• 11.05.2009 10:21

  • von Uwe Winter

Winter-Kolumne: Zwischen den Stadtrennen

'Eurosport'-Kommentator Uwe Winter widmet sich in seiner neusten Kolumne dem Stadtrennen in Marokko und blickt voraus auf das Rennwochenende in Pau

Titel-Bild zur News: Uwe Winter

'Eurosport'-Kommentator Uwe Winter fand viel Gefallen am WTCC-Debüt in Afrika

Liebe Leser von 'Motorsport-Total.com',

groß war sie, die Spannung vor dem WTCC-Debüt auf afrikanischem Boden: Im Gegensatz zu den Premiere- rennen in Porto 2007 und dem ersten Auftritt in Japan 2008, wo man jeweils schon andere Rennveranstaltungen erfolgreich durchgeführt hatte, war in Marrakesch alles neu: Alte Traditionen treffen in der Königsstadt auf die moderne Technik des WTCC-Clans. Seit meinem letzten Besuch 1988 hat sich die Stadt erheblich gewandelt. Was damals ein reines Entwicklungsland war, haben sich in einigen Bereichen fast schon moderne Strukturen entwickelt.

Die Wasserträger und Gaukler auf der "Djemaa el Fna" erfreuen die Touristen nach wie vor mit ihrem orientalischen Auftritt und auch innerhalb der stickigen Altstadtgassen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein - aber die Infrastruktur im Umfeld hat sich gewandelt und die Hotels verwöhnen die steigende Touristenzahl mit hohem Komfort. So muss auch die Durchführung eines WTCC-Events als Ankurbelung des Tourismus zu werten sein.#w1#

Afrika-Premiere durchaus gelungen

Das WTCC-Fahrerlager wurde mit einer überraschend großen Herzlichkeit von den Einheimischen aufgenommen. Innerhalb kürzester Zeit hat man den Stadtkurs inklusive Boxenanlage und weiteren Gebäuden hergestellt, sodass man sich hinter westlichen Anlagen der Vergangenheit nicht verstecken muss. Auch ein Blumenbeet innerhalb der Boxengasse hatte wohl niemand hier am Fuße des Atlasgebirges erwartet. Der fahrerische Reiz dieser Strecke hält sich in Grenzen, aber die Organisatoren denken bereits über ein verändertes Streckenlayout unter Einbindung des Infields im kommenden Jahr nach.

Dass im ersten Lauf die Überholmanöver nicht so zahlreich vorhanden waren, ist typisch unter der Kategorie Stadtrennen zu verbuchen. Die tolle Stimmung fand nach dem ersten Lauf ihren Höhepunkt als Lokalmatador Medhi Bennani bei seiner WTCC-Premiere die Independents' Trophy für sich entscheiden und dabei die Favoriten hinter sich lassen konnte. Seine Landsleute bejubelten ihn, da sie den sportlichen Erfolg gut einschätzen können, denn die WTCC wird bereits seit einer Zeit im marokkanischen TV live übertragen. Der Erfolg von Bennani dürfte zu einer weiteren Beliebtheitssteigerung der WTCC in Nordafrika führen.

Franz Engstler, Mehdi Bennani

Mehdi Bennani und Franz Engstler begeisterten in der Independents' Trophy Zoom

Die Begeisterung in Marrakesch war sensationell und ich stelle mir vor, dass bei einem Sieg von Jörg Müller oder Franz Engstler bei den Privatiers in Oschersleben der Jubel der Fans "nur" halb so groß sein würde - aber man wird doch noch träumen dürfen. Chevrolet, begünstigt vom neuen Kompensationsgewicht, feierte indes nicht nur die erste Pole mit dem neuen Cruze sondern auch zwei Laufsiege: Damit tritt der Cruze erfolgreich in die Fußstapfen des Vorgängermodells Lacetti.

Chevrolet und Franz Engstler in Topform

Dass Larini in Marrakesch seinen ersten WTCC-Erfolg feierte, während seine Teamkollegen Huff und Menu insgesamt auf 15 Siege kommen, stellt eine weitere Premiere dar. Die schnellen Rundenzeiten werden für Pau mit 40 Kilogramm Zuladung "belohnt". Eric Nève tritt inzwischen in Doppelfunktion auf: Als Sportchef und Glücksbringer in Personalunion der Chevy-Truppe, denn in Marrakesch war er erstmals in der Saison 2009 am Rennplatz und prompt wurden die ersten Erfolge der Saison verbucht.

Erwartungsgemäß kamen die TDI-Piloten von SEAT, trotz des Zusatzgewichts von 40 Kilogramm, gut mit dem Kurs zurecht: Die Aneinanderreihung von Geraden und winkligen Schikanen taugte den drehmomentstarken TDIs und bescherte den Iberern drei Podiumsplätze und Yvan Muller, dank dem Totalausfall von Rickard Rydell, einen komfortablen Vorsprung auf seine Teamkollegen. BMW musste erneut ein zähes Wochenende verbuchen und eine Podiumsplatzierung war maximal für den in dieser Saison schnellsten Werkspiloten Jörg Müller in Reichweite.

Tiago Monteiro, Yvan Muller

Trotz 40 Kilogramm Mehrgewicht waren die SEAT-Fahrzeuge schnell unterwegs Zoom

Typisch für den bisherigen Saisonverlauf: Manchmal hat man kein Glück und dann kommt noch Pech dazu. Dass ausgerechnet mit Franz Engstler ein Privatier bester BMW-Pilot im Qualifying - auch wegen der Verwendung des KW-Fahrwerks - war, dürfte die Mienen bei BMW Motorsport nicht unbedingt aufgehellt haben, spricht aber auch für das gute Material, welches die Kundschaft käuflich erwerben kann. Unabhängig davon aus Kommentatoren-Sicht: "Chapeau Franz, zum fast perfekten Wochenende!"

Verwirrung um Tarquini-Urteil

Ein paar Wehrmutstropfen bleiben aber nach einem fast perfekten Debüt der WTCC in Afrika: Das ist zu einem die Informationspolitik der FIA: Über eine Woche benötigte man, um den Sachstand der Berufungsverhandlung am 21. April 2009 im Falle Gabriele Tarquini zu veröffentlichen oder wollte man das Thema eher nieder schweigen? In Marrakesch wurde das Urteil aus Paris (Punktabzug in Puebla) noch einmal modifiziert kommuniziert: Im Gegensatz zum Originalurteil spricht man inzwischen nur noch von einem Punktverlust für den Fall, dass Tarquini in den nächsten sechs Läufen erneut negativ auffällt.

"Was denn nun?", fragten sich einige im Fahrerlager oder war die Schweinegrippe in Mexiko bereits im März ausgebrochen und hat die Wahrnehmung der Verantwortlichen benebelt? Zum Thema mangelnde Kommunikation und Transparenz passt auch das Rätselraten, welche Fahrzeuge mit wie viel Gewicht unterwegs sind. So gab es im BMW-Lager drei Kategorien: BMW mit sequentiellem Getriebe, Privatiers und Werksfahrer mit H-Schaltung. Die Privatiers mussten zunächst auch 40 Kilogramm verbauen um donnerstags eine 15 Kilogramm Entlastung zu erfahren; Grundlage hierfür die entsprechende Fahrgestell-Nummer.

Jörg Müller

Jörg Müller war schnellster BMW Pilot in Afrika - aber auch einmal mehr glücklos... Zoom

Wenn ein Teambesitzer nicht mehr erklären kann, wie sich das Gewicht seines Fahrzeuges zusammensetzt, dann spricht das schon Bände - Transparenz sieht anders aus. Wir bleiben beim Thema: Bei der Analyse der gefahrenen Zeiten (inklusive der einzelnen Sektoren) drängt sich der Verdacht auf, einige Akteure fahren nach dem Motto "nicht schneller fahren als unbedingt nötig", da ja Konsequenzen beim Kompensationsgewicht drohen. BMW hat dafür bereits die "Belohnung" bekommen, obwohl man bislang von der Performance deutlich hinter SEAT zurück liegt.

SEAT weiterhin schnell - BMW protestiert

Selbst in einer ursprünglichen Breitensportserie wie der VLN hat diese Unart Einzug gehalten. Dort geht es bekanntlich um die Einstufung der Frontrunner für das 24-Stunden-Rennen: Zwischenzeitlich scheint niemand mehr gewinnen zu wollen und es wird munter auf den Geraden gebummelt. Zumindest in der Eifel haben die Fans berechtigte Hoffnung, dass der Spuk Ende Mai vorbei ist. Solange scheint man im Falle der WTCC in München nicht warten zu wollen und legte über das Schnitzer-Team in Marrakesch einen Protest gegen die gewerteten Werks-SEAT nach Lauf 1 ein.

Solch ein technischer Protest gegen einen Mitbewerber stellt nach meinem Erinnerungsvermögen ein Novum in der noch jungen Geschichte der Tourenwagen-WM dar. Hoffen wir einmal, dass dieser Protest kein sportliches Erdbeben der zum Teil sensiblen Beteiligten auslöst. Manch einer erinnert sich noch daran, wie Audi 1992 in der DTM - mitten in der Saison - den Stecker zog, als man ihnen einen "faulen Motor" (illegale Kurbelwelle) im V8 nachgewiesen hatte.

James Thompson

Ab nach Pau: Am Fuße der Pyrenäen wartet ein Stadtrennen auf die WTCC Zoom

In Zeiten, wo sich die Motorsportabteilungen immer häufiger vor ihrem Vorstand für ihre Aktivitäten rechtfertigen müssen, kann eine negative Entscheidung Seitens der FIA zu einem beschleunigten Stimmungswechsel im Konzern führen. Ich kann nur an die FIA appellieren, sich dieses Mal etwas mehr Mühe bei der Auflösung der Thematik zu geben, als zuletzt im "Fall Tarquini".

Bleibt zu hoffen, dass am kommenden Wochenende in Pau wieder der Sport im Vordergrund steht und wir auf dem Traditionskurs wieder tolle Action auf der Piste erleben dürfen. Vielleicht schaffen die Lada-Piloten erstmals den Sprung in die Top 10. Die leichtesten Autos und die kurzen Geraden sollten am Fuße der Pyrenäen dieses Vorhaben begünstigen. So sehr die Zuschauer dies sportlich begrüßen würden, die Seismographen würden vermutlich ein leichtes Beben aus den Räumen der Marketing-Abteilungen der "etablierten" Hersteller verzeichnen...

Mit sportlichen Grüßen

Uwe Winter