Privatteams 2015: Das schwächelnde Rückgrat der WTCC

Die Tourenwagen-WM höhlt ihr Rückgrat aus: Die Kostenexplosion macht den Privatteams das Leben immer schwerer, doch die Zeichen wurden erkannt

(Motorsport-Total.com) - Sei heißen Wiechers, Engstler oder Proteam. Sie waren jahrelang fester Bestandteil der Tourenwagen-Weltmeisterschaft, ermöglichten neuen Fahrern ihre ersten Schritte in der WTCC und durften hin und wieder einen Sieg bejubeln. Und sie haben noch eines gemeinsam: Sie alle sind am Ende der Saison 2015 nicht mehr in der WTCC vertreten. Das Schicksal dieser drei Rennställe steht exemplarisch für die schwierige Situation der Privatteams in der WTCC.

Titel-Bild zur News: Stefano D'Aste

Teams wie Münnich essen in der WTCC hartes Brot Zoom

Seit ihrer Gründung im Jahr 2005 waren unabhängige Teams das Rückgrat der Serie. Doch dieses Rückgrat wurde in den letzten beiden Jahren immer schwächer und droht zu brechen. "Die WM ist immer noch eine schöne Plattform, aber wir müssen aufpassen, dass es nicht einen Bereich reinläuft, der für Privatteams unmöglich ist", mahnt Dominik Greiner im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.

Der Deutsche war jahrelang Teammanager von Wiechers, ist seit 2014 in gleicher Funktion für Münnich tätig und kennt die Situation der Privatteams daher wie kaum ein anderer. "Noch kann man es mit einigem Aufwand mehr oder weniger stemmen, aber es ist absolut keine leichte Nummer mehr", sagt Greiner, der die Interessen (nicht nur) der Privatteams auch als Teamvertreter in der Tourenwagen-Kommission des Automobilweltverbands FIA vertritt.

Privatteams sind nicht mehr siegfähig

Schon beim Blick auf die sportlichen Ergebnisse wird die Problematik deutlich. Selbst in den Jahren der größten Chevrolet-Dominanz 2011 und 2012 gelangen Privatteams drei beziehungsweise vier Gesamtsiege. Auch im Vorjahr stand noch dreimal ein Fahrer in der Gesamtwertung ganz oben auf dem Podium, der für ein Privatteam fuhr. In diesem Jahr gelang dieses Kunststück nur Zengö-Pilot Norbert Michelisz bei seinem Heimspiel in Budapest.

Mehdi Bennani, Norbert Michelisz

Mehdi Bennani und Norbert Michelisz: Privatfahrer mit Werksunterstützung Zoom

Und selbst den Sieg des Ungarn wollen seine Mitbewerber aus der Privatfahrerklasse nicht als Beweis für die Leistungsfähigkeit unabhängiger Teams gelten lassen. "Norbi ist kein Privatfahrer, überhaupt nicht", sagt ROAL-Pilot Tom Coronel im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Das beste Resultat eines Privatfahrers war Platz zwei, und das waren ich in Ungarn und Valente in Japan."

Dem stimmt auch Greiner zu. "Mehdi (Bennani; Anm. d. Red.) und Norbi sind für mich keine Privatfahrer", sagt er über die beiden Fahrer, die in der Privatfahrerwertung der WTCC 2015 die ersten beiden Plätze belegten. "Sie fahren zwar in Privatteams, aber schon sehr werksnah. Wenn man sieht, dass Norbi mehr Testtage als Tiago (Monteiro; Anm. d. Red.) bekommt, dann ist es für mich ein Werksfahrer in einem für die Privatwertung gemeldeten Team."

Kosten haben sich mehr als verdoppelt

Doch warum waren die "echten" Privatfahrer anno 2015 derart chancenlos? Diese Frage führt direkt zum Anfang 2014 eingeführten TC1-Reglement. Dadurch wurden die WTCC-Autos nicht nur schneller und technisch ausgereifter, sondern vor allem auch teurer. "Man braucht eine Million (Euro; Erg. d. Red.) um die Saison zu beginnen. Alleine der Motor kostet 175.000 Euro, nur die Miete für zwölf Rennwochenende", sagt Coronel und bestätigt damit, dass sich die Einsatzkosten im Vergleich zur Ära des S2000-Reglements mehr als verdoppelt haben.

"Die Meisterschaft an sich ist nicht teuerer geworden als vor fünf Jahren, die Reisen, das Personal", erklärt Teammanager Greiner. "Teurer geworden ist nur das TC1-Reglement, das hat alles teurer gemacht. Die Motorkosten, die überentwickelten Karbonteile..."


Fotostrecke: Das Beste zum Schluss: WTCC-Bilder 2015

Auffällig ist beim Blick auf das Feld der Privatfahrer 2015 am Ende der Saison auch, dass die drei eingeschrieben Hersteller Citroen, Honda und Lada nur ganze zwei Autos an - zumindest offizielle - Privatteams abgeben. Der Rest fährt mit den von RML entwickelten Chevrolet Cruze. "Citroen sollte mehr Kundenautos anbieten, was aber auch für Honda gilt", hatte WTCC-Berater Eric Neve vor kurzem im Interview mit 'TouringCarTimes' gefordert. Für Tom Coronel wäre das allerdings keine große Hilfe.

WTCC-Urgesteinen geht das Geld aus

"Sie können sie anbieten, aber wir können sie nicht bezahlen", meint er. "Natürlich würde jeder gerne den Citroen fahren, das ist ein wirklich tolles Auto. Aber es kann sich keiner leisten." Ähnlich ist die Situation auch bei Honda, wo Zengö dank der Unterstützung durch das Werksteam zwar bestehen kann, dem italienischen Proteam und der schwedischen Nika-Mannschaft im Laufe der Saison aber das Geld ausging und ihre Civics aus dem Starterfeld verschwanden.

Dusan Borkovic

Mit dem Proteam verlor die WTCC eines ihrer Gründungsmitglieder Zoom

"Ich glaube alle Seiten haben erkannt, dass man agieren muss - wenn es nicht schon zu spät ist", bringt Dominik Greiner die Situation auf den Punkt. Und auch Francois Ribeiro ist sich der Brisanz dieser Angelegenheit bewusst. "Wir müssen mit den Kosten für die Privatiers aufpassen. Wenn wir sie an Bord halten und das Starterfeld vergrößern wollen, müssen wir gemeinsam mit der FIA beim nächsten Homologations-Zeitraum sehr vorsichtig sein", sagt der Chef des WTCC-Promoters Eurosport Events.

Am teuren TC1-Reglement will der Serienchef zwar nicht rütteln. "Wir müssen aber einige Anpassungen vornehmen, vor allem hinsichtlich der Kosten, ob es nun eine Kostenobergrenze für Ersatzteile oder was auch immer ist." Das betrifft allerdings erst den Zeitraum ab 2017. Die Technikkosten sind für Greiner allerdings nicht die einzige Stellschraube, an der in der WTCC gedreht werden muss.

Privatiers fordern mehr TV-Präsenz

"Der Kalender für das nächste Jahr, wo wir mit Luftfrachten links und rechts durch die Welt reisen, macht es auch nicht einfacher", spricht der Teammanager die Logistikkosten an. "Das sind alles Kostenfaktoren, wo man sich fragen kann, ob das sein muss, oder ob man nicht einen Kalender hinbekommt, wo es nur Seefracht gibt?" Vor diesem Hintergrund wäre zumindest bei den Privatteams keiner traurig, wenn der geplante Saisonauftakt 2016 in Sotschi doch nicht zustande kommt.

Mit Kostensenkungen alleine wird die schwierige Lage der privaten Teams allerdings nicht gelöst. Auch die Einnahmen müssen steigen, und hier erfüllt Ribeiro schon im kommenden Jahr eine Forderung der Privatteams. "Das Preisgeld muss erhöht werden. Das muss wieder auf das alte Niveau kommen, das bei einer halben Million lag, lieber mehr", hatte Greiner am Rande des Saisonfinales gefordert. Und sein Wunsch wurde erhört, mit 500.000 Euro wird 2016 doppelt so viel wie in dieser Saison ausgeschüttet.

Die wichtigere Einnahmequelle für die Privatteams sind jedoch die Sponsoren. Doch wer hat Interesse ein Auto zu finanzieren, das nur unter ferner liefen fährt und in der TV-Übertragung zu kurz kommt? Tom Coronel fordert daher: "Wir müssen öfter im Rampenlicht stehen. Warum stehen wir nicht mit bei der großen Siegerehrung oben, wie es früher einmal war?", fordert der Niederländer eine größere Präsenz.

Balance zwischen Werks- und Privatsport muss stimmen

Einen kleinen Schritt in dieser Richtung geht die WTCC im nächsten Jahr durch die Umstellung des Rennformats, wenn das Rennen mit der umgekehrten Startaufstellung als erstes ausgetragen wird. Das Kalkül der Serienorganisatoren: Weil die Werksfahrer ihr Auto für das zweite Rennen schonen wollen, wo sie in der Startaufstellung vorne stehen, haben die Privatfahrer bessere Chancen. Doch ob diese Rechnung aufgeht muss sich in der Saison 2016 erst zeigen.

"Es muss für die Privatteams bezahlbar bleiben." Münnich-Teammanager Dominik Greiner

"Die Balance zwischen Werkssport und Privatsport muss ganz schnell wieder in die Waage gebracht werden", lautet unter dem Strich die Kernforderung von Teammanager Greiner. Denn die Privatteams seinen trotz ihrer schwierigen Lage immer noch das Rückgrat der Serie. "Citroen kommt und geht. Jetzt kommt Volvo. Wie lange bleibt Honda, wie lange bleibt Lada? Wie lange bleibt Volvo wirklich, und wer kommt sonst?", fragt sich Greiner. "Es muss für die Privatteams bezahlbar bleiben. Da muss der Promoter Eurosport Events die Waage finden, dass wir alle happy sind."