Was Realität wurde und was Fieberfantasie blieb
#10: Fahren dürfen nur die Hinterbänkler - Sie ist der große Trumpf der Williams-Mannschaft. Doch nicht nur deshalb will die FIA der aktiven Radaufhängung beim Kanada-Grand-Prix 1993 einen Riegel vorschieben. Die fortschrittliche, aber unglaublich kostenintensive Technik wird von den Kommissaren bei der technische Abnahme als Fahrhilfe eingestuft und bei allen Teams für nicht-regelkonform befunden worden. Gleiches gilt für die Autos, die auf eine Traktionskontrolle setzten. Hintergrund: Die Systeme beeinflussen hydraulisch die Aerodynamik respektive entziehen dem Piloten teilweise die Kontrolle über den Vortrieb. Es entsteht die Drohkulisse, dass die Scuderia-Italia-Hinterbänkler Michele Alboreto und Luca Badoer die einzigen Starter in Montreal sind. Das Verbot wird bis Anfang 1994 aufgeschoben, dann aber durchgesetzt.
#9: Eier, Marmelade, Frühstücks-Qualifying - Das Qualifying ist lange eine der Großbaustellen der Formel 1, ehe 2006 das Format des dreistufigen Ausscheidungsfahrens gefunden wird. In der Saison zuvor gibt es die gravierendste Änderung, als noch ein Einzelzeitfahren über die Pole-Position entscheidet: Motiviert durch eine wetterbedingte Verschiebung des Qualifyings beim Japan-Grand-Prix 2004 auf den Sonntagmorgen macht die FIA die Sache im folgenden Winter zur Institution. Das Zeittraining wird geteilt: Eine Runde am Samstagnachmittag, die andere wenige Stunden vor dem Rennen. Die Addition der Zeiten entscheided über die Startaufstellung - jedoch nur sechs Rennen lang. Formel-1-Fans haben keine Lust auf Qualifying-Frühstück, den Teams bereitet die Novelle wenig Freude.
#8: Es "klappt" mit dem Überholen - Ein Heckflügel, der sich per Knopfdruck umlegen lässt, um das Auto schneller zu machen: Das Ganze erinnert vor 2011 eher an einen James-Bond-Film oder die legendären Opel Calibra in der DTM der Neunzigerjahre als an die Zukunft der Formel 1. Doch einige Jahre später ist das Drag Reduction System, kurz DRS, aus der Königsklasse nicht mehr wegzudenken. Die Überholhilfe ist damals auch eine Antwort auf die F-Schächte, die die Piloten mit der Hand oder den Knien zuhalten müssen und so zu Verrenkungen zwingen ? ganz im Stile des Brettspiels Twister oder eines sich auflösenden orientalischen Taxis. Dafür gibt es es sogar eigens angefertigte Lederhandschuhe.
#7: Nachhaltige Erfolgsdiät mal anders - 2002 ist die Dominanz von Michael Schumacher und Ferrari derart erdrückend, dass die FIA ungewöhnliche Wege gehen will, um die Formel 1 wieder spannender zu machen. Die Idee stammt aus dem Tourenwagen-Sport, erfreut sich aber keiner großen Beliebtheit: Pro WM-Punkt soll ein Kilogramm Ballast verordnet werden und für die komplette Saison Bestand haben: Beim damaligen 10-Punkte-System würde ein Auto im Saisonfinale locker ein Zentner schwerer sein können. Ein Albtraum für jeden Ingenieur, der nie über das Aufwachen hinaus andauert.
#6: Der Alles-oder-Nichts-Weltmeister - Olympia ist schon immer eines der Steckenpferde des Bernie Ecclestone: Mit seinem "noch größeren" London-Grand-Prix wollte und will der 83-Jährige die Stadtvätern nach der Ausrichtung der Olympischen Spiele übertrumpfen, in der Saison 2009 allerdings treiben ihn ganz andere Pläne um: Nach dem Prinzip eines Medaillenspiegels will er auch Formel-1-Weltmeister krönen. Ein Rennsieg soll eine Goldmedaille bedeuten und derjenige mit den meisten die Krone erhalten. Bei Gleichstand würde nach Silber- und Bronzerängen differenziert. Die Bedenken überwiegen: Teamorder wäre von Beginn an praktisch unausweichlich, ein Weltmeister möglicherweise schon früh mathematisch sicher. Für den Vorschlag gibt es es die Holzmedaille.
#5: Wasser marsch! Dass Strecken für Tests künstlich bewässert werden, ist Realität. Eine entsprechende Anlage ist etwa auf dem Kurs im spanischen Jerez vorhanden und wird auch genutzt. Die Technik zu verwenden, um Grands Prix spannender zu machen und die von den Fans teilweise herbeigesehnten Regenrennen zu simulieren, entspringt aber nur der Fantasie Bernie Ecclestones. Den Formel-1-Boss bringt die Sache 2011 auf die Agenda und findet sogar Mitstreiter in der Szene. "Am Anfang dachte ich selbst, es sei verrückt", räumt er ein. Die Idee ist schließlich doch zum Absaufen bestimmt.
#4: Alle guten Dinge sind zwei (Heckflügel) - Bis heute reißt die Diskussion um das Überholen mit Formel-1-Autos nicht ab. Dabei hat 2007 ein gewisser Nick Wirth die Lösung parat, für die Ästheten allerdings schleunigst den Keller aufsuchten müssen: Der frühere Simtek-Teamchef und Technikdirektor bei Benetton zeichnet ein Konzept namens "Centreline Downwash Generating Wing", kurz CDG-Flügel. Zwei kleine Heckflügel auf Breite der Hinterräder sollen für 20 bis 30 Prozent weniger Abtriebsverlust in der "Dirty Air" sorgen und es möglich machen, dichter aufzufahren. "Diese neue Entwicklung ist wichtig für die Formel 1. Wir können den Fans genau das geben, was sie verlangen", schwärmt der damalige FIA-Präsident Max Mosley. "Hoffentlich arbeiten die Teams mit uns zusammen, um es 2007 einzuführen und nicht bis 2008 zu warten." Die Formel 1 wartet bis heute. Und wird es weiter tun.
#3: Piraaaaaten! Fast kommt es soweit, dass die Formel 1 als Königsklasse des Motorsport nicht mehr unumstritten ist. Am 19. Juni 2009 heißt es bei 'Motorsport-Total.com': "Unglaublich - es ist tatsächlich passiert! Die Formel 1 wird gespalten. Nachdem die Teams der Vereinigung FOTA bis in die Nacht hinein über das letzte Kompromissangebot von FIA-Chef Max Mosley beraten haben und keinen Konsens fanden, wird die "Piratenserie" kommen." Eine mögliche Reaktion ist eine zweigeteilte Serie, in der die einen mit unbegrenztem Budget entwickeln dürfen. Die anderen sind an eine Kostenobergrenze gebunden, dürfen im Gegenzug aber bestimmte Regeln (verstellbare Flügel, Drehzahlbegrenzung, Nutzung des Windkanals und vieles mehr) brechen. Wie immer rotten sich Quertreiber und Platzhirsche doch noch zusammen.
#2: Schleichwege gegen den Stau - Wie unser Ranking zeigt, ist Bernie Ecclestone immer für einen absurden Vorschlag zu haben. 2010 übertrifft sich der Zampano aber selbst, als er sich eine Art Überholspur für die Formel 1 ersinnt. Die Idee dahinter ist es, auf allen Kursen eine Abkürzung einzuführen, die jeder Pilot in einem Rennen in einer bestimmten Häufigkeit nutzen darf. "Dann würden die Jungs nicht mehr festhängen und es wäre gut für das Fernsehen", erzählt Ecclestone damals, stößt bei allen Beteiligten aber auf taube Ohren und bleibt mit der Idee auf der Standspur.
#1: Cockpits nach dem Reise-nach-Jerusalem-Prinzip - Michael Schumacher im Minardi: Es ist das am häufigsten zitierte Beispiel, als die FIA 2002 auf die groteske Idee kommt, die Piloten zu einem heiteren Tauschen der Cockpits zu verdonnern. Wäre der Vorschlag Realität, würde der Automobil-Weltverband die Fahrer auswählen und Rennen für Rennen rotieren lassen. Sobald jeder für jedes Team am Volant gewesen ist, gibt es ein Wünsch-dir-was: Jeder sucht sich ein Cockpit aus, streng nach der Reihenfolge im WM-Gesamtstand. Und nein, liebe Leser, es ist ausnahmsweise kein Aprilscherz von 'Motorsport-Total.com'!
Was Realität wurde und was Fieberfantasie blieb