Nahtoderlebnis, Leben im Rollstuhl oder Liebeserklärung an den Rosengarten: Die Plätze 10 bis 1 unseres Rankings
#10: Ross Brawn (2008/2009). Ross Brawn hat sich in der Formel 1 in den Neunzigerjahren und den frühen 2000ern den Ruf eines Superhirns erarbeitet. Doch 2006 ist Schluss mit Motorsport und der Brite zieht ein beschauliches Leben als Hobbygärtner vor, bei dem er sich seinem großer Leidenschaft, dem Fliegenfischen, widmen kann. Bis das Telefon klingelt und ein Anruf aus Japan alles ändert: Er kommt als Teamchef des Honda-Werksteam zurück, kann das Projekt aber nicht retten oder den Ausstieg der Japaner verhindern. Doch es stehen zwei Autos in den Hallen des Hauptsitzes in Brackley, von denen Brawn glaubt, dass sie Wunderwaffen sind...
Brawn und Mitstreiter schaffen es, das Team zu erwerben. Mit Ach und Krach bekommen sie die Boliden für die Testfahrten fertig, kaufen Mercedes-Motoren ein und verpflichten Jenson Button sowie Rubens Barichello als Piloten weiter. Beide müssen auf viel Geld verzichten, doch es lohnt sich: Insbesondere zu Saisonbeginn fährt Brawn GP mit dem BGP 001 Kreise um die Konkurrenz. Button wird Weltmeister, dazu gibt es die Konstrukteurs-Krone. Anschließend macht der damals 55-Jährige Kasse: Er verkauft das Team 2010 für angeblich 110 Millionen Britische Pfund (umgerechnet rund 125 Millionen Euro) an Mercedes, bleibt aber Teamchef und legt den Grundstein dafür, dass die Silberpfeile der Formel 1 vier Jahre später ihren Stempel aufdrücken.
#09: Felipe Massa (2010). So einen Unfall gibt es doch gar nicht! Doch, so einen Unfall gibt es. Die Rede ist vom Qualifying zum Ungarn-Grand-Prix 2009, als sich bei hoher Geschwindigkeit eine schwere Metallfeder vom Brawn-Boliden Rubens Barichellos löst und den Helm seines hinterherfahrenden Freundes Felipe Massa trifft. Der bewusstlose Ferrari-Pilot kracht praktisch ungebremst frontal in die Reifenstapel, doch der Schaden, den das Geschoss angerichtet hat, wiegt viel schwerer. Eine Schädelfraktur und ein Schädel-Hirn-Trauma zwingen die Ärzte zu einer Notoperation, bei der Massas Augenlicht gerettet wird. Die Saison des Paulista ist beendet...
...doch schon 2010 ist er an der Seite des neuen Teamkollegen Fernando Alonso zurück. Der Spanier gewinnt in Bahrain seinen ersten Grand Prix in Rot, doch die Herzen der Tifosi schlagen an diesem Tag für Massa. Er wird Zweiter und scheint wieder ganz der Alte zu sein, doch der Erfolg täuscht über die wahren Folgen hinweg: Massa findet nie wieder über einen längeren Zeitraum hinweg zu gewohnter Stärke und muss die Scuderia vier Jahre später verlassen.
#08: Mika Häkkinen (1996). Er lässt keinen einzigen Grand Prix aus und doch hängt die Karriere des Mika Häkkinen im Winter 1995/1996 am seidenen Faden: Im Saisonfinale in Adelaide beklagt der Finne im Qualifying einen Reifenschaden, verliert die Kontrolle über den McLaren MP4-10 und schlägt seitlich in die Mauer ein. Formel-1-Rennarzt Sid Watkins rettet sein Leben, indem er noch an der Unfallstelle einen Luftröhrenschnitt durchführt, um Häkkinen trotz stark geschwollener Zunge das Atmen zu ermöglichen. Noch schlimmer: Er erleidet ein Schädel-Hirn-Trauma und befindet sich kurzzeitig im Koma. Als die neue Saison - wieder in Australien - beginnt, ist Häkkinen zurück. Er wird Fünfter und holt später zwei WM-Titel.
#07: Gerhard Berger (1997). Gerhard Bergers große Karriere steuert im zweiten Jahr bei Benetton auf ein unwürdiges Ende zu. Das Auto ist zwar besser als der "unfahrbare" Vorjahresbolide, nach einem vielversprechenden Saisonstart läuft jedoch nichts mehr zusammen. Nach dem Spanien-Grand-Prix kommt es noch schlimmer: Eine Kieferhöhlenentzündung schwächt Berger, was Teamchef Flavio Briatore für seine Zwecke nutzt: Er drängt den Österreicher dazu, drei Rennen auszusetzen und ermöglicht Tester Alexander Wurz Fahrpraxis. Der aufstrebende, wortgewandte und charmante Landsmann überzeugt und wird in Großbritannien Dritter. Ein neuer Stern am Formel-1-Himmel scheint aufzugehen.
Angeblich will Briatore Wurz weiter im Auto sehen, doch Berger kehrt unter enormem Druck für das Rennen in Deutschland zurück - wenige Tage nach dem Tod seines Vaters bei einem Flugzeugabsturz, um den sich im Paddock Gerüchte ranken. Einige munkeln von Suizid. Sohn Gerhard holt in Hockenheim die Pole-Position und gewinnt das Rennen überlegen. Mit der "Hilfe von oben", wie er danach sagt.
#06: Frank Williams (1986). Alles beginnt mit einem Mechaniker und Rennfahrer in Teilzeit, der sich das Geld für sein Hobby als Handelsvertreter in der Lebensmittelbranche verdient. 20 Jahre später ist Frank Williams am vorläufigen Gipfel seines Schaffens angelangt. Erster Sieg mit Clay Regazzoni 1979, erster WM-Titel mit Alan Jones 1980 und der Reigen reißt nicht ab. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit dem zierlichen Mann von der nordenglischen Küste. In einem gemieteten Ford Sierra ist er 1986 auf dem Rückweg von Testfahrten in Le Castellet zum Flughafen in Nizza und in Eile, um den letzten Flug des Tages zu erwischen. Mit im Auto sitzt sein damaliger Marketingmanager Peter Windsor.
Williams verliert die Kontrolle über den Wagen, er überschlägt sich, das Auto trifft einen Felsen und der Teamchef wird zwischen Sitz und Dach eingeklemmt - weil er nicht angeschnallt ist. Während Windsor mit leichten Blessuren davonkommt, zieht sich Williams eine Wirbelsäulenverletzung zu und ist fortan querschnittsgelähmt. Rückblickend räumt Williams ein, dass er seinen Unfall hatte kommen sehen: "Ich würde es niemals jemandem empfehlen, so zu fahren wie ich damals fuhr. Man sollte sich immer an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten", betont der mittlerweile 72-Jährige gegenüber 'Esquire'. Doch statt mit Verbitterung wegen eines Lebens im Rollstuhl reagiert er mit Tatendrang und Ehrgeiz. Obwohl ihm Erfolgspartner Honda den Rücken kehrt, zu McLaren wechselt und das Projekt am Ende zu sein scheint, holt seine Mannschaft sechs von neun Konstrukteurs-Titeln nach dem verhängnisvollen Samstag, die frühen Neunziger dominiert die Truppe. Selbst als ihn das hohe Alter körperlich extrem schwächt, lässt es sich Williams nicht nehmen, selbst an die Strecken zu kommen.
#05: Johnny Herbert (1989). Ende der Achtzigerjahre spricht die britische Motorsport-Szene über den jungen Johnny Herbert. Als Meister der Formel Ford und der Britischen Formel 3 ist er auf dem besten Weg in die Königsklasse und auf dem Radar des Eddie Jordan, doch bei einem Formel-3000-Rennen in Brands Hatch scheinen alle Träume zu platzen: Herbert, damals 24 Jahre alt, bricht sich bei einem Unfall beide Beine. Die Ärzte denken sogar über eine Amputation nach. Er kann kaum wieder laufen, da sitzt er 1989 in einem Benetton, gibt beim Brasilien-Grand-Prix sein Formel-1-Debüt und wird auf Anhieb Vierter. Der große Durchbruch gelingt Herbert nie, aber er gewinnt in seiner 161 Starts langen Karriere noch drei Rennen.
#04: Robert Kubica (2019): Robert Kubica gilt bis 2011 als kommender Weltmeister. Der Pole hat nicht nur sein Heimatland auf die Formel-1-Landkarte gebracht, sondern auch schon seinen ersten Grand Prix gewonnen, als ein Unfall bei einem Rallye-Gaststart sein Leben verändert. Sein Unterarm muss beinahe amputiert werden ...
... doch Kubica beginnt einen jahrelangen Kampf um sein Comeback. Er heuert ausgerechnet in der Rallye-WM an und testet Rennautos sämtlicher Kategorien, ehe er 2017 bei Ex-Arbeitgeber Renault wieder eine Formel-1-Chance bekommt. Die Sache platzt, doch er wird Testfahrer bei Williams und 2019 wieder Einsatzfahrer.
#03: Alessandro Zanardi (2006). In Nordamerika ist er dank zweier CART-Titel ein gefeierter Held, mit dem europäischen Motorsport und insbesondere der Formel 1 hat Alessandro Zanardi immer eine Rechnung offen. Es ist Ironie des Schicksals, dass sein Horrorcrash sich 2001 beim Gastspiel der US-Serie auf dem Oval des Eurospeedway Lausitz ereignet. Als sich Zanardi in einer der Steilkurven dreht, fährt Alex Tagliani ungebremst seitlich in die Vorderpartie des Boliden und pulverisiert sie förmlich. Der Italiener verliert drei Viertel seines Blutes, schwebt lange in Lebensgefahr. Die Ärzte amputieren beide Beine, doch seinen Lebensmut lässt sich Zanardi nicht nehmen.
Er wird in den kommenden Jahren zum gefeierten Lebensvorbild auch außerhalb der Motorsport-Szene und gewinnt als Handbiker Goldmedaillen bei den Paralympics. Mit dem Racing ist noch lange nicht Schluss: BMW ermöglicht ihm 2004 die Teilnahme an der Tourenwagen-WM (WTCC) in einem speziell umgebauten Auto, eine Karriere im GT-Bereich, einen DTM-Test und bereits 2006 einen Einsatz im Formel-1-Auto. Das komplette Fahrzeug lässt sich über das Lenkrad bedienen. Zanardi lenkt nur mit der rechten Hand, um mit der linken Gas geben zu können. Auch wenn es zum Renneinsatz nie reicht, scheint das Comeback das gelungenere als seine Williams-Rückkehr 1999. "Es war einfach unglaublich", so Zanardi.
#02: Michael Schumacher (1999). Beim Großbritannien-Grand-Prix in Silverstone stockt den Fans der Atem: Der Ferrari-Star rauscht in Stowe mit über 200 km/h in die Auslaufzone und kracht in die Reifenstapel, als die Bremsen seines Boliden versagen. Er bricht sich ein Bein und spricht Jahre später über ein Nahtoderlebnis: "Ich liege da und merke, wie ich mich wieder so ein bisschen fange und beruhige und fühle meinen Herzschlag. Und fühle plötzlich, wie mein Herzschlag immer weniger wird und plötzlich komplett aufhört. Lichter gehen aus. Und dann denke ich: 'Aha, so fühlt es sich wahrscheinlich an, wenn du dann auf dem Weg nach oben bist.'"
Schumacher kehrt beim vorletzten Saisonrennen in Malaysia nach drei Monaten Pause zurück. Er fährt in Sepang auf Anhieb auf die Pole-Position und spielt mit der Konkurrenz Katz und Maus, muss den Grand-Prix-Sieg aber Teamkollege Eddie Irvine überlassen. Der Nordire hat sich während der Abwesenheit des Kerpeners zum Mitkonkurrenten um den Fahrertitel gemausert und kann die erste Krone für die Scuderia seit 20 Jahren holen. Die Rochade ist vergeblich, schließlich siegt McLaren-Ass Mika Häkkinen im Saisonfinale in Suzuka, doch Schumacher schlägt Irvine in Japan abermals und setzt in den Folgejahren zu einer zuvor nicht gekannten Erfolgsserie an.
#01: Niki Lauda (1976). Viele, die seinen Feuerunfall 1976 auf der Nürburgring-Nordschleife sehen, glauben nicht, dass Niki Lauda seinem Ferrari 312T lebend entkommt. Doch dank Arturo Merzario und weiteren mutigen Fahrern überlebt der Österreicher das 800 Grad Celsius heiße Inferno mit schweren Verbrennungen am ganzen Körper und einer von giftigen Dämpfen verätzten Lunge. Anschließend übersteht er im Krankenhaus ein weiteres Martyrium und sieht dabei zu, wie sich Erzrivale James Hunt "seinen" Weltmeister-Titel unter den Nagel reißt. Doch...
...nach nur zwei Rennen Pause ist Lauda - von seinem Unfall und den Folgen schwer gezeichnet - zurück: Vor den Augen der Tifosi in Monza kämpft der damals 27-Jährige mit heftigen Schmerzen und der Angst, ein Rennauto wieder im Grenzbereich zu bewegen. Er beendet den Italien-Grand-Prix als Vierter, doch er ist ein Volksheld. Auch wenn es zum Titel nicht reicht, weil Lauda im Regenchaos von Fuji nicht sein Leben aufs Spiel setzen will, ist es das größte Formel-1-Comeback aller Zeiten.
Nahtoderlebnis, Leben im Rollstuhl oder Liebeserklärung an den Rosengarten: Die Plätze 10 bis 1 unseres Rankings