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Timo Scheider zweifelt an BMW-Wende: "Ein völliges Desaster"

Ex-BMW-Pilot Timo Scheider gibt nach dem katastrophalen DTM-Auftakt Einblicke: Was in München schiefläuft und wieso man die eigenen Leute hinterfragen muss

(Motorsport-Total.com) - Muss BMW nach der Pleite beim DTM-Auftakt in Spa-Francorchamps, als man in den Rennen mit über 20 Sekunden Rückstand außerhalb der Top 4 landete, personelle Konsequenzen ziehen? Dieser Meinung ist Ex-DTM-Champion Timo Scheider. "Dieser große Rückstand ist eine echte Katastrophe für BMW", sagt der ehemalige Audi-Pilot, der bis Ende 2019 BMW-Werksfahrer war, im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.

Titel-Bild zur News: Sheldon van der Linde

Beim DTM-Auftakt in Spa-Francorchamps war BMW noch weiter zurück als bisher Zoom

"Man redet immer davon, dass ein Fahrer ausgetauscht wird, wenn er nicht funktioniert. Es gehört aber auch dazu, dass Personen in gewissen Positionen ihren Job 100-prozentig machen müssen. Und auch da muss vielleicht irgendwann hinterfragt werden, ob die Richtigen am Ruder sind", spricht Scheider Klartext. Wenn die "Performance nicht stimmt, wird man reagieren müssen".

Er sieht Parallelen zum Ferrari-Team in der Formel 1: "Bei BMW muss man - ähnlich wie bei Ferrari - intern alles hinterfragen. Und Ferrari wird auch Änderungen vornehmen müssen."

"Habe mich bei BMW stark gewundert"

Doch wo liegen die Ursachen dafür, dass man gegen Audi seit einem Jahr nicht mehr siegt und beim Auftakt 2020 überhaupt kein Land sah? "Am Ende ist es vielleicht die Art und Weise und die Strategie, wie man arbeitet, wie man analysiert, wie man Dinge umsetzt - wie schnell oder wie langsam", antwortet Scheider, der aus seiner Zeit als BMW-Pilot von Anfang 2017 bis Ende 2019 die Innenansicht der Motorsport-Abteilung kennt. "Und welche Leute in welchen Bereichen am Ruder sitzen."

In seinen drei Jahren bei den Münchnern seien ihm im Vergleich zu seiner Audi-Zeit maßgebliche Unterschiede bei Philosophie und Arbeitsweise aufgefallen: "Es gab in meiner BMW-Zeit schon Dinge, die ich ganz klar als deutlich anders definieren würde, als das bei Audi der Fall war. Und zwar so, dass ich mich bei BMW doch stark gewundert habe, wie das umgesetzt wird. Da habe ich mir teilweise gedacht: 'Interessant! So kenne ich das nicht'."

Worauf Scheider dabei anspielt? Der Ex-DTM-Pilot will keine Details nennen, sagt aber: "Da geht es um die Mechanik, wie man Dinge analysiert, wie man Marschrichtungen in der Entwicklung findet - und wie man sie umsetzt und Antworten findet."

Scheider sieht Planlosigkeit bei BMW

Dabei wäre gerade in der DTM, in der man kaum Trainingszeit hat und eine Session die andere jagt, eine stringente Arbeitsweise wichtig. "Wenn ich viel besser weiß, was ich brauche und mein Set-up-Fenster beim Eintreffen an der Rennstrecke schon habe, dann gehe ich mit einer ganz anderen Basis in das Wochenende als wenn ich sage, es müsste so sein oder es könnte so sein."

Doch genau das scheint der Fall zu sein, wie Scheider auch aus den enormen internen Leistungsunterschieden im BMW-Lager herausliest: "Wenn das Auto perfekt wäre und jeder damit fahren könnte, dann wären die alle innerhalb von zwei, drei Zehnteln. Im Moment reden wir untereinander aber eher von Sekundenabständen, was wirklich dramatisch ist."

Dazu kommt die Ratlosigkeit, die Scheider aus seinen Gesprächen mit seinem Kumpel Timo Glock heraushört. "Auch Timo sagt zu mir: 'Ich fahre raus und bin einfach zwei, drei Runden komplett weg vom Fenster. Und plötzlich ab Runde vier fahre ich genauso schnell wie meine Teamkollegen. Und ich weiß nicht warum.'"

Timo Glock, Timo Scheider

Kennt die internen Abläufe: Ex-BMW-Werksfahrer Timo Scheider mit Timo Glock Zoom

Reifenverschleiß: Warum BMW in einem Dilemma steckt

Der Mangel an Lösungen verunsichert - so Scheider - die Fahrer und wirkt sich auch auf die Set-up-Arbeit aus. "Dann geht jeder Fahrer noch einmal zusätzlich in seine eigene Richtung - und dann wird es noch schwieriger, das zu analysieren und zu verstehen. Das ist momentan die schwierigste Situation, die man sich bei BMW vorstellen kann: Man will, aber man weiß nicht genau wie."

Doch welche Chancen gibt es nun, dass sich bei BMW die Lage im Laufe der Saison bessert? "Man muss jetzt eine Lösung für die einzelne Runde und für die Distanz finden", erklärt Scheider. "Fakt ist: Die müssen sehr stark nachlegen, müssen schneller werden. Und dafür muss ich ein aggressiveres Set-up wählen und mehr Sturz fahren. Doch das frisst dann wieder mehr Reifen. Das ist dramatisch", verweist er darauf, dass der M4 ohnehin schon ein Problem mit dem Reifenverschleiß hat, und sieht die Münchner in einem Dilemma.

An ein rein Spa-spezifisches Problem glaubt er nicht: Während die im Bereich Aerodynamik traditionell starke Audi-Truppe nun auch die Schwäche im mechanischen Bereich ausgebügelt und damit das "beste Gesamtpaket" habe, fehlte bei BMW bereits seit einigen Jahren "die Konstanz und die Anpassungsfähigkeit auf Bedingungen und Rennstrecken. Das ist ein Problem."

"Die bauen jetzt kein neues Auto mehr"

Entsprechend groß sei die Enttäuschung unter den Piloten, die sich auf ein hartes Jahr einstellen: "Es ist ein völliges Desaster, wenn Leute wie ein Timo Glock oder ein Marco Wittmann, der im Vorjahr noch um den Titel gefahren ist, irgendwo zwischen Platz zehn und 13 ins Ziel kommen. Sie sind realistisch genug, um zu wissen, dass sie jetzt nicht zum Lausitzring kommen und gewinnen werden. Dafür müsste schon ein Wunder geschehen."

Eine Lösung der Probleme sei aber auch aus finanziellen Gründen unwahrscheinlich. "Es wird ganz schwierig, das wieder in den Griff zu bekommen, denn dafür brauchst du Geld", sagt Scheider. "Die bauen jetzt kein neues Auto mehr. Die Frage ist: Gibt es überhaupt noch ein Extra-Budget, um vielleicht noch Dinge auszubügeln, die man längst hätte ausbügeln müssen? Beziehungsweise will man das noch, wenn man weiß, dass es zumindest mit diesen Autos nicht weitergeht?"

Droht der DTM also ein Saison, in der Audi alle Rennen gewinnt? "Es wird sicher Rennen geben, bei denen BMW ein Stück besser aussieht", meint Scheider. "Wann man soweit sein wird, um wieder zu gewinnen, kann ich aber nicht sagen. Fakt ist: So wie es jetzt aussieht, müsste man auf eine normale Streckenlänge bezogen auf die einzelne Runde zwischen drei und vier Zehntel hinten sein. Und auf die Distanz ist das ein großes Fragezeichen. Momentan sehe ich bei BMW nicht viel Licht am Ende des Tunnels."