Suzuka
17 Jahr, blondes Haar: Max Verstappen (Toro Rosso) ist mit 17 Jahren und drei Tagen der jüngste Fahrer, der an einem Formel-1-Rennwochenende zum Einsatz kommt. Bisheriger Rekordhalter: Sebastian Vettel, in Istanbul 2006 mit 19 Jahren, zwei Monaten und 22 Tagen auf Anhieb Trainingsschnellster. Vater Jos Verstappen, Ex-Teamkollege von Michael Schumacher bei Benetton, strahlt: "Ich bin stolz auf Max."
Bei seinem bisher letzten Auftritt in Suzuka, 2012 auf Sauber, stand Kamui Kobayashi noch auf dem Podium. Davon ist er anno 2014 meilenweit entfernt: Zuschauer (wegen Freitagsfahrer Roberto Merhi) im ersten, Unfall im zweiten Freien Training beim Nachzügler-Team Caterham. "The speed was right, but the corner too tight", nimmt er's mit Humor.
Freitagnachmittag gibt's eine wahre Unfallorgie. Betroffen auch Daniel Ricciardo. "Sorry, Jungs", entschuldigt er sich bei der Red-Bull-Crew für seinen zunächst merkwürdig aussehenden Fahrfehler ausgangs der Schikane.
Auf Schritt und Tritt von den Kameras verfolgt: Sebastian Vettel (links) gibt am Samstagmorgen bekannt, dass er Red Bull verlassen wird. Fernando Alonso (rechts) bekennt sich nicht mehr hundertprozentig zu einem Verbleib bei Ferrari. Die Gerüchte lassen den beiden für den Rest des Wochenendes keine ruhige Minute mehr.
Es liegt nicht an Lewis Hamiltons Crash im Abschlusstraining: "Nico war einfach extrem schnell", gratuliert der Mercedes-Pilot seinem Teamkollegen zur fabelhaften Pole-Position auf der Fahrerstrecke in Suzuka. Psychologisch für Nico Rosberg nach den jüngsten Rückschlägen im WM-Kampf enorm wichtig.
Vorverlegung auf Samstag, früherer Start am Sonntag oder gar eine Absage? Der auf Japan zusteuernde Taifun Phanfone hält die Formel-1-Meteorologen auf Trab. Letztendlich kann in Suzuka aber planmäßig um 15:00 Uhr Ortszeit gestartet werden.
Allerdings hinter dem Safety-Car. Bei strömendem Regen - in Intervallen mal stärker, mal etwas schwächer - "führt" zunächst Bernd Mayländer den Grand Prix von Japan an. Das Feld fährt geschlossen auf Pirellis blauen Voll-Regenreifen los.
Wie tückisch die Bedingungen sind, zeigt der Dreher von Marcus Ericsson (Caterham) am Ende der ersten Runde. Trotz Gelbphase rutscht der Schwede von der Strecke und muss tatenlos zusehen, wie er vom 17. auf den 22. und letzten Platz zurückfällt.
Die zweite Runde hinter dem Safety-Car ist noch nicht einmal beendet, da wird das Rennen zum ersten Mal abgebrochen. Für rund 20 Minuten. Nicht alle haben dafür Verständnis.
Hinter Leader Rosberg nehmen die 21 anderen Autos in der Boxengasse Aufstellung. Viele steigen kurz aus, die Teams bauen kleine Zelte als Regenschutz auf. Bis zum Restart um 15:25 Uhr Ortszeit, wieder hinter dem Safety-Car. Hamilton beginnt über Boxenfunk zur Rennleitung zu schimpfen: "Charlie, die Strecke ist doch in Ordnung!"
Aber noch bevor FIA-Rennleiter Charlie Whiting Hamiltons Ruf in der zehnten Runde folgt, rollt Fernando Alonso mit Elektrikschaden aus. Nach viereinhalb Ferrari-Jahren ohne einen einzigen technisch bedingten Ausfall trifft es den Spanier nun zum zweiten Mal in drei Rennen. Der Abschied wird ihm leicht gemacht.
Nicht einmal eine Runde ist das Rennen freigegeben, schon kommen Jenson Button (McLaren) und Pastor Maldonado (Lotus) an die Box und wechseln von Voll-Regenreifen auf Intermediates. Buttons Poker geht auf: "Das war eine gute Entscheidung", funkt Renningenieur Dave Robson. Maldonado hingegen rutscht ein paar Kurven später erstmals von der Strecke - in Kurve 8, die später noch einem anderen Fahrer zum tragischen Verhängnis werden soll.
Der führende Rosberg nutzt indes noch auf Voll-Regenreifen die beste Sicht und fährt gleich in der ersten echten Rennrunde 1,3 Sekunden Vorsprung auf Hamilton heraus. Dank ihres Tempos stehen die Silberpfeile noch nicht unter akutem Zugzwang, auf Intermediates zu wechseln.
Eine Runde nach Button kommen Valtteri Bottas (3./Williams) und Daniel Ricciardo (5./Red Bull) an die Box, noch eine Runde später dann Felipe Massa (4./Williams) und Sebastian Vettel (7./Red Bull). Trotz des vermeintlichen Vorteils eines früheren Reifenwechsels geht Vettel durch die Boxenstopps an seinem Teamkollegen vorbei.
Zwischenzeitlich liegt sensationell Jules Bianchi (Marussia) an dritter Stelle - allerdings nur bis zu seinem unvermeidlichen Reifenwechsel. Noch kann niemand ahnen, welch tragisches Ende das Rennen für den Franzosen nehmen wird...
Rosberg kommt in der 13., Hamilton in der 14. Runde zum Boxenstopp. Hamilton wittert bei freier Fahrt seine Chance, fährt Bestzeit im ersten Sektor - gerät dann aber in der Spoon-Kurve neben die Strecke und bleibt hinter dem Deutschen. Der klagt auf Intermediates plötzlich über "starkes Übersteuern". Auf den drittplatzierten Button hat das Mercedes-Duo 17 Sekunden Vorsprung.
Vettel, in den vergangenen fünf Suzuka-Rennen viermal Sieger, dreht wieder einmal groß auf - sensationell, wie er und Ricciardo der Reihe nach beide Williams (mit Trockenabstimmung gestartet) überholen! Die beiden Red Bulls sind in dieser Phase mit Abstand die schnellsten Autos auf der Strecke.
An der Spitze gewinnt man zunehmend den Eindruck, dass Hamilton schneller fahren könnte. "Wie sehr bist du am Limit?", fragt Mercedes bei Rosberg nach. Der antwortet: "Voll!" Trotzdem ist er pro Runde um mehr als eine Sekunde langsamer als Vettel.
Das Duell um die Führung spitzt sich zu. Mercedes-Boss Niki Lauda wird nervös: "Warum fahren die schon wieder wie Verrückte?" Runde 25: Hamilton ist ausgangs Kurve 2 praktisch neben Rosberg, steckt aber zurück, um nach Spa-Francorchamps keine weitere Kollision zu riskieren. Runde 27: Ausritt von Hamilton in Kurve 1. Aber schon ein paar Kurven später ist er wieder dran.
Jetzt ist Hamilton nicht mehr zu halten: Führungswechsel in der 29. Runde, außen vorbei am Teamkollegen! "So viel Übersteuern", klagt Rosberg - und verliert prompt vier Sekunden in zwei Runden.
Weil der Reihe nach alle anderen frische Intermediates aufziehen lassen, führt in der 36. Runde plötzlich Ricciardo den Grand Prix an - in der Hoffnung, sich einen Boxenstopp zu sparen und gleich auf Slicks wechseln zu können. Aber der lange Mittelstint rechnet sich nicht: Obwohl Teamkollege Vettel von der Strecke abkommt, bleibt Ricciardo deutlich dahinter.
Zunächst auch hinter Button, der einem möglichen vierten Platz entgegenfährt. Ricciardos erster Überholversuch in der Haarnadel scheitert noch, später kommt er aber doch am McLaren vorbei. Buttons smarte Leistung wird trotzdem mit Platz fünf belohnt.
Dramatische Wende im Grand Prix in der 41. Runde von Adrian Sutil: Der Sauber-Pilot rutscht bei zunehmendem Regen in Kurve 8 von der Strecke. Was von der TV-Regie nicht gezeigt wird: Bianchi passiert eine Runde später haarscharf das gleiche Missgeschick an der gleichen Stelle - und schlägt hart mit dem Kopf gegen den Berge-Radlader. Während sich das TV-Publikum über Safety- und vor allem Medical-Car wundert, spielt sich an der Unfallstelle ein Drama ab.
Sutil berichtet, zurück im Paddock, kreidebleich von Bianchis Unfall, will aber "aus Respekt vor ihm" keine Details nennen. Sofort ist klar: Es geht um Bianchis Leben. Erinnerungen an den verheerenden Unfall von Marussia-Testfahrerin Maria de Villota werden wach. Der Rettungshubschrauber steht bereit, aus medizinischen Gründen wird Bianchi aber mit Krankenwagen und Polizeieskorte ins 14 Kilometer entfernte General Hospital Mie gebracht.
Kuriosum am Rande: Nico Hülkenberg muss seinen Force India noch vor der neuerlichen Unterbrechung an der Boxenausfahrt abstellen - darf seinen achten Platz aber behalten, weil bei Rennabbruch immer die vorletzte beendete Runde gewertet wird. So bekommt Vettel auch seinen dritten Platz zurück, den er wegen eines zusätzlichen Boxenstopps schon an Ricciardo verloren glaubte.
Gedämpfte Freude bei der Siegerehrung: Hamilton hat nun zehn Punkte Vorsprung auf Rosberg und kann das nicht ganz verbergen. Aber weil FIA-Rennleiter Charlie Whiting die Top 3 vor der Zeremonie über Bianchis kritischen Zustand informiert, bricht niemand in unangemessene Jubelarien aus. Offenbar hat die Formel 1 aus Imola 1994 gelernt...
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