Von kitschigen Teddybären und den "geilsten Kurven" der Formel 1: Warum Japan das Refugium wahrer Racer ist
Das Land des Lächelns zaubert auch den Formel-1-Piloten ein solches auf das Gesicht: Wenn sie am Morgen von Motorsport-Fans am Rande des Wahnsinns (und jenseits davon) empfangen werden oder wenn sie auf dem International Circuit Suzuka eine der letzten echten Fahrerstrecken unter die Räder nehmen. Vorhang auf für den Nippon-Kracher!
Dafür geht es in eine 200.000-Einwohner-Stadt in der Präfektur Mie auf Japans Hauptinsel Honshu - seit 26 Jahren Partnerstadt des französischen Le Mans, für die Handwerkskunst Ise-Katagami um Papierschablonen bekannt und 300 Kilometer von Tokio entfernt. Das nahegelegene Nagoya bietet aber einen internationalen Flughafen und viele Hotels.
Kulinarisch gilt Japan als Wallfahrtsort. "Ich liebe dieses Essen", schwärmt Daniel Ricciardo (Red Bull) von Kobe-Rind, Udon-Nudeln, gefüllten Reisbällchen, Algensalaten und von rohem Fisch: "Jiro's Sushi Restaurant will ich ausprobieren. Darüber wurde eine TV-Dokumentation gedreht." Es geht um einen Drei-Sterne-Tempel in Tokio.
Als Gourmet in Sachen Asphalt outet sich Nico Hülkenberg (Force India) - wie so viele seiner Fahrerkollegen: "Einfach geil!", stellt er bezüglich der 5,807 Kilometer langen Rennstrecke klar. Max Verstappen (Red Bull) findet: "Sie ist noch eine Strecke der alten Schule und eine richtige Herausforderung."
"Vielleicht noch Spa oder Monaco", überlegt Nico Rosberg (Mercedes), was Suzuka das Wasser reichen könnte und stellt nur zwei Bahnen auf die gleiche Stufe. "Meine Lieblingsstrecke", erklärt Sebastian Vettel (Ferrari) und betont, dass den Piloten erst auf solchen Bahnen die in der Formel 1 wirkenden Kräfte bewusst würden.
"Wir geben ihr zehn von zehn Punkten, oder?", fragt Daniil Kwjat Teamkollege Carlos Sainz. "Ganz sicher", antwortet der Spanier. Doch der Funfaktor bringt Risiko mit sich. "Du musst schon tapfer sein", bedauert Haas-Teamchef Günther Steiner seine Schützlinge. "Wer in einer schnellen Kurve abfliegt, landet häufig nicht sanft."
Trauriger Höhepunkt war vor zwei Jahren der tödliche Unfall Jules Bianchis, der bei Kumpel Sergio Perez für einen dicken Klos im Hals sorgt: "Leider fühle ich mich immer wieder an den Crash erinnert", bedauert der Mexikaner. Pascal Wehrlein (Manor) ist abgeklärter: "Ich mag Straßenkurse und will gar keine riesigen Auslaufzonen."
Extra knackig ist der erste Sektor: Die "Esses" gehören zum Anspruchsvollsten, was die Formel 1 zu bieten hat. Die Einfahrt zur brandschnellen Fünfer-Kurvenkombination erfolgt mit 245 km/h, mittendrin muss vom fünften in den vierten Gang runtergeschaltet und den Fliehkräften getrotzt werden.
Die Bahn ist der weltweit einzige Grand-Prix-Kurs, der in Form einer Acht angelegt ist. Auf einer Brücke überqueren die Piloten die Strecke. Die Linkskurve 130R, benannt nach ihrem Radius, geht heute zwar mit Vollgas, sorgt aber aufgrund enormer G-Kräfte und ihres blanken Tempos von über 300 km/h noch immer für feuchte Hände.
"Das Layout ist ungewöhnlich und verzeiht keine Fehler. Es ist eine Befriedigung, eine gute Runde hinzubekommen", erklärt Fernando Alonso (McLaren), dem es Samurai und japanische Folklore ohnehin angetan haben. Sein Teamkollege Jenson Button war mit Halb-Japanerin Jessica Michibata verheiratet...
...und mag neben neben der holden Weiblichkeit auch die berühmteste Rennstrecke im Land des Lächelns. "Eine Klasse für sich. Sie kommt nahe an den perfekten Kurs heran, weil sie technisch und schwierig, aber auch belohnend ist", fasst der Brite zusammen.
Während es durch Taifune immer wieder zu heftigen Schauern und sogar Rennabbrüchen kommen kann, hält die Natur eine weitere Hürde parat: "Es gibt immer wieder heftige Seitenwinde. In einer Runde hast du die perfekte Balance, in der nächsten kann es dich wegpusten", weiß Perez.
Hülkenberg erklärt, warum alle Piloten die respektvollen und enthusiastischen Fans in Japan so schätzen: "Egal, Wie viel Uhr es ist. Egal, wie das Wetter ist. Sie stehen vor der Strecke oder dem Hotel und warten. Es gibt immer Geschenke. Meistens Süßigkeiten, aber ich habe auch einen sehr süßen Teddy-Koala bekommen."
In Suzuka kommt es nicht nur auf Aerodynamik an: Da die Strecke auf der Start- und Zielpassage sowie auf der Gegengeraden Geschwindigkeiten jenseits der 300 km/h erlaubt, führt Mercedes die neueste Antriebsausbaustufe für seine Kunden Williams, Force India und Manor gerade zur rechten Zeit ein.
Über 60 Prozent der Runde werden mit durchgedrücktem Gaspedal gefahren, mit den Turbo-Hybriden stoppt die Tachonadel erst bei 340 km/h. Die Schikane vor Start und Ziel jedoch wird mit nur 80 km/h genommen, wobei das Bremsmanöver zuvor so viel Hitze und Energie freisetzt, dass sie laut Reglement nicht wiedergewonnen werden darf.
Einziges Manko: Überholen ist nicht einfach. "In Kurve 1 mit DRS", sagt Romain Grosjean (Haas), könne man vielleicht etwas bewegen. "Auch in der mittleren Haarnadelkurve und vor der Schikane, wo heftig gebremst wird." Ohne Risiko sind die Stellen aber alle nicht. Es droht Kleinholz, wenn der Vordermann die Türe zuwirft.
Von kitschigen Teddybären und den "geilsten Kurven" der Formel 1: Warum Japan das Refugium wahrer Racer ist