Von Hamiltons Sieg in Silverstone bis Merhis Idioten-Crash in Österreich: Die High- und Lowlights aller Fahrer 2015
Beim Manor-Team (das 2015 aus rein kommerziellen Gründen immer noch Manor-Marussia heißt) irgendwelche Höhepunkte zu finden, gestaltet sich schwierig. Aber Will Stevens (WM-21. mit 0 Punkten) liefert nach seinem Formel-1-Debüt in Abu Dhabi 2014 (auf Caterham) eine ordentliche Rookie-Saison ab, hat seine Stallkollegen überwiegend im Griff und gewinnt teamintern elf Qualifyings bei nur sechs Niederlagen.
Das beste Teamergebnis fährt Manor mit P12/13 in Silverstone ein. Trotzdem ist es für Stevens der Tiefpunkt der Saison: Manor wechselt zu früh auf Intermediates, der britische Lokalmatador fährt sich den Frontflügel kaputt, muss Teamkollege Roberto Merhi (WM-19. mit 0 Punkten) vorbeilassen - ausgerechnet vor eigenem Publikum eine seiner seltenen Niederlagen. Für Merhi wiederum ist Silverstone das beste Saisonergebnis.
Aber auch der Spanier erlebt 2015 einen absoluten Tiefpunkt: Beim ersten Rennen der Formel Renault 3.5 in Spielberg geht er unmittelbar nach der Ziellinie so stark vom Gas, dass Gegner Nicholas Latifi nicht mehr ausweichen kann. Ein schwerer Unfall ist die Folge, die Rennleitung schließt den Formel-1-Fahrer von beiden Rennen des Wochenendes aus. Und in den sozialen Netzwerken erntet Merhi Spott und Häme.
Alexander Rossi (WM-20. mit 0 Punkten) debütiert mit einem Unfall gleich in seinem ersten Freien Training in Singapur, liefert aber ausgerechnet beim Heimrennen in Austin seine beste Leistung ab. Phasenweise fightet er sogar mit Red-Bull-Star Daniel Ricciardo, der den Grand Prix davor noch angeführt hatte. Am Ende wird der US-Boy Zwölfter - und schlägt Stevens im Qualifying-Stallduell mit 3:2.
Sein bestes Saisonergebnis holt Marcus Ericsson (WM-18. mit 9 Punkten) zwar als Achter in Melbourne, seine stärkste Vorstellung aber ist der neunte Platz in Monza. Der Schwede im Sauber verliert in der letzten Runde eine Position an Daniel Ricciardo, krönt aber einen starken Sommer mit dem dritten Punkteresultat hintereinander.
Seinen Tiefpunkt erlebt Ericsson bereits beim zweiten Saisonrennen in Malaysia, wo er seine beste Startposition des Jahres, Platz neun, nicht nutzen kann. Der Sauber-Fahrer attackiert Nico Hülkenberg, dreht sich ins Kiesbett und bleibt dort stecken - und verhilft unabsichtlich wegen der Safety-Car-Phase Sebastian Vettel zu dessen erstem Ferrari-Sieg.
Doppelweltmeister Fernando Alonso (2005/06) bäckt zehn Jahre nach seinem ersten WM-Titel kleinere Brötchen und muss sich mit dem 17. WM-Rang zufrieden geben. Der McLaren-Honda funktioniert immer dann am besten, wenn es nicht auf die Motorleistung ankommt - und so holt Alonso zehn seiner elf Punkte beim chaotischen Grand Prix von Ungarn.
Einen von vielen Tiefpunkten erlebt Alonso beim Honda-Heimspiel in Japan: "GP2-Motor", klagt er am Boxenfunk, als er von einem Gegner nach dem anderen einfach stehen gelassen wird. Später gibt er zu: Die Spitze ist ganz gewusst gesetzt, um Honda wachzurütteln - und sollte 2015 nicht die einzige bleiben, siehe #PlacesAlonsoWouldRatherBe.
Jenson Button (WM-16. mit 16 Punkten) ist der erste Teamkollege in der Geschichte der Formel 1, der in einer Saison mehr Punkte holt als Alonso. Seinen großen Auftritt hat er mit Platz sechs in Austin, wo er plötzlich mit Force India und Lotus fightet.
Buttons Tiefpunkt kommt in Bahrain, wo er nicht einmal am Rennen teilnehmen kann. Grund ist ein Problem mit dem Hybridsystem, das die größte Schwachstelle des McLaren-Honda-Pakets bleiben sollte. Die Grid-Penaltys des McLaren-Teams steigen im Saisonverlauf auf astronomische Höhen. Running Gag: Wenn der Grand Prix von Monaco gestartet wird, fahren Alonso und Button in Nizza los...
Carlos Sainz (WM-15. mit 18 Punkten) liefert eine blitzsaubere Debütsaison in der Formel 1 ab, auch wenn seine Leistungen oftmals im Schatten von Wunderknabe Max Verstappen stehen. Was aber viele übersehen: In Abu Dhabi steht der Sohn der gleichnamigen Rallye-Legende auf dem zehnten Startplatz - und gewinnt damit das teaminterne Qualifying-Duell 2015 mit 10:8.
Sainz' Tiefpunkt sind nicht die 17 Minuten Totenstille, vergraben unter Reifenstapeln, beim Grand Prix von Russland, sondern ist die Funkaffäre von Singapur: Verstappen verweigert die Stallorder, den schnelleren Sainz durchzulassen - und wird dafür von Teamchef Franz Tost auch noch in Schutz genommen. Auch so kann man Hierarchien schaffen.
Nach fünf Ausfällen in den ersten sechs Rennen fährt das unverbesserliche "Crash-Kid" Pastor Maldonado (WM-14. mit 27 Punkten) in Montreal als Siebter erstmals in die Punkte - ein Ergebnis, das er 2015 noch zweimal wiederholen, aber nicht mehr verbessern sollte.
Seinem Ruf gerecht wird der Venezolaner hingegen in Budapest, wo er sich in einem Rennen gleich drei Strafen abholt. Eine davon für die Kollision mit Sergio Perez (Foto).
Fast kometenhaft steigt Felipe Nasr (WM-13. mit 27 Punkten) in die Formel 1 ein: Als Fünfter in Melbourne nutzt er die Gunst der frühen Stunde, denn Sauber sollte im Saisonverlauf immer mehr den Anschluss verlieren. Nasr mischt phasenweise die etablierten Stars auf und schafft letztendlich die beste Grand-Prix-Premiere eines Brasilianers überhaupt.
Seinen Tiefpunkt erlebt Nasr in Silverstone, wo er wegen eines Getriebeschadens schon in der Out-Lap ausrollt und gar nicht erst am Rennen teilnehmen kann - neben dem Bremsdefekt in Mexiko-Stadt seine einzige Nichtklassifikation 2015.
Max Verstappen (WM-12. mit 49 Punkten) brilliert in den Rennen und verschafft sich einen Ruf als einer der besten Überholer der Formel 1. Sagenhaft, wie er in Spa-Francorchamps außen in Blanchimont (!) überholt, wie er Sergio Perez im Senna-S in Sao Paulo stehen lässt (Foto) oder Jenson Button in Abu Dhabi niederfightet - auch wenn das eine oder andere Mal die FIA-Rennkommissare seine jugendliche Euphorie bremsen müssen.
In Monaco fährt Verstappen mit Supersoft-Reifen an einem Gegner nach dem anderen vorbei und führt die Regel, man könne dort nicht überholen, ad absurdum. Endstation ist aber bei Romain Grosjean, der nicht mitspielt - es kommt zum Crash bei Start und Ziel. Verstappen zeigt sich uneinsichtig, sieht die Schuld nicht bei sich - und steht zum ersten Mal in der Kritik.
Romain Grosjean (WM-11. mit 51 Punkten) erlebt seine letzte Lotus-Sternstunde, bevor er zu Haas wechselt, in Spa-Francorchamps: Vierter im Qualifying, wegen Getriebewechsel trotzdem nur Neunter in der Startaufstellung - und am Ende der sensationelle dritte Platz, weil er vom späten Reifenschaden Sebastian Vettels profitiert. Aber den Ferrari, ist er überzeugt, hätte er auch auf der Strecke bezwungen.
Aber für den Franzosen überwiegen die Tiefpunkte. Sichtlich genervt ist er davon, dass er insgesamt 13 Mal das erste Freie Training auslassen muss, um Paydriver Jolyon Palmer eine Ausbildung zum Grand-Prix-Piloten 2016 zu ermöglichen. Besonders bitter: Weil Lotus in Suzuka die Hospitality-Rechnung nicht bezahlen kann, darf er dort nicht einmal am bewirteten Frühstückstisch des Teams warten.
Nico Hülkenberg (WM-10. mit 58 Punkten) erlebt sein Highlight des Jahres nicht auf der Formel-1-Strecke, sondern bei den 24 Stunden von Le Mans, die er gemeinsam mit Earl Bamber und Nick Tandy auf Porsche gewinnt. Mit drei Top-8-Ergebnissen hintereinander fährt er im Juni/Juli aber auch bei Force India in guter Form.
Seine schlechteste Phase erlebt Hülkenberg ausgerechnet dann, als Teamkollege Sergio Perez am besten unterwegs ist und aufs Podium fährt: Erst verursacht er in Sotschi einen spektakulären Crash (Foto), und auch beim nächsten Rennen in Austin scheidet er nach Kollision mit Daniel Ricciardo aus.
Sergio Perez (WM-9. mit 78 Punkten), König von Mexiko: Mit dem Selbstvertrauen des dritten Platzes von Sotschi kommt "Checo" zum Heimspiel, wo er als umjubelter Superstar des schönsten Formel-1-Festes seit Jahren einen der emotionalsten Momente seiner gesamten Karriere erlebt. Dass er dort am Ende Achter wird, hinter Teamkollege Hülkenberg, kann den Gesamteindruck nicht trüben.
Einen enttäuschenden Moment erlebt Perez, 2015 übrigens Sieger im WM-Duell gegen Hülkenberg, in Budapest, wo er erst im Training einen spektakulären Überschlag hinlegt und dann im Rennen mit Bremsproblemen ausscheidet. Es sollte sein einziger Ausfall des Jahres bleiben.
Daniel Ricciardo (WM-8. mit 92 Punkten) kann (unter anderem wegen des schwachbrüstigen Renault-Antriebs) nicht an die drei Siege von 2014 anknüpfen. Allerdings fährt er auf kurvenreichen Strecken zweimal auf das Podium - und führt in Austin souverän, als der Red Bull bei Mischverhältnissen selbst die Mercedes-Silberpfeile dominiert. Dass er dort am Ende nur Zehnter wird, steht symbolisch für die schwierige Saison 2015.
Vor einem Jahr noch Sieger in Kanada, diesmal als 13. ohne Punkte: In Montreal realisiert Ricciardo, dass für ihn 2015 kein Blumentopf zu gewinnen ist - und selbst der Sonnyboy lässt sich erstmals dazu verleiten, offen Kritik am Team zu üben.
Daniil Kwjat (WM-7. mit 95 Punkten) nutzt beim Grand Prix von Ungarn die Gunst der Stunde und fährt als Zweiter, begünstigt durch einen chaotischen Rennverlauf, erstmals in seiner Formel-1-Karriere auf das Podium. Es ist ein Befreiungsschlag nach einem nicht immer einfachen Saisonbeginn, in dem er gegen Ricciardo das Nachsehen hatte. Das sollte sich ab Budapest ändern.
Im Mai in Barcelona erlebt der Russe seinen großen Tiefpunkt: Nachdem er vom achten Startplatz eine miserable erste Runde abgeliefert und auch im Rennen nicht gerade von sich reden gemacht hat, muss er sich am Sonntagabend scharfe Kritik von Helmut Marko gefallen lassen - auch öffentlich.
Altstar Felipe Massa (WM-6. mit 121 Punkten) darf beim Williams-Heimspiel in Silverstone wieder einmal Führungsluft schnuppern und liegt insgesamt 19 Runden lang an der Spitze, ...
... doch am gleichen Sonntag verpatzt Williams (nicht zum einzigen Mal 2015) die Boxenstrategie, sodass der Brasilianer am Ende als Vierter am Podium vorbeischrammt. Eine fast noch schmerzlichere Stunde als der nachträgliche Ausschluss beim Heim-Grand-Prix in Brasilien.
Bei seinem Lieblings-Grand-Prix in Montreal fährt Valtteri Bottas (WM-5. mit 136 Punkten) zum ersten Mal auf das Podium. Der Williams funktioniert immer dann am besten, wenn die Kurven nicht zu eng sind und er Auslauf hat. Bottas schlägt Teamkollege Felipe Massa 2015 sowohl im Qualifying als auch nach Punkten knapp.
Einen Tiefpunkt erlebt aber auch er beim Williams-Heimspiel in Silverstone, wo er in der Anfangsphase klar schneller fahren könnte als der führende Teamkollege, aber via Stallorder lange zurückgepfiffen wird. Im Nachhinein darf spekuliert werden, ob das seinen ersten Grand-Prix-Sieg verhindert hat. Zumindest hätte Bottas mit Massa als Puffer einen Vorsprung auf die Mercedes-Silberpfeile herausfahren können.
Kimi Räikkönen (WM-4. mit 150 Punkten und damit knapper Sieger im finnischen WM-Duell gegen Bottas) liefert seine stärkste Leistung 2015 in Bahrain ab. Nach Platz vier im Qualifying erinnert er im Rennen an seine besten Zeiten, schlägt im Finish sogar Nico Rosberg (der mit Bremsproblemen kämpft) und wird Zweiter.
Einen möglichen Podestplatz verschenkt der "Iceman" dafür in Sotschi, wo er Landsmann Valtteri Bottas erst jagt und dann völlig unnötig von der Strecke schiebt. Lachender Dritter ist Sergio Perez, Räikkönen stolpert als Achter ins Ziel.
Auf den Spuren von Michael Schumacher: Sebastian Vettel (WM-3. mit 278 Punkten) gewinnt in seinem ersten Ferrari-Jahr drei Grands Prix - genau wie sein Vorbild "Schumi" 1996. Bei der Premiere in Malaysia hat er zwar etwas Safety-Car-Glück, aber bei Hitze auch ein fast gleichwertiges Auto, um die Mercedes-Silberpfeile ins Schwitzen zu bringen. Es ist der bisher emotionalste Sieg des Heppenheimers - den er mit dem berühmten Schumacher-Jump zelebriert.
Dass selbst ein viermaliger Weltmeister nicht vor inferioren Vorstellungen gefeit ist, beweist das Rennen in Mexiko. Vettels einziger Ausfall 2015 ist nach einem Nachmittag voller Pleiten, Pech und Pannen fast schon eine Erlösung. Und tut mehr weh als der Reifenplatzer in Spa-Francorchamps, für den er nichts kann.
Er kann's also doch noch: Nico Rosberg (WM-2. mit 322 Punkten) macht beim Saisonfinale in Abu Dhabi den ersten Hattrick seiner Formel-1-Karriere perfekt und geht mit einem guten Gefühl in die Winterpause. Positiver Nebeneffekt: Dem Teammanagement um Toto Wolff beweist er mit dem Erfolgsrun, dass Mercedes nicht nur einen Fahrer hat, der Weltmeister werden kann.
Die Chance auf den WM-Titel 2015 verspielt Rosberg vielleicht schon in Budapest, wo er zwischendurch im "virtuellen" WM-Klassement in Führung liegt, sich dann aber strategisch zu sehr am Teamkollegen ausrichtet, statt den Sieg nach Hause zu fahren. Ein Reifenschaden ist der Tiefpunkt eines Rennens, das er auf Platz acht beendet - am Ende sogar hinter Lewis Hamilton.
In Austin ist es Rosbergs Angaben nach eine Windböe, die ihm nach langer Führung den Sieg kostet. Über diese Rechtfertigung macht sich Lewis Hamilton später lustig. Die beiden erleben beim Grand Prix der USA ihren zwischenmenschlichen Tiefpunkt: schon wieder harte Bandagen in der ersten Kurve, WM-Entscheidung, "Cap-gate".
Es ist ein Moment, der zeigt, warum Lewis Hamilton (Weltmeister mit 381 Punkten) ein verdienter Champion ist: Wie schon 2008, als er den Rest der Welt um eine Minute deklassiert hat, triumphiert der Mercedes-Superstar bei schwierigen Bedingungen vor Heimpublikum in Silverstone. Diesmal ist aber nicht nur sein Ausnahmetalent am Volant ausschlaggebend, sondern auch sein strategischer Riecher beim Wechsel auf Regenreifen, der ihn am führenden Williams-Duo vorbeispült.
Aber kein Champion ohne schwere Stunden: Hamilton erlebt seine allerschwerste in Monaco, als ihn ein strategischer Fauxpas des Mercedes-Teams den sicher scheinenden Sieg kostet. Wie einst Ayrton Senna denkt er in der Auslaufrunde darüber nach, ins Appartement zu gehen statt zur Siegerehrung, kann am Boxenfunk aber doch davon abgebracht werden.
Lewis Hamilton, Formel-1-Weltmeister 2015, bei der FIA-Gala am 4. Dezember in Paris.
Von Hamiltons Sieg in Silverstone bis Merhis Idioten-Crash in Österreich: Die High- und Lowlights aller Fahrer 2015