Suzuka, Japan
Der Suzuka-Grand-Prix ist von Anfang an kein Wochenende wie jedes andere für Jules Bianchi. Er ist noch gar nicht an der Strecke angekommen, da spekulieren italienische Medien bereits darüber, wann Ferrari seinem Toptalent die Chance im Werksauto einräumt - schließlich setzten die Roten schon zuvor bei mehreren Testgelegenheiten auf den 25-Jährigen und ein Abgang Fernando Alonsos wird immer konkreter.
Noch bevor Sebastian Vettel seinen Red-Bull-Abschied und damit indirekt seinen Wechsel zu Ferrari verkündet, offenbart der Franzose am Donnerstag in der FIA-Pressekonferenz große Pläne. Seinen Aufstieg zur Scuderia, deren Juniorprogramm er seit 2010 angehört, hat er für die kommende Saison ins Visier genommen, sollte sich die Chance ergeben: "Ein logischer Schritt", meint Bianchi und fügt an: "Ich fühle mich natürlich bereit. Ich hätte ein gutes Gefühl."
Zur Stärkung bei den nahenden, großen Aufgaben gibt es Sushi und andere Spezialitäten von einem Koch, den Marussia eigens für Suzuka angeheuert hat. Auf die frittierten Jalapenos, nur für die Härtesten unter der Sonne, verzichtet Bianchi freiwillig.
Sportlich geht es am Freitag weniger vielversprechend los: In der ersten Session des Freien Trainings streikt der Marussia und Bianchi kann nur zehn Runden fahren. Die russisch-britische Truppe scheint wieder hinter Rivale Caterham zurückgefallen zu sein. Einmal mehr ist Bianchi auf sein Können am Volant angewiesen, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Am frühen Samstagmorgen gibt es die Hiobsbotschaft für Bianchi: Vettel verlässt Red Bull, sein erhoffter Platz bei Ferrari ist wohl auf unbestimmte Zeit besetzt. Aus seiner Enttäuschung macht er keinen Hehl: "Wenn man Teams wie Red Bull oder McLaren auf junge Piloten setzen sieht, hofft man natürlich auch darauf", meint der Franzose beim Gedanken an Daniil Kwjat oder Kevin Magnussen. Dabei erblickte Bianchi nur 25 Monate nach Vettel das Licht der Welt.
In der Niederlage zeigt Bianchi Größe und Respekt für die Scuderia, die seit über vier Jahren Geld und Mühe in seine Karriere steckt: "Wenn sie sich für ihn entscheiden, heißt das aber, dass sie einen Mann wie ihn brauchten, um Alonso zu ersetzen. Das kann ich verstehen."
Auch das Qualifying am Samstagnachmittag läuft gar nicht dem Geschmack Bianchis, der auf Platz 20 landet: "Wir sind nicht dort, wo wir sein wollen. Caterham hat einen Schritt nach vorne gemacht, was sie auf dieser Strecke gut umgesetzt haben. Es ist schade, aber - wie immer - werden wir uns darauf fokussieren, was wir morgen machen können, weil das Rennen sehr interessant werden wird", hofft Bianchi.
Wie schon bei seinem sensationellen Punktgewinn in Monaco sind die kniffligen Bedingungen, die den Nachteil seines Autos nivellieren, Bianchis Hoffnung. Die japanischen Wettergötter - oder besser gesagt Taifun Phanfone - enttäuschen ihn nicht und bescheren ein Regenrennen am Sonntag.
Nach der ersten Serie der Boxenstopps scheint Bianchi mit etwas Glück wieder einen Coup landen zu können, schließlich wartet er mit seinem Reifenwechsel lange ab und wird so auf Rang drei gespült. Die Umstände passen aber nicht, um für die Sensation zu sorgen. Stattdessen...
...kommt es in Runde 42 zum Schlimmsten. Bianchis Marussia kracht trotz doppelt geschwenketer gelber Flaggen in ein Bergungsfahrzeug, das dabei ist, den Sauber von Adrian Sutil aus der Gefahrenzone zu befördern. Der Funkkontakt zum Team reißt ab, das Medical-Car sowie weitere Helfer eilen zum verunglückten Marussia. Der bewusstlose Jules Bianchi wird aus dem zerstörten Auto geborgen und in eine Klinik geflogen. Es herrscht zunächst Unklarheit bezüglich des Gesundheitszustandes.
Am Sonntagabend bangt die Formel 1 um eines ihrer vielleicht größten Talente. Neun Monate lang kämpft Jules Bianchi um sein Leben. Am 17.07.2015 verliert er diesen Kampf. Die Formel 1 verliert ein großes Talent und einen äußerst beliebten Piloten.
Suzuka, Japan