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  • 29.06.2012 17:05

  • von Stefan Ziegler

Was denkt ein Rennfahrer kurz vor dem Start?

Zwischen Anspannung, Nervosität und Vorfreude: Die Rennfahrer der WTCC erklären, welche Gedanken sie kurz vor dem Start beschäftigen

(Motorsport-Total.com) - Der Motor läuft, die Reifen-Heizdecken sind runter, der Blick geht zur Startampel: Wenige Augenblicke vor dem Beginn der Aufwärmrunde sind die Fahrer alleine in ihrem Fahrzeug. Letzte Chance, um die Gurte noch einmal straffzuziehen, den Sitz der Handschuhe zu überprüfen und das Lenkrad fest zu umfassen. Gleich wird es ernst. Doch was geht einem Piloten just in diesem Moment durch den Kopf?

Titel-Bild zur News: Start in Marrakesch 2012

Gleich geht's in die Aufwärmrunde: Was denkt ein Rennfahrer in diesem Moment?

'Motorsport-Total.com' fragte nach. Und erhielt einige sehr interessante Antworten. Denn eines wurde dem Fragesteller rasch klar: Jeder WTCC-Pilot erlebt die Minuten vor dem Start ins Rennen auf seine ganz persönliche Art und Weise. Und das größtenteils unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zwischen Anspannung, Nervosität und Vorfreude: Willkommen in der Gedankenwelt eines Rennfahrers.

Und die beschäftigt sich überraschenderweise nicht immer mit Rennfahren, selbst wenn dies in den Augenblicken vor dem Start das Naheliegende wäre. Nicht so bei Norbert Michelisz (Zengö). Er denkt dann an etwas ganz Anderes: "Ich stelle mir vor, überhaupt nicht an der Rennstrecke zu sein, sondern in einem schönen Urlaub mit meiner Freundin. So etwas in der Art. Das ist aber nicht einfach."

"Man kann nur schwer loslassen, denn um dich herum ist sehr viel los. Wenn es jedoch klappt, umso besser. Dann bist du viel erfrischter", meint der ungarische BMW-Pilot und verrät sein Geheimrezept: "Augen schließen und komplett loslassen. Das funktioniert am besten für mich." Er denke gar nicht über das bevorstehende Rennen nach. "Es passiert eh sehr selten das, was du dir ausgemalt hast."

"Augen schließen und komplett loslassen. Das funktioniert am besten für mich." Norbert Michelisz

"Deshalb lasse ich mich einfach überraschen. Die beste Strategie ist, so ruhig wie möglich zu bleiben", sagt Michelisz. Vor allem jungen Fahrern dürfte dies nicht gerade leicht fallen. Ein "alter Hase" wie Gabriele Tarquini (Lukoil) ist indes die Ruhe selbst. "Ich bin ganz entspannt", sagt der 50-Jährige. "Ich brauche keine besondere Motivation oder dergleichen. Und Druck verspüre ich am Start auch nicht."

Wie viel Nervosität ist gut für einen Rennfahrer?

Dafür sei er schon viel zu lange im Geschäft, meint Tarquini. "Vor zehn oder 20 Jahren war das anders. Außerdem kämpfe ich ja nicht um den Titel." Deshalb gelinge es ihm, vor dem Start einfach abzuschalten. "Ich würde selbst eine Minute vor der Abfahrt noch ein Interview geben. Gar kein Problem", erklärt der Weltmeister von 2009. Tiago Monteiro (Tuenti) ist da schon anders gestrickt.

Der ehemalige Formel-1-Pilot räumt ganz offen ein: Vor dem Rennstart sei er stets "nervös, aber konzentriert" - und das gelte für alle Fahrer im Feld. "Ich denke, jeder von uns ist ein bisschen nervös. Wer das nicht zugibt, der lügt", meint Monteiro und merkt an: "Selbst solche Jungs wie Yvan Muller und Gabriele Tarquini sind nervös, obwohl sie so viel Erfahrung haben. Du brauchst das aber auch."

"Ich denke, jeder von uns ist ein bisschen nervös. Wer das nicht zugibt, der lügt." Tiago Monteiro

"Es ist nämlich eine positive Art von Nervosität", erklärt Monteiro. Ihm helfe sie dabei, sich an sein persönliches Limit heranzuarbeiten. "Es ist keine Nervosität, die dich schütteln würde. Du bist einfach nur angespannt. Das ist in meinen Augen eine zusätzliche Motivation. Manchmal kommt es vor, dass ich im Auto nicht nervös bin. Dann läuft es aber niemals so gut wie sonst", hält der Portugiese fest.

An alles denken, nur nicht an Motorsport

Tom Chilton (Aon) ficht all dies nicht an. "Im Rennwagen bist du in deiner ganz persönlichen Welt", sagt der WTCC-Neueinsteiger. "Du bist einfach in deinem Element und registrierst Dinge wie große Hitze überhaupt nicht. Auch interessant ist: Wenn ich mal krank bin und außerhalb des Autos oft husten muss, verschwindet das, sobald ich im Cockpit sitze. Das ist wirklich seltsam", meint Chilton.

Auch Tom Coronel (ROAL) ist unbeeindruckt von all dem, was um ihn herum vor sich geht. "Vor einem Rennen bin ich sehr ruhig. Ich bin hier, um zu fahren. Und solange es einen Wettbewerb gibt, habe ich meinen Spaß. Ich muss mich nicht extra konzentrieren", sagt der Niederländer. Er sage sich in der Aufwärmrunde stets: "Das ist dein Moment. Genieße es." Und dann habe er seinen Spaß.

"Das ist dein Moment. Genieße es." Tom Coronel

Die Vorstart-Phase ist hingegen, was es James Nash (Aon) besonders angetan hat. "Das Tolle am Motorsport ist, dass du in diesem Augenblick an nichts anderes denkst, als an das, was wenig später passieren wird. Egal, was auch immer dich sonst beschäftigt, es ist dann nicht mehr präsent. Für mich ist das ein Moment, in dem alles andere in den Hintergrund rückt", erläutert der WTCC-Debütant.

Eine Frage der Rennfahrer-Generation?

"Ich denke an nichts Spezielles, sondern nur an die Abläufe. Du hast einfach deine Ruhe. Es ist nicht stressig, sondern all dies ist weg. Ein solches Gefühl verschafft mir nur der Motorsport", sagt Nash. Was laut Rob Huff (Chevrolet) bezeichnend ist für eine neue Generation von Rennfahrern. Der Brite erklärt: "Wir sind es einfach gewohnt, ohne großes Tamtam ins Auto zu steigen und zu fahren."

"Ich glaube, die Generation vor mir ist da viel angespannter. Sie brauchen 20 Minuten, um sich in Ruhe auf das Rennen vorzubereiten, ziehen diesen oder jenen Handschuh zuerst an, schließen die Augen und dergleichen mehr. Das klingt fast wie Aberglaube, aber das ist es nicht", sagt Huff. Er selbst pflege keine Rituale oder dergleichen, sondern stürze sich einfach in sein Rennabenteuer.

"Was mir dabei durch den Kopf geht? 'Lasst es uns angehen!'" Rob Huff

"Für mich ist all dies überhaupt kein Problem", meint er. "Ich kann sehr schnell bereit sein. Das ist uns jüngeren Fahrern wie Chilton, Nash und Oriola gemein. Und wenn ich dann in der Startaufstellung stehe, fühle ich mich einfach nur gut. Was mir dabei durch den Kopf geht? 'Lasst es uns angehen!' Und natürlich hoffe ich auf einen guten Start." Doch das ist schon wieder ein ganz anderes Thema ...