Kolumne zur WRC-Saison 2017: Freut euch!

Redakteur Markus Lüttgens fiebert dem Saisonauftakt der Rallye-Weltmeisterschaft 2017 entgegen und erklärt, warum auch die Fans allen Grund dazu haben

Liebe Freunde des Allradantriebs,

die Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) hat gerade im deutschsprachigen Raum seit Jahren einen schweren Stand. Das Interesse der Fans an dieser Disziplin ist überschaubar, das muss man auch beim Blick auf unsere Zugriffszahlen ganz klar so festhalten. Dafür gibt es natürlich auch Gründe, die aber am allerwenigstens im Rallyesport selbst zu suchen sind.

Denn für mich sind die WRC-Piloten nach wie vor die wahren Helden des Motorsports. Pro Tag sitzen sie gerne mal zwölf Stunden und mehr im Auto, müssen sich auf unterschiedlichste Fahrbahnbedingungen einstellen und nach nur zwei Erkundungsfahrten auf Strecken ans Limit gehen, die nicht von riesigen Auslaufzonen, sondern von Bäumen, Felsen oder Abhängen gesäumt sind. Den meisten Formel-1-Fahrern würde dabei sicherlich Angst und Bange werden.

Kräfteverhältnis wird neu gemischt

Allerdings wurde dieser Sport in den vergangenen Jahren hierzulande, vor allem im TV, viel zu wenig präsentiert. Und ja, so richtig spannend war es lange auch nicht. Erst dominierten Sebastien Loeb und Citroen die WRC fast zu Tode, nach dem Abgang des Rekordchampions machten Volkswagen und Sebastien Ogier nahtlos weiter und fuhren oft scheinbar spielerisch von Sieg zu Sieg.

Es gab also gute Gründe, das Interesse an der Rallye-WM zu verlieren. 2017 gibt es aber genau so gute Gründe, um die WRC wieder neu für sich zu entdecken, denn diese Saison verspricht eine der aufregendsten und spannendsten seit mehr als zehn Jahren zu werden. Das liegt an einem glücklichen Zufall, denn durch die Einführung neuer Autos und den Rückzug der Dominatoren von Volkswagen wird das Kräfteverhältnis in doppelter Hinsicht neu gemischt.

Sebastien Ogier

Sebastien Ogier wechselte nach dem Rückzug von VW zu M-Sport Zoom

Schauen wir uns zunächst einmal die Boliden an. Dort hat die WRC den gleichen Weg wie die Formel 1 eingeschlagen: Schneller und spektakulärer sollten die Autos werden. Während die Formel 1 noch beweisen muss, dass das gelungen ist, kann man bei den WRC-Herstellern festhalten, dass sie abgeliefert haben. Auf Fotos und zahlreichen Videos von Testfahrten kann man die neuen Autos bewundern und sich an ihnen erfreuen.

Schneller, lauter, spektakulärer: Die WRC 2017

Im Vergleich zu den etwas brav wirkenden Fahrzeugen des Jahrgangs 2016 sehen die neuen Autos deutlich brachialer und sehen mit ihren großen Heckflügeln deutlich mehr nach Rennauto aus. Der größere Luftmengenbegrenzer des Motors sorgt nicht nur für einen Leistungssprung auf rund 400 PS, sondern auch für einen hörbar aggressiveren Motorensound.

Ich bin darauf gespannt, wie sich die neuen Auto in der Praxis bewähren. Steigt das Tempo wirklich spürbar an? Halten die aerodynamischen Anbauteile Streifschüssen an Büschen, Felsen oder Mauern stand? Und falls nicht, wie stark wird sich eine verlorene Frontschürze auf das Fahrverhalten auswirken? Erste Antworten darauf dürfte es schon in dieser Woche bei der Rallye Monte Carlo geben.


WRC 2017: Toyota-Test vor der Rallye Monte Carlo

Mit Tests in Südfrankreich bereitet sich Toyota auf die Rallye Monte Carlo, den Saisonstart der Rallye-WM 2017 vor Weitere Rallye-Videos

Die viel spannenderen Fragen aber lautet: Welches der neuen Autos ist das Schnellste? Und welcher Fahrer kommt am besten damit zurecht? Hier fällt der Blick zuerst auf den Dominator der vergangenen vier Jahre, Weltmeister Sebastien Ogier.

Führt Ogier Ford in die Siegerstraße zurück

Für den Franzosen ist die Saison 2017 ein Neustart seiner erfolgreichen Karriere. Nach dem überraschenden Rückzug von Volkswagen musste sich Ogier im November einen neuen Arbeitgeber suchen und entscheid sich nach Tests im Toyota und Ford für M-Sport. Diese Entscheidung mag auf den ersten Blick überraschen, entschied sich Ogier damit doch für das einzige Team, welches kein offizielles Werksteam eines Herstellers ist. Und für einen Rennstall, der zuletzt 2012 in der WRC gewonnen hatte.

Auf den zweiten Blick ist die Überraschung hingegen gar nicht mehr so groß. Natürlich hat M-Sport seit mehr als vier Jahren nicht mehr gewonnen, aber was Malcolm Wilson und seine Truppe ohne Unterstützung von Ford seitdem auf die Beine gestellt haben, ist trotzdem beachtlich. Dass man in Cumbria immer noch weiß, wie man schnelle Rallye-Autos baut, hat in der letzten Saison Ott Tänak bewiesen, als er bei der Rallye Polen im Ford Fiesta RS WRC am Sieg geschnuppert hat.


WRC 2017: Ogier testet vor der Rallye Monte Carlo

Sebastien Ogier im neuen Ford Fiesta WRC: In Südfrankreich bereitet sich der Rallye-Weltmeister auf die Rallye Monte Carlo vor Weitere Rallye-Videos

Und auch das neue Auto wird sicherlich kein Flop sein, sonst hätte sich Ogier nach dem Test wohl kaum dafür entschieden. Außerdem wird auch die zwischenmenschliche Komponente bei seiner Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Ogier und Wilson schätzen einander sehr. Im Rückblick mutet eine Aussage von Ogier bei der Rallye Großbritannien Ende Oktober 2016 fast schon prophetisch an.

Citroen auf dem Papier im Vorteil

Damals, vom Ausstieg von Volkswagen wusste er noch nichts, wurde Ogier gefragt, ob er in seiner Karriere etwas bedauere. Nie für Malcolm Wilson gefahren zu sein, antwortete der Franzose damals. Aber vielleicht klappe das eines Tages noch. Dass er keine zwei Monate später einen Vertrag bei M-Sport unterschreiben würde, hätten sich weder Ogier noch Wilson damals träumen lassen.

Ich bin davon überzeugt, dass Ogier auch im Ford ein ganz heißer WM-Kandidat ist. Mit Ott Tänak hat er dabei einen Teamkollegen der schnell und in den vergangenen Jahren vom Crash-Piloten zum konstanten WRC-Fahrer gereift ist. Und sollte Ogier mit Ford tatsächlich Weltmeister werden, würde er auch die letzten Kritiker verstummen lassen, die immer noch meinen, er habe seine vier Titel nur deshalb gewonnen, weil er bei Volkswagen im besten Auto saß.


Fotos: M-Sport zeigt den Ford Fiesta WRC 2017


Doch einfach werden ihm seine Rivalen das Leben nicht machen. Allen voran nicht Kris Meeke und Citroen. Die Franzosen hatten sich 2016 werksseitig aus der WRC zurückgezogen, um sich voll und ganz auf die Entwicklung des C3 zu konzentrieren. Und Citroen weiß, wie man Siegerautos baut. Das haben sie nicht nur jahrelang in der WRC, sondern zuletzt auch in der Tourenwagen-WM bewiesen.

Hyundai mit ausgeglichenem Fahrertrio

Außerdem hat Citroen das neue Auto länger als alle Rivalen getestet, weshalb auch die Zuverlässigkeit kein großes Problem sein sollte. Von der Papierform her sollten die Franzosen daher die Favoriten sein. Und dass Meeke Ogier schlagen kann, hat er in der Vergangenheit schon bewiesen. Spannend wird zu sehen sein, wie der Nordire mit dem Druck zurecht kommt, um die WM zu fahren. Denn seine Nerven haben ihm im Laufe seiner Karriere immer wieder einen Streich gespielt.

Auch Hyundai wird bei der Vergabe des WM-Titels ein Wörtchen mitreden wollen. Die Koreaner mit Sitz im deutschen Alzenau waren nach dem Rückzug von Volkswagen das einzige Team, welches kein Interesse an Ogier bekundet hatte. Und das aus gutem Grund, denn mit Thierry Neuville, Dani Sordo und Hayden Paddon verfügt Hyundai über das stärkste Fahrertrio aller WRC-Hersteller.

Marc Marti, Hayden Paddon, John Kennard, Thierry Neuville, Nicolas Gilsoul

Hyundai hatte alle drei Autos mit starken Teams besetzt Zoom

Alle drei Fahrer haben schon WM-Rallyes gewonnen und ergänzen sich in ihren Stärken perfekt. Paddon ist vor allem auf Schotter pfeilschnell, Sordo ein Asphaltspezialist. Neuville, der nach schwierigen Jahren in der zweiten Saisonhälfte zu alter Form zurückgefunden hat, ist auf jedem Untergrund ein Kandidat auf eine Top-Platzierung. Vor allem in der Herstellermeisterschaft hat Hyundai mit diesen Fahrern alle Trümpfe in der Hand - sofern das neue i20 Coupé schnell und zuverlässig genug ist.

Lernjahr für Toyota

Die große Unbekannte sind die Neueinsteiger von Toyota, von denen ich im ersten Jahr in der Rallye-WM nicht allzu viel erwarte. Zu schleppend ging dafür der Aufbau des Teams unter der Führung von Tommi Mäkinen und die Entwicklung des Yaris WRC voran. Außerdem bin ich vom Fahrerkader nicht überzeugt.

Markus Lüttgens

Redakteur Markus Lüttgens erwartet eine spannende WRC-Saison Zoom

Jari-Matti Latvala hat zwar eine Menge Erfahrung, aber seine WRC-Saison 2016 war für mich eine große Enttäuschung. Denn von dieser Erfahrung war oft nicht allzu viel zu spüren, vielmehr machte der Finne eine Vielzahl von Fehlern und hielt dem Druck, aus manch guter Startposition ein entsprechendes Ergebnis einzufahren, schlicht nicht stand.

Dass er nun bei Toyota ein Werkscockpit hat, während sein im vergangenen Jahr deutlich besserer Teamkollege Andreas Mikkelsen sich mit WRC2-Starts über Wasser halten muss, ist schwer verständlich und das eigentliche Drama nach dem Volkswagen-Ausstieg. Von Latvalas Teamkollegen bei Toyota darf man keine Wunderdinge erwarten. Juho Hänninen ist allenfalls als solide zu bezeichnen, Esapekka Lappi fehlt Erfahrung im WRC-Auto.

Das ist also die Ausgangsposition vor der WRC-Saison 2017. Ich rechne mit drei Herstellern und mindestens sechs Fahrern, die in diesem Jahr um Siege fahren können. Schon die Rallye Monte Carlo in dieser Woche wird ein erster Indikator dafür sein, ob sich die vielen positiven Vorzeichen im Vorfeld der Saison bewahrheiten. Mir wird es jedenfalls eine Freunde sein, Sie hier bei Motorsport-Total.com zusammen mit meinen Kollegen durch die Saison zu begleiten.

Viel Spaß wünscht

Markus Lüttgens