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  • 13.11.2010 14:09

  • von Pit Lane

Wer ist hier der Gewinner?

Ein Weltmeister am Grünen Tisch? Kolumnist Pit Lane wundert sich über das Vorgehen der FIA und über die kuriose WM-Entscheidung in der WTCC...

Titel-Bild zur News: Pit Lane

Ich frage mich: Legt sich die FIA mit dem Okayama-Urteil nicht selbst ein großes Ei?

Liebe Freunde des Grünen Tisches,

der Motorsport ist seit gestern um eine skurrile Situation reicher. Eigentlich wollte ich mich am Freitag ja darauf beschränken, "unseren" Lewis Hamilton beim Freien Training zum Großen Preis von Abu Dhabi zu verfolgen, doch mit einem Auge schielte ich nebenbei immer nach Paris. Dort tagte nämlich das Berufungsgericht der FIA in Sachen Okayama - nur ein Urteil ließ auf sich warten.

Mein britischer Landsmann Rob Huff sorgte schließlich für Aufklärung, als er in den Abendstunden via Facebook den Ausgang der Anhörung verkündete: "Yvan Muller ist jetzt Weltmeister" schrieb "Huffy" auf seine Pinnwand und gratulierte seinem Chevrolet-Teamkollegen umgehend zum Titelgewinn am Grünen Tisch. Wahrscheinlich war ich nicht der Einzige, der bei diesen Zeilen große Augen bekam.

Wer suchet, der findet (vielleicht)

Um diesen Sachverhalt in seinem vollen Umfang zu verstehen, muss man die Story aber von Anfang an kennen. Nur: Wo fängt diese Geschichte eigentlich an? Vielleicht in good old Brands Hatch, wo BMW im Sommer dieses Jahres eine interessante Regelauslegung vertrat und mit älteren 320si-Autos in die Rennen gehen wollte, um vom Gewichtsvorteil dieser Fahrzeugmodelle zu profitieren?

Oder hat etwa alles damit begonnen, dass Engstler-Fahrer Andrei Romanov als Erster in dieser Saison auf einen 320si mit sequenziellem Getriebe gesetzt hat? Der russische Privatier durfte diesen Rennwagen, der in dieser Form ursprünglich für Alessandro Zanardi - Miss you dearly, Alex! - homologiert wurde, über viele Events hinweg einsetzen, ohne dass es Beanstandungen gab.

Möglicherweise nimmt aber auch alles bei den undurchsichtigen Gewichtsregeln der WTCC seinen Anfang. Mal ehrlich: Wer blickt denn da noch durch? Wenn man sich schon in so viele Automodelle verrennt, sollte man als Veranstalter auch darauf gefasst sein, dass die Wettbewerber ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen. Und sorry FIA, aber die Vorstöße von BMW waren durchaus vertretbar.¿pbvin|0|3279|wtcc|0|1pb¿

Engstler und Romanov fallen durch den Rost

Man kann sich freilich darüber streiten, ob ein Herstellerteam freiwillig auf alte Autos zurückrüsten sollte, doch in Okayama hat sich BMW in meinen Augen eine Lücke im Regelwerk ausgesucht, an der es nichts zu rütteln gibt. Die Rennleitung sah das übrigens genauso und überstimmte damit den Technischen Delegierten der WTCC, der das Getriebe als "nicht homologiert" eingestuft hatte.

So traten beim Japan-Event der Tourenwagen-WM insgesamt vier Fahrzeuge mit dem sequenziellen Getriebe an: Neben Romanov gingen auch dessen Teamkollege Franz Engstler sowie die beiden BMW Werkspiloten Augusto Farfus und Andy Priaulx im 320si GBS an den Start. Dadurch profitierte man von der Gewichtseinstufung dieses Autos und war plötzlich 30 Kilogramm leichter unterwegs.

Andy Priaulx, Augusto Farfus

Die Steine des Anstoßes: Die beiden BMW 320si GBS vom BMW Team RBM Zoom

Wie geht denn das? Ganz einfach: Romanov - No offense, Mate! - fuhr dem Feld bei seinen Einsätzen meistens deutlich hinterher, sodass der 320si GBS mit dem minimalen Kompensationsgewicht belegt war. Die "normalen" 320si von Farfus, Priaulx und Engstler waren indes mit maximaler Zuladung gemeldet. Der reine Ballastunterschied beträgt in diesem Fall 60 Kilogramm, doch so viel ist es gar nicht.

Wenn 30 Kilogramm die Hauptrolle spielen

Wer ein sequenzielles Getriebe einsetzt, "bezahlt" dies in der WTCC nämlich mit einem Plus von 30 Kilogramm. Es bleibt eine Differenz von 30 Kilogramm übrig - und das sind meiner Meinung nach 30 gute Gründe, um auf ein anderes Getriebe zu setzen. Und seit wann ist es speziell im Titelkampf verwerflich, sich Vorteile zu verschaffen? Chevrolet war mit dieser neuen Situation - verständlicherweise - nicht einverstanden.

Schon während der Veranstaltung kündigte man an, über einen Protest nachzudenken, den man im Anschluss an das Wochenende auch einlegte - gegen die Zulassung der beiden Autos von Farfus und Priaulx. Engstler und Romanov, die mit Privatierstatus in der WTCC am Start sind, spielten auf einmal keine Rolle mehr. Der Dorn im Chevrolet-Auge beschränkte sich also einzig auf die Werkspiloten.

Randnotiz: BMW hatte in Japan zwar die Qualifikation dominiert, konnte den Gewichtsvorteil aufgrund des Wetterwechsels aber nicht nutzen. Pünktlich zum Start des ersten Rennens schüttete es einmal mehr wie aus Kübeln und die Qualitäten des BMW Pakets versanken in den Fluten. Und weil Priaulx sein Auto in Lauf zwei im Kies versenkte, reiste Muller mit 37 Punkten Vorsprung aus Okayama ab.


Fotos: BMW Team RBM, WTCC in Okayama


Das Urteil steht fest

Damit wären wir also wieder in der Gegenwart gelandet, denn bis Freitagabend freute ich mich auf einen waschechten Macao-Showdown, wie es ihn bislang noch in jeder WTCC-Saison gegeben hatte. Doch wie "Huffy" vorschnell ausplauderte, wird es 2010 nicht soweit kommen. So überraschend mein Kumpel die Meldung gepostet hatte, so plötzlich war sie übrigens auch wieder verschwunden.

Wenig später kannte ich auch den Grund dafür: Ein geschätzter Kollege hatte sich bei Chevrolet-Europa-Sportchef Eric Nève nach dem Wahrheitsgehalt des Postings erkundigt. Kurz darauf war es aus Facebook verschwunden und Huff schrieb stattdessen, dass der Titelkampf wohl doch noch nicht entschieden sei, ehe auch diese Nachricht ins Nirvana geschickt wurde...

Robert Huff, Yvan Muller

Rob Huff gratulierte seinem Teamkollegen Yvan Muller via 'Facebook' zum WM-Titel Zoom

Das Urteil steht aber wohl zweifelsfrei fest. Oder wie Huff es anfangs ausdrückte: "Leider fiel die Entscheidung in einem Gerichtssaal von Paris. BMW hat in Japan betrogen und wurde bei diesem Event disqualifiziert." Das ist nun also die Wahrheit, welche die FIA bei der Vorladung für as soon as possible nach der Anhörung angekündigt hatte. Wie ich höre, soll diese im Wochenendverlauf folgen.

Das Finale, das kein Finale mehr ist

Das ändert aber nichts daran, dass der aufregende Titelkampf 2010 an einem Freitagnachmittag am Place de la Concorde in Paris sein Ende fand statt in den Straßen der Spielerstadt Macao, die seit jeher einen würdigen Saisonabschluss darstellt. Viele Fans werden sich jetzt vielleicht sagen: "Dann kann ich mir das Aufstehen in der kommenden Woche ja sparen." Nun, da ist freilich was dran.

Aber wem kann man dafür schon einen Vorwurf machen? Den Jungs von BMW, weil sie das Titelduell bis zuletzt spannend halten und sich im Rahmen der Regeln einen Vorteil verschaffen wollten? Dem Chevrolet-Rennstall, der vor dem größten Erfolg der Teamgeschichte stand und diesen logischerweise unbedingt einfahren wollte? Oder vielleicht dem Regelwerk, das mehr Fragen stellt als beantwortet?

Eine mögliche Konsequenz aus dem ganzen Schlamassel ist jedenfalls, dass BMW die Faxen nun allmählich dicke hat und am Jahresende den WTCC-Stecker zieht. Man könnte es den Münchenern nach den Ereignissen von Pau 2009 über Brands Hatch und Okayama wohl kaum verdenken. Das Urteil von Paris wäre nicht zuletzt eine ideale Steilvorlage, um das WM-Engagement einzustellen.

Ich schlage vor: Jeder bildet sich nun seine eigene Meinung und schaut sich die beiden Sprintrennen von Macao trotzdem an. Eines ist klar: Die Einzigen, die in dieser Sache wirklich verloren haben, sind die Fans, denen nun ein Showdown erster Güte entgeht. Aber hey, wir reden hier von Macao! Der Guia-Circuit ist bekanntlich das "Casino". Und dieses verlässt man eben nicht immer als Gewinner...

C'est la vie!


Pit Lane