Ein knallhartes Stallduell mit Nico Rosberg und eine Phase der totalen Dominanz begleiteten Lewis Hamilton zur dritten Krone
Einst waren sie dicke Kumpels, gemeinsam im Urlaub, beim Hamburger auf der Couch vereint und gemeinsam fröhlich tanzende Podiumsbesucher. Mittlerweile herrscht zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg Eiszeit. Die Saison 2015 markierte neue Höhepunkte einer Teamfehde, die die Formel 1 zuvor so nicht gekannt hat. Zwar bekämpften sich Erzfeinde wie Ayrton Senna und Alain Prost oder Nigel Mansell und Nelson Piquet mit unlautereren Mitteln - jedoch waren sie keine Sandkastenfreunde. 'Motorsport-Total.com' zeigt den Titelfight in der Chronologie.
März 2015: Mercedes dominiert den Saisonauftakt in Melbourne und Hamilton übernimmt mit dem Sieg in Australien die Führung in der WM-Gesamtwertung. Wie sich zeigen wird, ist der erste Tabellenplatz ein wichtiger Schritt zum späteren Titelgewinn, denn fortan ist Rosberg immer derjenige, der hinterherlaufen muss. Trügerisch: Zunächst scheint hinter den Kulissen Harmonie eingekehrt zu sein. Stand der Dinge nach Australien: Hamilton 25 Punkte, Rosberg 18.
April 2015: Beim China-Grand-Prix kocht das Duell über. Rosberg hat in Schanghai das Nachsehen, erhebt jedoch Vorwürfe in Richtung Hamilton: Der Weltmeister und Sieger des Rennens habe mit langsamen Runden an der Spitze versucht, ihn einzubremsen und damit zur möglichen Beute für den Ferrari-Pilot Sebastian Vettel zu machen. Dafür hat der Brite nur ein Lächeln übrig. Seine Reaktion: Wenn Rosberg schneller hätte fahren können, warum hat er dann nicht attackiert? Stand der Dinge nach China: Hamilton 68 Punkte, Rosberg 51.
Eine Ablenkung im Cockpit bedeutet der Nebenkriegsschauplatz für Hamilton nicht. In Bahrain erreicht seine Dominanz mit dem dritten Saisonsieg im vierten Rennen einen vorläufigen Höhepunkt. Für Rosberg noch schlimmer: Der Brite bestimmt auch in den Qualifyings das Tempo und sichert sich alle Pole-Positions. Damit scheint eine letzte Rosberg-Bastion gefallen zu sein. Stand der Dinge nach Bahrain: Hamilton 93 Punkte, Rosberg 66.
Mai 2015: Rosberg scheint die Trendwende einzuläuten, als er in Spanien doch wieder eine Pole-Position holt und den ersten Saisonsieg eintütet. Stand der Dinge nach Spanien: Hamilton 111 Punkte, Rosberg 91.
In Monaco ist dann auch Fortuna auf Rosbergs Seite - oder doch das Mercedes-Team? Auf dem Stadtkurs kommt es zu einem strategischen Fauxpas bei Hamilton, als die Silberpfeile ihn während einer Safety-Car-Phase gegen Rennende unnötigerweise an die Box zu holen. Folge: Der Champion büßt zwei Plätze ein, verzweifelt im Leitplankendschungel am Heck der Konkurrenz, Rosberg erbt den Erfolg und rückt in der Gesamtwertung so nahe an den Stallrivalen heran, wie er es im weiteren Verlauf der Saison nicht mehr schaffen wird. Stand der Dinge nach Monaco: Hamilton 126 Punkte, Rosberg 116.
Juni bis September 2015: Lewis Hamilton ist im Qualifying nicht zu schlagen. Er holt sieben Pole-Positions in Serie und münzt vier davon in Grand Prix-Siege um. In Österreich zeigt sich aber, dass er und Nico Rosberg zunehmend nervöser werden, als beide im Zeittraining patzen. Für zusätzliche Würze im Duell sorgt Sebastian Vettel, der mit Ferrari immer näher an Mercedes heranrückt und dafür sorgt, dass sich die Ex-Kumpels nicht nur auf ihr Duell konzentrieren können. Stand der Dinge nach Italien: Hamilton 202 Punkte, Rosberg 181.
September 2015: Mercedes zieht gegen Ferrari in Singapur erstmals ohne besondere Rennumstände den Kürzeren, als Vettel haushoch überlegen siegt. Was noch niemand ahnt: Das Rennen markiert im internen Kampf um die Vormacht bei Mercedes die Trendwende. Die Silberpfeile setzen auf eine Änderung der Radaufhängungsgeometrie am Rosberg-Auto und haben damit den Wagen nach den Wünschen des Wiesbadeners modifiziert, was sich in der Endphase der Saison noch zeigen wird. Stand der Dinge nach Singapur: Hamilton 252 Punkte, Rosberg 211.
Oktober 2015: In Japan trägt die Änderung Früchte. Rosberg holt sich erstmals seit Mai wieder eine Pole-Position, doch das Duell mit Hamilton erhält eine neue Fußnote. Mit einem harten Manöver in der ersten Kurve, das Rosberg in die Auslaufzone zwingt und weitere Plätze einbüßen lässt, setzt sich der Brite gegen seinen Hauptrivalen im Titelduell durch. Rosberg ist wütend und 'Sky'-Experte Marc Surer stimmt zu: "Unter Teamkollegen macht man das nicht."
Pikant: Der von den Teambossen nach dem Crash in Belgien 2014 aufgestellte Verhaltenskodex erlaubt es dem besser platzierten der beiden, die Strategie zu bestimmen. So wird eine Führung doppelt wertvoll und Risiko belohnt. In Suzuka sind Niki Lauda und Toto Wolff um Deeskalation bemüht, als sie Hamilton für seine Fahrweise in Schutz nehmen, Rosberg aber gleichzeitig wegen seines Zurücksteckens den Rücken stärken. Stand der Dinge nach Japan: Hamilton 277 Punkte, Rosberg 229.
In Russland gelingt Rosberg im Qualifying der nächste Nadelstich gegen Hamilton, den der Weltmeister patzig kommentiert und an seine harte Fahrweise erinnert: "Wie viel Pole-Position hatte ich in diesem Jahr? Elf? Suzuka war außerdem ziemlich gut, weil ich schon in der ersten Runde die Nase vorn hatte. Ich würde behaupten, dass ich in 13 von 15 Rennen definitiv das Tempo hatte." Im Rennen behauptet sich Rosberg in Kurve eins, wird jedoch kurz darauf von der Defekthexe eingeholt und muss das Rennen aufgeben. Seine Felle im Titelrennen schwimmen davon. Stand der Dinge nach Russland: Hamilton 302 Punkte, Rosberg 229.
In Austin ist die Messe dann gelesen: Hamilton krönt sich mit einem Sieg unter schwierigen Bedingungen zum dritten Mal in einer Formel-1-Karriere zum Weltmeister, doch die WM-Party - auf der Rosberg 'Livin' On a Prayer' trällert und der zu feiernde Champion sich nach einer Viertelstunde praktisch wortlos verzieht - steigt erst nach der heftigsten Kontroverse des Jahres 2015...
Der Grund: Rosberg fährt erneut auf Pole-Position, doch Hamilton hält in der ersten Kurve rigoros rein. Um einen Crash, der dem Aggressor deutlich mehr geholfen hätte, zu vermeiden, macht der Deutsche die Lenkung auf, räubert über den Randstein und fällt zurück. Anschließend fliegen nebst fairer Gratulation zum Titel die Giftpfeile: "Dass mich mein Teamkollege extra verhungern lässt und sogar so weit geht, dass er in mich reinfährt, ist ein Schritt zu weit", klagt Rosberg und legt nach: "Er war zu aggressiv." Hamilton ist trotz Kritik der Teamführung und eine Entschuldigung im Funk unbeeindruckt.
Und es gibt in den USA eine zweite Szene, die für Gesprächsstoff sorgt. Die britischen Medien nennen sie "Cap-gate": Hamilton kniet im Vorbereitungsraum zur Siegerehrung an einem Tisch nieder und lehnt seinen Kopf an, während Rosberg ein paar Meter weiter, ein Loch in die Wand starrend, in einem Sessel sitzt. Hamilton greift sich seine Kappe für die Siegerehrung, versehen mit der Nummer "1" und pfeffert jene mit der "2" in Richtung Rosberg. Er wiederum schleudert die Kappe entnervt zurück. Vor laufenden Fernsehkameras ist der Eklat, der mutmaßlich keinen bösen Hintergrund hatte, perfekt. Stand der Dinge nach den USA: Hamilton 327 Punkte, Rosberg 247.
November 2015: Nach dem Titelgewinn ist bei Hamilton die Luft raus und Rosberg bestimmt die Rennen in Mexiko, Brasilien und Abu Dhabi - so überholt er auch noch Sebastian Vettel, der zwischenzeitlich Rang zwei in der WM-Gesamtwertung erobert hat. Der Brite betont seinerseits, mit harten Bandagen angegangen worden zu sein: "In Interlagos hat er mir keinen Platz gelassen. Damit hatte ich gerechnet. Ich hätte es genauso gemacht." Dazu kommt es zu Spannungen, als er sich spontane Strategieexperimente wünscht, um den Teamkollegen zu attackieren, dafür aber von seinem Renningenieur Rüffel erhält.
Fakt ist: Rosberg beschließt die Saison als Gewinner, ist aber nach einem Jahr der Höhen und Tiefen der (ungebrochene) Verlierer. Stand der Dinge nach Abu Dhabi: Hamilton 381 Punkte, Rosberg 322.
Ein knallhartes Stallduell mit Nico Rosberg und eine Phase der totalen Dominanz begleiteten Lewis Hamilton zur dritten Krone