• 08.05.2011 12:20

  • von Stefan Ziegler

Hintergrund: Die Chancen der WTCC in Russland

Im Gespräch mit Hans Geist beleuchtet 'Motorsport-Total.com' die Möglichkeiten des Motorsports in Russland: Kann der WTCC-Event ein Erfolg werden?

(Motorsport-Total.com) - Vor wenigen Wochen überraschte WM-Promoter Marcello Lotti mit der Ankündigung, ab der neuen Saison in Russland an den Start gehen zu wollen. Entsprechende Planungen hatte es bereits vor einigen Jahren gegeben, doch aufgrund der Wirtschaftskrise und des plötzlichen Rückzugs von Lada fiel dieses Vorhaben rasch unter den Tisch. 2012 wagen Lotti und sein Team einen neuen Anlauf.

Titel-Bild zur News: Russland-Fahne

Russland könnte schon bald seine Premiere in der Tourenwagen-WM erleben

Noch ist allerdings nicht bekannt, auf welcher Strecke der Rennevent vonstatten gehen soll. Offen ist zudem, zu welchem Zeitpunkt die Tourenwagen-WM nach Russland reist - wenn überhaupt, denn im kommenden Jahr möchte Lotti auf jeden Fall eine Veranstaltung in den USA etablieren und - neben Russland - vielleicht auch eine weitere WM-Station im asiatischen Raum an den Start bringen.

Wie ist es angesichts dieser Planungen um die Chancen der WTCC in Russland bestellt? Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, sprach 'Motorsport-Total.com' mit Hans Geist, der schon seit geraumer Zeit im flächenmäßig größten Land der Welt tätig ist. Der Österreicher arbeitet für den Moscow Raceway, der 2012 rennbereit sein soll, und kennt die russische Motorsport-Szenerie.

Geist ist fest davon überzeugt: Ein Russland-Event könnte für eine Rennserie nicht nur interessant, sondern überaus lukrativ sein. Es sei vorab allerdings wichtige Grundlagen-Arbeit erforderlich, damit ein solches Unterfangen langfristig Erfolg haben könne. "Der Motorsport steckt in Russland derzeit nämlich noch in den Kinderschuhen, wenn man es mit westlichen Standards vergleicht", sagt Geist.

Ein Russland-Event braucht seine Zeit

"Speziell durch die gute Leistung von Witali Petrow in der Formel 1 stößt das Thema Motorsport in der Öffentlichkeit auf ein immer größeres Interesse." Zudem bestehe die Aussicht auf den ersten Grand Prix in Russland, der 2014 oder 2015 in Sotschi über die Bühne gehen soll. Unabhängig davon habe die Automobil-Industrie vor geraumer Zeit ein Auge auf den (noch) schlafenden Riesen geworfen.

"Aus meiner persönlichen Erfahrung weiß ich, dass großes Interesse daran besteht, internationalen Motorsport in Russland stattfinden zu lassen", meint Geist. Man könne aber nicht erwarten, von Anfang an auf große Gegenliebe bei der Öffentlichkeit zu stoßen. "Ich denke, das ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen abläuft. Das sieht man bei vielen Ländern wie Malaysia oder Bahrain."

"Ich denke, das ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen abläuft." Hans Geist

"Dort kam der Motorsport hin und die Anlagen waren nicht sofort restlos ausverkauft. Ich glaube, es braucht fünf, zehn Jahre, bis es aufgenommen und so leidenschaftlich gelebt wird, wie wir es gewohnt sind", erklärt der Österreicher. "So etwas funktioniert nun einmal nicht von jetzt auf gleich. In Russland könnte es aber etwas einfacher sein. Die prinzipielle Haltung zum Auto ist dort ähnlich wie bei uns."


Fotos: WTCC in Zolder


Das Interesse an westlichen Marken ist groß

"Es geht unterm Strich halt darum, wie es die Beteiligten ausführen", sagt Geist. Man sollte sein Projekt am besten von Anfang an auf solide Beine stellen. "Wenn sich die verantwortlichen Leute an einen Tisch setzen und sich professionell und ordentlich mit allen Konsequenzen dahinter klemmen, dann kann man in den kommenden Jahren eine sehr positive Veranstaltung aufziehen", meint Geist.

"Das Interesse der Importeure ist jedenfalls sehr groß. Die Russen sind regelrecht gierig nach westlichen Marken wie BMW, Chevrolet, Ford oder Mercedes. In Russland sind solche Fahrzeuge weitaus beliebter als russische Marken. Das wissen natürlich auch die dortigen Importeure", gibt Geist zu Protokoll. Dass Lada als Lokalmatador nicht mehr mit dabei sei, könne man also verschmerzen.

"Das Interesse der Importeure ist jedenfalls sehr groß." Hans Geist

Bliebe nur noch die Frage zu klären, auf welcher Strecke die WTCC ihr Russland-Debüt geben soll. Geist: "Wenn wir von einem permanenten Rundkurs reden, kenne ich für 2012 nur einen Rennplatz, der dafür geeignet wäre. Das ist der Moscow Raceway. Ob die Bahn rechtzeitig fertiggestellt wird, weiß ich aber nicht." Sehr viele Alternativen böten sich den Organisatoren derzeit jedenfalls nicht.

Der russische Motorsport nimmt an Fahrt auf

Russland besitze im Hinblick auf den Motorsport noch "keine sehr gute Infrastruktur", stellt der Experte heraus und merkt an: "Es gibt diverse Rundstrecken-Meisterschaften und auch eine Tourenwagen-Serie. Diese Events werden aber hauptsächlich auf alten Flugplätzen oder Stadt- und Straßenkursen ausgetragen - zum Teil auch in Moskau." Dort hatte die Formel 1 schon einige Demos abgehalten.

Zu einem Grand Prix um den Kreml kam es aber nie, auch wenn Bernie Ecclestone noch immer davon träumt. Der Haken daran: "Aus Sicherheitsgründen sind die meisten Strecken so gestaltet, dass keine Zuschauer zugelassen sind", sagt Geist. Für Ecclestone, seine Formel 1 und natürlich auch die WTCC wäre ein solches Szenario zweifelsohne unakzeptabel. Licht am Ende des Tunnels ist aber in Sicht.

"Es gibt viele neue Projekte, die zum Teil im Fertigwerden begriffen sind." Hans Geist

"Es gibt viele neue Projekte, die zum Teil im Fertigwerden begriffen sind", hält Geist abschließend fest. "Dazu zählt zum Beispiel den Moscow Raceway. Manche dieser Projekte gerieten im Zuge der Wirtschaftskrise ins Stocken, werden aber unter Umständen doch fertiggebaut. Diesbezüglich herrscht jetzt eine Aufbruchsstimmung, doch noch ist die Infrastruktur im russischen Motorsport sehr schlecht."