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  • 05.07.2012 17:21

  • von Stefan Ziegler

Kolumne: Und jetzt?

Das Werksteam macht Schluss: Redakteur Stefan Ziegler schreibt über den Rückzug von Chevrolet und erklärt, was all dies für die WTCC bedeutet

Titel-Bild zur News: Yvan Muller, Alain Menu, Robert Huff

Auf dem Höhepunkt abtreten: Nach wohl drei WM-Titeln zieht sich Chevy zurück

Liebe WTCC-Fans,

wie ist es Euch ergangen, als Ihr vom bevorstehenden Rückzug von Chevrolet erfahren habt? Ich muss gestehen: Ich konnte erst gar nicht glauben, was ich als Kurzmeldung bei Twitter gelesen hatte. Denn bei mir und vielen Kollegen war zu diesem Zeitpunkt noch keine Pressemitteilung eingegangen. War es also nur ein Gerücht oder vielleicht ein schlechter Scherz? Ich wollte einfach Klarheit haben.

Deshalb griff ich sofort zum Telefon und wählte die Nummer von Chevrolet-Sportchef Eric Neve, den ich kurz darauf auch am anderen Ende der Leitung antraf. Und er bestätigte mir, dass die besagte Meldung durchaus den Tatsachen entspricht. Chevrolet steigt zum Saisonende 2012 aus der WTCC aus. Wow. Damit hatte ich nicht gerechnet. Damit hatte wahrscheinlich überhaupt niemand gerechnet.

Entsprechend groß war die Überraschung bei Fans und Experten, als sich die Nachricht am Mittwoch verbreitete und damit zur Gewissheit wurde. Die Verwunderung über diesen Schritt, der auf eine neue Ausrichtung der Marketing-Strategie des US-amerikanischen Unternehmens zurückzuführen ist, wich alsbald der Besorgnis: In diversen Foren wurde die WTCC deshalb einmal mehr zu Grabe getragen.

Doch da ist Vorsicht geboten: Todgesagte leben bekanntlich länger. Und die WTCC hat sich in ihrer noch jungen Geschichte bereits mehrfach als echtes Stehaufmännchen erwiesen. Alfa Romeo ging, SEAT ging, BMW ging - und trotzdem erfreut sich die Weltmeisterschaft nach wie vor einer guten Gesundheit. Die Zuschauerzahlen belegen es: Die WTCC ist weiterhin auf einem ordentlichen Weg.

All dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der werksseitige Rückzug von Chevrolet einen sehr herben Rückschlag für die Rennserie darstellt. Chevrolet war in den vergangenen zwei Jahren schließlich das Flaggschiff der Meisterschaft, denn ohne das Engagement dieser Marke hätte es im Fahrerlager vermutlich ziemlich leer ausgesehen. Die WTCC hat Chevrolet wirklich viel zu verdanken.

Was hätte Chevrolet noch erreichen können?

Im Gegenzug hat Chevrolet natürlich auch von der WTCC - und dem Status als einziges Werksteam - profitiert. 2011 dominierte die US-amerikanische Marke wie kein Hersteller zuvor, 2012 setzt sich diese Serie bisher fast noch deutlicher fort. Und am Saisonende wird Chevrolet sehr wahrscheinlich zum dritten Mal in Folge beide WM-Titel eingefahren haben. Das ist der ultimative Markenerfolg.

Bei aller Überraschung über den plötzlichen Rückzug muss man deshalb ehrlicherweise die Frage stellen: Weshalb hätte Chevrolet überhaupt noch weitermachen sollen? Was kann eine Marke in der WTCC noch gewinnen, wenn sie bald dreimal in Folge die absolute Nummer eins war? Es besteht schließlich die Möglichkeit, auf der Strecke gebügelt zu werden. Dann auszusteigen, wäre unklug.

Alain Menu, Robert Huff, Yvan Muller

Erfolgsverwöhnt: Chevrolet dominierte die WTCC zuletzt wie kein Hersteller zuvor Zoom

Die öffentliche Wahrnehmung würde einen Rückzug in diesem Fall kaum gutheißen und Chevrolet womöglich als "schlechte Verlierer" brandmarken. Im Sport bist du eben nur so gut, wie dein jüngstes Ergebnis. Dass Chevrolet davor dreimal in Folge die WM für sich entschieden hat, wäre dann nur noch eine Randnotiz - genau wie die Tatsache, dass die Marke der WTCC einen Dienst getan hat.

Auch 2013 gibt es mindestens ein Werksteam

Denn hätte sich Chevrolet der Ausstiegswelle um SEAT (2009) und BMW (2010) angeschlossen, dann hätte die Meisterschaft wesentlich an Attraktivität eingebüßt. Vielleicht nicht einmal so sehr bei den Fans, aber sicher bei den Partnern und Sponsoren, die im Motorsport ihre eigenen Interessen verfolgen. Und eine Meisterschaft ohne finanzkräftigen Hersteller bietet nun einmal wenige Reize.

So weit ist es aber nicht gekommen und so weit wird es auch nicht kommen: Honda hat ja bereits - übrigens genauso überraschend - noch vor Saisonbeginn 2012 bekanntgegeben, ab 2013 mit einem Werksteam in der WTCC antreten zu wollen. Der japanische Automobil-Gigant steigt sogar schon während der Saison 2012 in den Rennbetrieb ein. Zumindest ein Hersteller ist also definitiv am Start.

Der neue Honda Civic

Honda steigt noch in diesem Jahr mit dem Honda Civic in die WTCC ein Zoom

Weitere könnten sich alsbald ebenfalls zu einem WTCC-Werkseinsatz bekennen. Wie Ihr als treue 'Motorsport-Total.com'-Leser wisst, trägt sich SEAT schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, wieder ein großes Rennprojekt auf die Beine zu stellen. Der neue 1,6-Liter-Turbomotor ist bereit und mittlerweile auch rennerprobt. Was jetzt noch fehlt, ist die Zusage aus Martorell. Die ist noch nicht da.

Ist das Aus von Chevrolet vielleicht eine Chance?

Ich glaube aber: Sie wird kommen - passend zur Markteinführung des neuen SEAT Leons. Es würde schon Sinn ergeben, mit dem überarbeiten Leon-Modell in der WTCC anzutreten. Zumal die Chancen seit Mittwoch größer sind, als man bisher gedacht hatte. Der große Klassenprimus ist 2013 ja nicht mehr dabei. Höchstens die Chevrolet-Autos fahren dann noch, eingesetzt von privaten Rennställen.

Vielleicht reibt man sich bei Honda angesichts dessen ja schon die Hände und vielleicht springt die Ampel bei SEAT nun ebenfalls auf Grün. Auch Ford könnte sich jetzt noch etwas mehr für die WTCC erwärmen. Was ich damit sagen will: Der Abschied von Chevrolet erweist sich möglicherweise als große Chance für die Meisterschaft, die zuletzt auch gern als "Chevrolet-Cup" bezeichnet wurde.

Yvan Muller

Alles ist drin: Welche Marke taucht aus dem Windschatten von Chevrolet auf? Zoom

Und wahrscheinlich gibt es unter Euch den einen oder den anderen, der sich schon einmal gefragt hat, wie die Saison 2012 verlaufen wäre, hätte Chevrolet nicht derart dominiert. Die Positionen hinter den Werksautos waren ja schließlich meist sehr umkämpft. Denkt Euch Chevrolet weg, dann wisst Ihr, was Euch 2013 erwartet. Okay, der Vergleich hinkt ein bisschen, aber Ihr versteht, was ich meine?

Hersteller kommen und gehen ...

Vorhersehen kann das natürlich niemand. Abwarten ist angesagt. Auch das kann sehr spannend sein. Und wer weiß? Vielleicht war das ja noch nicht die letzte Überraschung für die WTCC. Ich plädiere auf jeden Fall dafür, diese Meisterschaft nicht abzuschreiben. Die WTCC wird das Aus von Chevrolet verkraften, Ihr werdet sehen. Natürlich sitzt der "Schock" im Moment aber erst einmal noch sehr tief.

Auch bei mir. Das möchte ich gar nicht verhehlen. Marcello Lotti hat allerdings schon recht damit, wenn er sagt: "Hersteller kommen und gehen." Das ist der natürliche Lauf der Dinge im Motorsport. Und Chevrolet hat uns in der Vergangenheit doch auch schon mächtig begeistert. Denkt nur einmal an das spektekuläre WM-Finale im vergangenen Jahr in Macao oder an einige andere "Magic Moments".

Stefan Ziegler

Das Chevrolet-Aus: Auch ich wurde eiskalt von dieser Pressemitteilung überrascht Zoom

Und so, wie sich Chevrolet nun auf der Rennstrecke neu aufstellen möchte, so ist nun auch die WTCC gefordert, sich neu aufzustellen: Honda steigt ein. Die Markenvielfalt nimmt zu. Der Rennkalender wird internationaler. Die erste Veranstaltung in den USA steht bevor. Was ich damit meine: Die Aussichten sind gut - auch ohne ein Chevrolet-Werksteam. Es muss ja kein Abschied für immer sein ...

Beste Grüße & danke, Chevrolet, für acht tolle Jahre!

Euer


Stefan Ziegler

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