Von Mutkurven und Schmuddel-Hotels
Eine der spektakulärsten Kurven des Formel-1-Kalenders befindet sich am Casino in Monte Carlo. 270 km/h zwischen den Leitplanken beim Anbremsen von Beau Rivage, dann wohl die schnellsten 130 Sachen vorbei am Casino: "Formel-1-fahren in Monaco ist wie Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer", hat Nelson Piquet einmal gesagt.
Das gilt auch für den Tunnel, in dem die Grand-Prix-Haudegen auf bis zu 290 km/h beschleunigen. Der Albtraum eines jeden Rennfahrers: dort einen stehenden Konkurrenten zu rammen. Besonders schwierig ist die Passage wegen des Helligkeitsunterschiedes bei Ein- und Ausfahrt, auch wenn die Organisatoren die Beleuchtung im Tunnel in den vergangenen Jahren deutlich verbessert haben.
Mit 290 km/h wird dann die Hafenschikane angebremst, die jedes Jahr für spektakuläre Bilder sorgt und eine der wenigen Überholmöglichkeiten in Monte Carlo ist. Was es bedeutet, an dieser Stelle der Technik ausgeliefert zu sein, musste Karl Wendlinger 1994 leidvoll erfahren, als er schwer verunfallte und daraufhin wochenlang im Koma lag. Seither wurden die Leitplanken zurückversetzt und entschärft.
Eine der größten Mutproben des Jahres 2012: sich auf ein Rad-an-Rad-Duell mit Romain Grosjean einlassen. Beim Start in Monte Carlo etwa sorgte der Lotus-Pilot für Kleinholz. Doch Teamchef Eric Boullier gab ihm noch eine Chance, sodass Grosjean 2013 einen neuen Anlauf wagen darf.
1999 wurde die letzte Kurve in Montreal in "Wall of Champions" umgetauft, weil dort der Reihe nach die Weltmeister Damon Hill, Michael Schumacher und Jacques Villeneuve abflogen. 2012 küsste Bruno Senna die Mauer. Ironie des Schicksals, dass dort der Slogan "Willkommen in Quebec" auf die Streckenbegrenzung gepinselt ist.
Fast 300 km/h und eine der am meisten unterschätzten Kurven der Formel 1: Copse in Silverstone war früher die erste Kurve auf dem ehemaligen Flugfeld, seit dem Umbau ist sie es nicht mehr. Durch die Umstellung von V10- auf V8-Motoren geht die Kurve teilweise voll - aber wenn, dann mit den meisten Autos nur auf der allerletzten Rille.
Nur ein paar Fahrsekunden nach Copse folgt in Silverstone die Kombination aus Maggotts, Becketts und Chapel (300 km/h am Eingang, 200 in der Mitte, 280 am Ausgang), nicht nur im Regen eine der größten Herausforderungen der Formel 1. Besonders schwierig: Beim Durchfahren der schnellen Kurven nimmt die Geschwindigkeit ab, sodass die Fahrer mitten in der Kurve herunterschalten müssen.
Zwar geht die Senke Eau Rouge in Spa-Francorchamps mit modernen Formel-1-Autos locker voll, von ihrem Mythos hat sie trotzdem kaum etwas verloren. Die Kurve ist benannt nach dem nahe gelegenen Fluss, dessen Wasser sehr eisenhaltig ("rotes Wasser") ist. "Eau Rouge kann man am ehesten mit einem Starfighter vergleichen", schwärmt Gerhard Berger. "Du fährst erst runter, wobei du den Magen spürst, dann wieder hoch. Wenn du unten in der Senke bist, siehst du überhaupt nichts - nur den Himmel. Dort den Gasfuß durchgedrückt zu lassen, ist das Geilste, was es gibt."
Die fahrerisch größere Herausforderung in Spa-Francorchamps ist inzwischen die schnelle Linkskurve Pouhon, die zu Bergers Zeiten noch nicht einmal ansatzweise voll ging, heutzutage aber wegen der reduzierten Motorleistung und der verbesserten Aerodynamik schon. Aus Rivage kommend erreichen die Formel-1-Boliden beim Anbremsen der Passage bis zu 290 km/h.
Die Parabolica-Zielkurve in Monza, die am Scheitelpunkt (215 km/h) sehr eng zu-, dann aber immer weiter aufmacht (285 km/h am Ausgang), ist der Stoff, aus dem Formel-1-Legenden gemacht sind. Jochen Rindt hat hier 1970 sein Leben gelassen - und wurde in jenem Jahr trotzdem posthum Weltmeister. Besonders tückisch: Weil Monza eine Hochgeschwindigkeits-Abstimmung erfordert, müssen die Fahrer mit wenig Anpressdruck auskommen.
Nicht schnell (135 km/h), aber umstritten: Die Singapur-Sling-Schikane ist weniger wegen ihres Designs als vielmehr wegen der hohen Randsteine eine echte Mutprobe, wie dieses Foto von Adrian Sutil beweist. Ein bisschen zu schnell und ein bisschen neben der Linie, schon hebt das Auto ab wie eine Rakete - Mauerkuss oft inklusive.
Schmuddel-Stundenhotels, lange Anfahrtswege, teilweise fragwürdige Gastronomie und wenig hygienische Bedingungen: Wer einen Geschäftskunden zum Grand Prix von Südkorea einlädt, der beweist wahrlich Mut. Das 2010 eingeführte Rennen gehört zu den unbeliebtesten Stationen des Formel-1-Kalenders.
Die Spoon-Kurve in Suzuka, wegen ihrer Form mit dem englischen Wort für "Löffel" benannt, verfügt über weitläufige Auslaufzonen, sodass hier schon lange nichts mehr passiert ist. Aber die Passage ist schnell und verleitet zu Fehlern.
Der Linksknick 130R in Suzuka, hier aus der Vogelperspektive, geht mit den heutigen Formel-1-Autos normalerweise voll, ist wegen seiner Geschwindigkeit aber immer noch eine Mutprobe. Und wer dort den Mumm hat, einen Gegner zu überholen, wie Fernando Alonso oder Kimi Räikkönen im legendären 2005er-Klassiker, der gehört sowieso zu den Mutigsten der Mutigen.
Der Grand Prix von Indien in Noida mag auf der Rennstrecke nicht die ganz großen Mutproben bieten, dafür ist es umso mutiger, sich mit einem Mietwagen in den chaotischen Straßenverkehr der Hauptstadt Delhi zu stürzen. Für Nicht-Inder ein klares No-Go!
Die größte Mutprobe in Abu Dhabi: die Rechnung für das berühmte Yas-Viceroy-Hotel, dessen kleinste Zimmer bei 55 Quadratmetern beginnen (bis zu 400 Quadratmeter für die Präsidentensuite mit eigenem Swimmingpool), selbst zu bezahlen. Selbst außerhalb der Formel-1-Wochenenden blättert man dafür fast 200 Euro pro Nacht hin - und beim Grand Prix sind die Zimmer sowieso fast unerschwinglich (und ein Jahr im Voraus ausgebucht).
Wer schon einmal im Regen mit seinem Motorrad ausgerückt ist, kann sich ungefähr vorstellen, wie es sein muss, mit einem 300 km/h schnellen Formel-1-Auto in den Spray eines Vordermannes einzutauchen - der totale Blindflug! Es gibt furchtlose Fahrer wie Fernando Alonso, die diese Kunst besser beherrschen als andere.
Mutig ist, Marussia-Teamchef John Booth um eine Gehaltserhöhung zu bitten - oder auch nur die Sponsorenmillionen, die man dem Team versprochen hat, nicht rechtzeitig zu überweisen. Davon kann Luiz Razia, der nur ein paar Tage lang Marussia-Stammfahrer war, ein Liedchen singen.
Von Mutkurven und Schmuddel-Hotels