Schanghai
Schanghai 2013 beginnt so, wie Schanghai 2012 aufgehört hat: mit Nico Rosberg an der Spitze. Mercedes gibt im ersten Training gleich mal das Tempo vor. Doch in den Longruns haben von Anfang an andere die Nase vorne.
Sergio Perez handelt sich den Ärger von McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh ein, als er ausgerechnet den neuen Frontflügel, der beim dringend nötigen sportlichen Aufschwung helfen soll, verschrottet - und sich im zweiten Training gleich noch einmal ins Kiesbett dreht.
Das bestimmende Thema des Trainingsfreitags ist aber Pirelli: "So habe ich die Reifen noch nie erlebt", funkt etwa Lewis Hamilton. Die TV-Zeitlupen zeigen: Von der weicheren Reifenmischung lösen sich während der Fahrt teilweise ganze Gummistücke!
Krankenwagen-Besuch bei Marussia, zum Glück ohne nennenswerte Folgen: Weil beim Zurückschieben eines Autos in die Garage ein Mechaniker unglücklich im Weg steht, rücken zur Sicherheit die Sanitäter aus. Ernsthaft verletzt wird dabei niemand.
Im Qualifying sichert sich Lewis Hamilton vor Kimi Räikkönen und Fernando Alonso die Pole-Position. Zum ersten Mal steht der Brite in einem Werks-Silberpfeil auf dem ersten Startplatz. Besonders ermutigend: In jedem Segment benötigt er nur einen Satz weiche Pirellis, spart damit Reifen für das Rennen auf. So ökonomisch kommt sonst niemand durch das Qualifying. Teamkollege Nico Rosberg vergibt die mögliche erste Startreihe mit einem Fahrfehler und wird Vierter.
Start zum Grand Prix von China 2013: Polesetter Hamilton kommt gut weg, beide Ferraris ziehen an Räikkönen vorbei und nehmen die Verfolgung auf.
Nach einer Runde zeichnet sich schon ab, dass es Hamilton schwer haben wird, sich lange an der Spitze zu behaupten. Räikkönen ist als Vierter erster Verfolger des Spitzentrios. Der fünftplatzierte Rosberg, immerhin Vorjahressieger in Schanghai, muss schon abreißen lassen.
Wegen eines defekten Stabilisators, wie sich wenig später herausstellt. Nach 21 Runden ist der Grand Prix für den Deutschen vorbei.
Auch der Teamkollege wird früh zum Kanonenfutter: Nach vier Runden muss er die Führung abgeben. Zuerst zieht Alonso bei Start und Ziel vorbei, ...
... beim Anbremsen der ersten Kurve dann auch noch Felipe Massa, in einem Aufwasch. Von da an ist klar: Für Mercedes geht es diesmal bestenfalls um den zweiten Platz, weil Hamilton Reifen schonen und Benzin sparen muss.
Sein der Hauptgegner heißt Kimi Räikkönen: Der "Iceman" beschädigt sich die Nase seines Lotus am McLaren von Sergio Perez, dem er von hinten auffährt. "Was macht der da?", schimpft Räikkönen. Das aus der kaputten Nase entstandene Untersteuern lässt ihn aber kalt: "Ich verstehe nie, warum du mehr Frontflügel willst. War doch perfekt", scherzt er nach der Zieldurchfahrt am Boxenfunk.
Weltmeister Sebastian Vettel (Red Bull) setzt vom neunten Startplatz aus zunächst auf die härteren Reifen, hat aber nicht genug Speed und fällt hinter Landsmann Nico Hülkenberg im Sauber zurück. Dort verliert er wertvolle Sekunden, die am Ende auf das Podium fehlen.
Denn nach dem späten Wechsel auf weiche Reifen (fünf Runden vor Schluss) setzt Vettel zur Jagd auf Hamilton an - und wittert noch die große Chance, als dieser beim Überrunden von Charles Pic (Caterham) aufgehalten wird. Aber beim Überrunden kommt dann Hamilton besser durch, sodass sich der Mercedes-Pilot sogar noch einen kleinen Fahrfehler in der allerletzten Kurve leisten kann. "Da sind mir graue Haare gewachsen", atmet Sportchef Toto Wolff auf. "Ich konnte gar nicht mehr hinschauen!"
Ansonsten ist Rad-an-Rad-Racing in Schanghai 2013 Mangelware. Als Vettel in Runde zwölf meldet, er kann um eine halbe Sekunde pro Runde schneller fahren, bremst ihn sein Team: "Das Tempo ist gut." Und als Alonsos Ferrari im Rückspiegel immer größer wird, hört er: "Wehr dich nicht gegen ihn, die Rundenzeiten sind zu wichtig." Später kritisiert der Champion: "Das hat im Moment nicht viel mit Rennfahren zu tun."
Unbelohnt bleibt die starke Anfangsphase von Massa - auch, weil er um zwei Runden zu spät zum ersten Boxenstopp kommt und später viel Zeit hinter dem Force India von Paul di Resta verliert. Dessen Topspeed powered by Mercedes stellt sich für den Ferrari-V8 als unbezwingbare Bastion heraus.
Di Restas Teamkollege Adrian Sutil ist da schon längst draußen: Der Deutsche wird von Rookie Esteban Gutierrez abgeschossen. "Ich muss mich bei Adrian entschuldigen, das war definitiv mein Fehler", räumt der Sauber-Mexikaner kleinlaut ein.
"Reifenflüsterer" Jenson Button, Schanghai-Sieger von 2010, kommt zwar genau wie Teamkollege Perez mit zwei statt drei Boxenstopps über die Runden, aber die McLaren-Updates zeigen trotzdem nicht die erhoffte Wirkung. Am Ende wird Button Fünfter, Perez Elfter.
Mark Webber erlebt indes einen vorläufigen Tiefpunkt: Nach Start aus der Boxengasse kann er mit den härteren Reifen zunächst einige Konkurrenten überholen, bis er ausgerechnet mit Toro-Rosso-Fahrer Jean-Eric Vergne kollidiert. Nach dem fälligen Boxenstopp löst sich dann auch noch ein Hinterrad - das beinahe den gerade in dem Moment vorbeifahrenden Vettel trifft!
Webber gehen in jenem stillen Moment viele Dinge durch den Kopf, mit der Formel 1 scheint er immer mehr abzuschließen. Heute weiß man: Sein Wechsel zu Porsche nach Le Mans war zu jenem Zeitpunkt schon so gut wie beschlossene Sache.
Trotzdem sorgt ein Australier aus dem Hause Red Bull für Freude: Toro-Rosso-Junior Daniel Ricciardo fährt mit starker Leistung auf den siebten Platz.
Fernando Alonso feiert am Ende einen souveränen Sieg, den 31. seiner Karriere - womit er in der ewigen Bestenliste mit Nigel Mansell gleichzieht. Kimi Räikkönen wird Zweiter, Lewis Hamilton Dritter. WM-Leader bleibt aber Sebastian Vettel.
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