vierten Runde, und Räikkönen lässt sich zum ersten Mal überraschen. Bottas geht aus dem Windschatten heraus mühelos am Ferrari vorbei. Weil dieser am Ende der Geraden zu wenig Leistung liefert, wie sich der "Iceman" ärgert. Experte Marc Surer sieht's anders: "Das hat Kimi einfach verschlafen."
Bis zur fünften Runde hat Rosberg alles unter Kontrolle, dann wird ihm ein kaputter Gaspedal-Dämpfer zum Verhängnis. "Versuch dich anzupassen", funkt das Team noch, aber als Rosberg nur mit Mühe gefährliche Abflüge verhindern kann, weil sein Silberpfeil noch mit voller Power anschiebt, während er längst vom Gas gegangen ist, setzt sich die Vernunft durch. Plötzlich ist der WM-Titel kein Thema mehr, sondern der Deutsche verliert sogar den zweiten Gesamtrang an Vettel.
Nächster Horror-Crash: Romain Grosjean (Lotus), der schon in der ersten Runde an der Box war, verliert sein Auto bei hoher Geschwindigkeit außer Kontrolle, lenkt zu stark gegen und kracht in die Barrieren. Als er aussteigt, wirkt er ein bisschen schwindlig - aber zum Glück geht auch der zweite schwere Unfall des Wochenendes glimpflich aus. Und: Sergio Perez (Force India) nutzt die fünf Runden lange Safety-Car-Phase zum Reifenwechsel. Eine goldene Entscheidung.
Räikkönen verschläft in Runde 17 auch den zweiten Restart, Vettel setzt sich innen neben ihn. Doch weil Räikkönen die Kurve abkürzt, lässt er Vettel ein paar Kurven weiter freiwillig durch. "Da hat Kimi nachgegeben", wertet Experte Surer.
Kampf um Platz zwei: Bottas ("Meine Reifen geben auf") kommt in der 26. Runde an die Box, weil aus über dreieinhalb Sekunden Vorsprung auf Vettel binnen sieben Runden weniger als eine halbe Sekunde wurde. Bottas steht 3,4 Sekunden und kommt mitten im Verkehr wieder auf die Strecke. Vettel und Räikkönen stoppen in der 30. beziehungsweise 31. Runde. Für Vettel (3,1 Sekunden Standzeit) reicht's locker, für Räikkönen um Haaresbreite nicht.
In der 32. von 53 Runden geht Vettel an Perez vorbei - ein echtes Überholmanöver im Kampf um den (zu dem Zeitpunkt) vierten Platz (hinter Hamilton, Daniil Kwjat und Felipe Nasr, alle noch ohne Boxenstopp). Perez' Gegenwehr mit um 18 Runden älteren Reifen ist beschränkt.
Nach dem "GP2-Motor" in Suzuka setzt Fernando Alonso erneut eine Breitseite gegen McLaren-Honda. Als ihn sein Renningenieur auffordert, sich gegen Felipe Massa (Williams) zu wehren, antwortet er nur: "Ich liebe deinen Sinn für Humor!" Kaum ist der Funkspruch abgesetzt, ist Massa auch schon durch - kein Wunder, bei 23,1 km/h mehr Topspeed. Alonso wird trotzdem Zehnter, Jenson Button sogar Neunter. Aber Alonso verliert den WM-Punkt durch eine nachträgliche Strafe wegen Ignorierens der Streckenbegrenzung. Obwohl ihn Stella davor gewarnt hat.
Drama in der letzten Runde: Der Finnen-Express Bottas/Räikkönen geht zuerst an Daniel Ricciardo (Red Bull) vorbei, der wenig später ausfällt, und schnappt sich kurz vor Schluss auch noch Perez. Räikkönen wittert plötzlich die Chance auf das Podium, probiert's an der gleichen Stelle, an der er Bottas schon einmal geschnappt hat - und crasht. Bottas scheidet aus, Räikkönen fährt als Fünfter über die Ziellinie - wird aber nachträglich bestraft und nur als Achter gewertet.
Perez-troika: Der Mexikaner hatte mit dem Podium schon abgeschlossen, lacht aber unter dem Helm, als er die beiden streitenden Finnen neben der Strecke sieht und vorbeifährt. Russlands Präsident Wladimir Putin gratuliert zum Erfolg.
Nutznießer der Kollision ist auch Massa: Nach Eigenverschulden nur 15. im Qualifying, fährt er letztendlich als Vierter über die Ziellinie. Stark auch die Performance von Landsmann Nasr auf Platz sechs - übrigens mit neuem Sauber-Renningenieur.
Konstrukteurs-Weltmeister am grünen Tisch: Erst durch die Räikkönen-Strafe sichert sich Mercedes wie schon 2014 bereits in Sotschi den Team-Titel. Als Sieger Hamilton gefeiert wird, steht das noch gar nicht fest. Angestoßen wird daher erst in der Flughafen-Lounge.
Das war das Formel-1-Rennen in Sotschi 2015: Rosbergs Pech, Hamiltons Triumph und Räikkönens Dummheit