• 12.05.2012 13:57

  • von Stefan Ziegler

Kolumne: Eingesperrt im Pressezentrum

Stefan Ziegler schreibt über seine Erlebnisse am Hungaroring, einen kuriosen Sonntagabend und den herausragenden Heimsieg von Norbert Michelisz

Titel-Bild zur News: Boxengasse am Hungaroring

Ungarn war wieder eine Reise wert - trotz meiner Erlebnisse im Pressezentrum

Liebe WTCC-Fans,

eine Überraschung ist meist immer mit dabei, wenn ich eine Reise an die Rennstrecke unternehme. Im Stadtzentrum von Mailand stand ich 2010 plötzlich ohne das gebuchte Navigationssystem da, in Zolder 2011 machte mein Mietauto schlapp. Dass in Budapest mein Mobiltelefon nicht funktionierte, war da nur eine Randerscheinung, denn bei diesem Ausflug geschah noch etwas ganz Anderes.

Als ich nämlich am Sonntagabend das Pressezentrum am Hungaroring verlassen wollte, stellte ich fest, dass ich eingeschlossen war! Ja, es darf gelacht werden, weil es eine wirklich witzige Situation war. Meine Reporter-Kollegen und meine Facebook-Freunde haben sich natürlich auch köstlich (und völlig zu recht!) darüber amüsiert. Seit einiger Zeit pflege ich schließlich eine Art "Running Gag".

Ich bin nach den Rennen am Sonntag meist der letzte Journalist, der im Pressezentrum an der Strecke noch seiner Arbeit nachgeht. Gelegentlich macht mir Neil Hudson von 'Touring Car Times' diese Position streitig, doch an diesem Abend waren er und alle weiteren Reporter bereits abgereist. Ich konnte also in aller Ruhe per Foto auf Facebook dokumentieren, dass ich wieder mal Letzter war.

Wenig später kam eine Dame der Putzkolonne zu mir ins Pressezentrum herein und informierte mich darüber, dass ihre Mannschaft fertig sei und nun Feierabend mache. Ich sagte: "Gut, dann packe ich auch gleich zusammen und gehe ebenfalls." Sie meinte: "Nein, nein. Das ist nicht nötig. Die Security ist ja noch da und weiß Bescheid." Klar, ich hatte die Jungs ja seit Freitag auf ihren Posten gesehen.


Fotos: WTCC in Budapest


Bis der letzte Journalist gegangen ist ...

Und weil an einem Sonntagabend die Regel gilt, dass das Pressezentrum so lange geöffnet bleibt, bis der letzte Journalist gegangen ist, war für mich also kein Grund zur Eile gegeben. Eine halbe Stunde nach der kleinen Unterhaltung machte ich mich aber trotzdem reisefertig. Es war kurz nach halb zehn Uhr, als ich meinen Rucksack und meine Laptoptasche schnappte und das Media Centre verließ.

Weit kam ich aber nicht, denn am Fuß der Treppe zwischen dem dritten und dem zweiten Stock fand ich die rote Gittertüre, die sonst immer offen war, plötzlich verschlossen vor. Keine Menschenseele in Sicht. Na toll. Einmal kurz an der Türe gerüttelt, aber da war nichts zu machen - ich saß fest! Auf mein "Hello?" bekam ich keine Antwort, die Rezeption oben war verwaist, nirgendwo eine Telefonnummer.

Abgeschlossene Türe im Pressezentrum am Hungaroring

Mein Blick, als ich das Pressezentrum verlassen wollte, doch "rien ne va plus" Zoom

Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Gerade eben hatte ich noch groß gepostet, wieder einmal der Letzte im Pressezentrum zu sein, und jetzt das! Zu meinem Glück war hinter der Rezeption aber ein Fenster zum Fahrerlager nur angelehnt. Ich schob es ganz auf und warf einen Blick hinaus. Tatsächlich! Es waren noch Arbeiter damit zugange, die Hospitality-Einheiten im Paddock abzubauen.

Ein Sprung in den Mülleimer? Ne, lass mal ...

Also rief ich hinaus und machte mich bemerkbar, womit ich erst einmal fragende Blicke auf mich zog. Tja, und darauf folgte dann erst einmal schallendes Gelächter der Umstehenden. Ich kann es ihnen nicht übel nehmen, denn es muss wirklich ziemlich kurios gewirkt haben! Dem Vorschlag, ich solle vom dritten Stock in den Mülleimer ("Da ist nur Papier drin ...") hüpfen, kam ich aber lieber nicht nach.

Während immer mehr "Schaulustige" zusammenkamen, um von meinem Schicksal zu erfahren, trat schließlich auch der Sicherheitsdienst auf den Plan. Der Haken daran: Die beiden Herren hatten keinen Schlüssel, um das offenbar komplett dichtgemachte Gebäude wieder aufzuschließen. Noch besser. Per Motorrad rauschten sie dann davon in die Nacht, kehrten aber kurz darauf wieder zurück.

Stefan Ziegler im Pressezentrum am Hungaroring

Mein "Running Gag" als letzter Journalist im Media Centre: hier das Foto dazu! Zoom

Blöd nur, dass der Schlüssel, den sie inzwischen aufgetrieben hatten, nicht passte. Die Außentreppe, wohl eine Art Fluchtweg oder dergleichen, war also meine letzte Chance. Einer der beiden Security-Männer kam die Treppen empor, um dann - keine zwei Meter von mir und meinem Fenster entfernt - festzustellen, dass er zwar einen Schlüssel hatte, aber auch, dass an der Türe halt kein Schloss war.

Ich werde endlich befreit

Au Backe. Ich schaute mich um, ob sich vielleicht vom Rezeptionsbereich aus ein Weg finden lassen würde. Und tatsächlich: Eine verschlossene Tür schien in die richtige Richtung aufzugehen. Ich lehnte mich daher - buchstäblich - weit aus dem Fenster und bat um den Schlüssel, mein Gegenüber tat desgleichen und streckte mir über die Reling der Treppe hinweg den kleinen Schlüsselbund entgegen.

Und beim dritten Versuch hatte ich dann auch Erfolg! Die Tür ging auf und ich jubilierte nicht nur innerlich. Ich packte Rucksack und Laptoptasche, schloss hinter mir wieder ab und die Tür zur Nottreppe auf. Vor mir stand ein grinsender Ungar, der mich mit "Hello again" begrüßte. Ich dankte ihm und schnaufte erleichtert durch. Mein kleines Intermezzo hatte knapp 20 Minuten gedauert.

Stefan Ziegler

Alles paletti: Mein Erlebnis am H'Ring hat keine bleibenden "Schäden" hinterlassen Zoom

Die Arbeiter im Fahrerlager waren schon wieder vollkommen mit ihren Aufgaben zugange, als ich auch bei ihnen noch vorbeiging und sie über das Ende meiner "Gefangenschaft" informierte. Nach einem weiteren großen Dankeschön für's Hilfe holen und ein paar Schulterklopfern und Lachern (ich lachte mit!) konnte ich dann endlich aufbrechen und das nächtliche Fahrerlager am Ring verlassen.

Norbert Michelisz begeistert mich sehr

Ein sehr interessantes Wochenende hatte noch ein gutes Ende für mich genommen. Und an dieser Stelle darf ich noch erwähnen: Ich habe mich sehr für Norbert Michelisz gefreut! Der sympathische Ungar siegte im zweiten Rennen vor über 50.000 seiner Landsleute, die wieder eine klasse Stimmung hingezaubert hatten. So konnten die Fans einen Sieg von "Norbi" bejubeln. Besser ging's nicht.

Für Norbert war es "der glücklichste Tag" seines Lebens, wie er mir nach der Pressekonferenz noch einmal bestätigte. Der Druck, der auf seinen Schultern gelastet hatte, war enorm gewesen. Doch statt sich sofort nach der Siegerehrung in eine rauschende Partynacht zu stürzen, blieb Norbert erstaunlich "ruhig". Und ich staunte nicht schlecht, als ich ihn drei Stunden nach der Zieldurchfahrt wieder traf.

Norbert Michelisz

Norbert Michelisz bejubelt seinen Sieg: Danach nahm er sich Zeit für seine Fans Zoom

Er saß nämlich in aller Ruhe vor der Hospitality seines Zengö-Rennstalls und schrieb geduldig ein Autogramm nach dem anderen, nahm sich Zeit für Fotos mit den Fans und ließ sich zu seinem Coup gratulieren. Das hat mich sehr beeindruckt. Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass man sein Heimrennen gewinnt. Bei der Zieldurchfahrt hatte selbst ich eine Freudenträne im Auge ...

Beste Grüße & mögen die Überraschungen niemals enden!

Euer


Stefan Ziegler

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