• 02.06.2010 16:18

  • von Roman Wittemeier

Le-Mans-Helden 2010: Paul Drayson

Vor der 78. Auflage der 24 Stunden von Le Mans stellt 'Motorsport-Total.com' wichtige Langstrecken-Asse vor - Heute: Der rasende Politiker Paul Drayson

(Motorsport-Total.com) - Weit über 20 Teilnehmer der 24 Stunden von Le Mans 2010 bringen Erfahrung aus Formel-1-Grands-Prix mit an die Sarthe. Das Starterfeld der 78. Auflage ist so stark besetzt wie selten zuvor. Namhafte Piloten erfüllen sich in diesem Jahr den Traum vom Start beim Langstreckenklassiker: Nigel Mansell, Timo Scheider, Andy Priaulx, Jean Alesi und Giancarlo Fisichella beispielsweise.

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Kein Minister mehr: Paul Drayson hat ab sofort mehr Zeit für seine große Liebe

'Motorsport-Total.com' stellt in dieser Woche einige Piloten vor, die als wichtige Stützpfeiler des Langstreckensports gelten. Menschen, die nicht nur mit einem kräftigen Gasfuß und taktischem Langstreckengeschick gesegnet sind, sondern auch die entsprechende Leidenschaft und Leidensfähigkeit für das 24-Stunden-Rennen mitbringen. Heute: Lord Paul Drayson.#w1#

Kaum jemand in Reihen der insgesamt 165 Piloten, die in gut einer Woche in Le Mans starten werden, versprüht dermaßen viel motorsportliche Leidenschaft wie Lord Paul Drayson. Der Brite, der seinem Land bis vor wenigen Wochen als Wissenschaftsminister diente, erfüllt sich mit seinem eigenen LMP1-Team einen Traum - das spürt man deutlich. Lord Drayson ist Racer der alten Schule. Beim Anblick des 50-Jährigen fühlt man sich in die 1970er-Jahre zurückversetzt.

Ein Racer der alten Schule: Paul Drayson

Paul Drayson könnte ohne Probleme durch eine Szene im Kultfilm "Le Mans" mit Steve McQueen laufen. Er würde nicht auffallen. Der Rennfahrer, Teamchef, Techniker, Geschäftsmann und Politiker verkörpert alles, was die Langstreckenhelden von früher auch ausmachte: Leidenschaft, Respekt, Humor, Lockerheit und Offenheit. "Jetzt kann ich mich endlich voll auf den Rennsport konzentrieren", sagt der Brite, der sein Ministeramt im Zuge der Neuwahlen in Großbritannien kürzlich abgeben musste.

Die Erleichterung bringt bei Paul Drayson indirekt eines zum Ausdruck: Politik ist Beruf, Motorsport ist Berufung. Seit Jahren hat der 50-Jährige um seine Renneinsätze gekämpft. "Als Minister darf man es nur als reinen Sport betreiben, darf aber nicht in geschäftliche Dinge verwickelt sein", erklärt er. "Das bedeutete: Ich durfte bisher offiziell keine Sponsoren haben und musste für alle Dinge von Zulieferern und Partnern den normalen Preis zahlen."

Paul Drayson

Das Drayson-Emblem ziert seit Ende 2009 die LMP1-Lola-Judds Zoom

"Das ist okay, wenn man wie ich mit dem Lola-Judd ein fertiges Paket hat. Aber wenn man selbst etwas entwickeln möchte, dann geht das schlichtweg nicht", beschreibt der studierte Ingenieur. Beim Aufbau des eigenen Rennteams musste man Tricks und Geduld anwenden. Als offizielle Besitzerin des Rennstalls wird Draysons Ehefrau Lady Elspeth geführt, um klarzustellen, dass seine Aktivitäten nicht zu sehr mit seinen politischen Aufgaben für die Labour-Partei kollidieren.

Dass der Rennsport bei Drayson längst die politischen Aufgaben überstrahlt, wird spätestens 2009 deutlich, als der Brite vom GT2-Wagen auf einen eigenen LMP1-Boliden umsteigt. Dieser Aufschwung hat unter anderem seinen Grund in den Regularien des Le-Mans-Veranstalters ACO. Paul Drayson träumt schon seit vielen Jahren von einem Start an der Sarthe, doch er muss bis 2009 warten, um ihn sich endlich erfüllen zu dürfen.

Start in Le Mans erst seit 2009 möglich

"Ich bin seit der Geburt auf einem Auge blind", erklärt Drayson. "Ich musste immer wieder beweisen, dass ich genug sehen und sicher fahren kann. Es gab lange Zeit die Regel, dass man einäugig weder an der Formel 1 noch am Rennen in Le Mans teilnehmen darf." Diese Regel wurde für 2009 überarbeitet, sodass der leidenschaftliche Le-Mans-Fan nach einem Probejahr mit dem Aston Martin in der LMS endlich auch beim großen Langstreckenklassiker in Frankreich fahren durfte.

Der erste Auftritt des Briten an der Sarthe war sportlich mäßig, aber persönlich höchst emotional. Auf Drayson sprang nicht nur endgültig der Le-Mans-Funke über, sondern es entwickelte sich sofort ein loderndes Feuer voller Leidenschaft. Konsequenz: Politik hin, Ministeramt her - Drayson kaufte ein LMP1-Coupé von Lola, einen bewährten Motor von Judd und besorgte Reifen von Michelin. Seither will er im Prototypensport ganz vorne mitmischen.

"Mit einem LMP1 ist es wie der Mount Everest ohne Sauerstoffgerät." Paul Drayson

"Le Mans mit dem GT war für mich der persönliche Mount Everest. Nun mit einem LMP1 ist es wie der Mount Everest ohne Sauerstoffgerät", lacht der sympathische Teamchef und Pilot. Erfolge stellen sich schnell ein. Zwar erringt man keine Gesamtsiege, aber in Okayama im Oktober 2009 fährt Jonny Cocker den Drayson-Lola sensationell auf die Pole-Position, Emanuele Pirro ärgert zu Beginn dieses Jahres in Sebring die Peugeots.

"Der Schritt in die LMP1-Klasse war ohnehin immer das Ziel. Nun werden wir nach und nach schauen, in welchen Bereichen wir umweltfreundliche Technologien nutzen können", sagt Drayson, der als rennfahrender Minister oft für sein Hobby getadelt wurde. Man warf dem Briten immer wieder vor, mit seinem Rennsport der Umwelt zu schaden. "Im Zuge der klimatischen Veränderungen werden ganz neue Maßnahmen nötig. Und die Sportwagen bieten aufgrund von Format und Tradition die optimale Spielwiese dafür."

Drayson will Le Mans grüner machen

"Es wird nicht mehr lange dauern, bis der erste Elektromotor eingesetzt wird", sagt der Le-Mans-Fan. Allerdings fügt er lachend hinzu, dass man sich dann einen "Soundprozessor für echten Motorsportklang" gleich mit einbauen sollte. Über erfolgreiche Fahrten mit zukünftigen Hybridautos soll es laut Drayson möglichst schnell einen solchen Elektrorenner geben. "Aber nicht mit Lithium-Ionen-Akkus, denn die sind nicht mehr aktuell. Wir experimentieren mit Braille-Batterien, aber da muss noch mehr kommen."

Aufgrund seines beruflichen Hintergrundes als Ingenieur und Geschäftsmann will Drayson nicht nur Rennen fahren, sondern die gesamte Szene in Bewegung bringen. "Wir haben mit unserem Bio-Ethanol den ersten Schritt gemacht. Anfangs hat uns die Konkurrenz ausgelacht. Aber dann haben sie ganz schnell gemerkt, dass wir mit diesem Treibstoff keinen Deut langsamer sind." In Zukunft will Drayson ein "rollendes Labor" an den Start bringen: einen zweiten Prototyp, in dem neue Technologien getestet und entwickelt werden.

Emanuele Pirro, Jonny Cocker, Paul Drayson

Sebring 2010: Emanuele Pirro, Jonny Cocker und Paul Drayson ärgern Peugeot Zoom

Dies alles ist derzeit noch Zukunftsmusik. Im Juni geht es um Racing, um Erfolg in Le Mans. Das Debüt mit dem LMP1-Wagen steht an. "Ich träume oft davon, nachts mit Vollgas die Mulsanne-Gerade runterzudonnern", sagt der 50-Jährige. "Ich kenne das Gefühl mit dem GT. Da fährst du voll auf Anschlag und trotzdem taucht irgendwann ein Lichtschein im Rückspiegel auf und ein Peugeot huscht irre schnell vorbei. In diesem Jahr sitze ich in einem LMP1 und will das auch mal auf der Überholspur erleben!"

Selbstverständlich gehen Peugeot und Audi mit ihren Dieselautos auch in diesem Jahr als große Favoriten in den Dauerlauf. Aber Drayson mag nicht aufhören zu träumen: "Es klingt vielleicht arg romantisch, aber in Le Mans gibt es doch eine lange Tradition von überraschenden Siegen der Privatteams. In Sebring haben wir das ansatzweise leben können, als wir vor Peugeot lagen. Bei allem Realismus: Ich fahre nicht nach Le Mans, um schnellster Benziner zu werden. Ich will den Gesamtsieg! Dort kann alles passieren!"