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Kolumne - LMP1-Angleichung in der WEC: Wie soll das gehen?

Hybrid und Nicht-Hybrid auf dieselbe Performance bringen: Klingt toll? Heiko Stritzke zeigt auf, warum sich der ACO hier eine unlösbare Aufgabe gestellt hat

Titel-Bild zur News: Anthony Davidson, Kazuki Nakajima

Den LMP1-Hybriden den Vorteil zu nehmen, ist alles andere als einfach Zoom

Liebe Freunde der vierstelligen PS-Zahlen,

bereits am 6. Oktober 2017 sollten wir eigentlich wissen, wie der Notfallplan des ACO zur Rettung der LMP1-Klasse genau aussehen sollte. Doch man fand keine Einigung. Was nicht überraschend kommt, denn der ACO hat sich einem Monumentalunterfangen verschrieben, wenn er Hybrid und Nicht-Hybrid performancetechnisch aneinander angleichen will. Und ich glaube nicht, dass das überhaupt gelingen wird.

In der Theorie mag die Sache schön und logisch klingen: Hybrid und Non-Hybrid fahren gleich schnell, gleichzeitig hat der Hybrid-LMP1 aber eine höhere Reichweite. So verkauft man die Vorteile des geringeren Spritverbrauchs eines Hybridautos absolut nachvollziehbar. Nur: Die eine Runde mehr in Le Mans für Hybriden hinzubekommen, dürfte noch die einfachste Aufgabe sein, die sich die Regelmacher gestellt haben.

Kampfjets gegen Kanonenkugeln

Denn für das, was man sich sonst vorgenommen hat, müsste man die Gesetze der Physik außer Kraft setzen. Es müssen zwei dermaßen grundsätzlich verschiedene Fahrzeugkonzepte unter einen Hut gebracht werden, dass die schwierige Angleichung von Daytona Prototypen und LMP2-Fahrzeugen in der IMSA-Serie von 2014 bis 2016 dagegen plötzlich wie ein Klacks anmutet.

So sehen es übrigens auch die LMP1-Privatteams. "Wie soll das gehen?", sagt ein hohes Tier eines künftigen LMP1-Teams meinem Kollegen Roman Wittemeier. "Wir sollen auf dem gleichen Performance-Level fahren? Unmöglich! So schnell können wir doch gar nicht werden."

Mehrfach ist man in der Vergangenheit bereits damit gescheitert, ByKolles (und Rebellion) auf das Niveau von Toyota, Porsche (und Audi) zu bringen. Warum es nicht funktioniert hat? Weil die Hybridgeschosse eine Waffe haben, die man mit konventionellen Mitteln kaum bekämpfen kann: Den Boost am Anfang der Geraden. Einfach nur den Nicht-Hybriden 800 bis 900 PS zu geben, würde dieses Problem nicht lösen.

Plakativ ausgedrückt würden dann Kampfjets gegen Kanonenkugeln Rennen fahren: Die einen schießen am Anfang wie aus der Pistole geschossen davon, die anderen holen sukzessive auf, wenn der Hybridboost erst einmal aufgehört hat. Bislang war der Vorsprung, den sich die Hybriden erarbeiten, allerdings so groß, dass ByKolles und Co. bis zum Bremspunkt nicht einmal in die Nähe kamen.

Konkret bräuchten Nicht-Hybriden einen Geschwindigkeitsüberschuss von 30 bis 40 km/h am Ende einer Le-Mans-Geraden, um die verlorene Zeit vom Beginn wieder zu kompensieren. Dass eine derartige Diskrepanz im Topspeed in derselben Fahrzeugklasse dem Zuschauer nicht zu vermitteln wäre, liegt auf der Hand. Und die Gesichter der Toyota-Marketingabteilung möchte ich sehen, wenn im Topspeed - am Stammtisch noch immer eine der wichtigsten Größen - ein Enso-CLM 40 km/h schneller ist als ein Toyota.

Oliver Webb, Dominik Kraihamer, James Rossiter

ByKolles und Co kamen schon in den vergangenen Jahren nicht heran Zoom

Ganz zu schweigen vom Sicherheitsaspekt. Schon 2017 ist Nicolas Lapierre im Toyota der Fuel Cut in Le Mans zum Verhängnis geworden, als ein LMP2 ihn über den Haufen fuhr, der nicht damit gerechnet hatte. Und das waren weit weniger als 40 km/h Unterschied. Den Verbrennungsmotoren von Non-Hybriden einfach mehr Leistung zuzugestehen, wäre also keine praktikable Lösung.

Jede Alternative hat ihren Haken

Die nächste Stellschraube wäre Leichtbau. Auch diese Möglichkeit wurde bereits ausgelotet: Während der WEC-Saison 2016 sank das Fahrzeuggewicht für Private LMP1 schon bis auf 830 Kilogramm - von ursprünglich einmal 870. Das führte dazu, dass manche Fahrzeuge gar nicht mehr genug ausladen konnten. Und noch immer fuhren sie in einer anderen Galaxie als Porsche und Co.

Und die Hybriden einfach schwerer machen? Das konterkariert den Effizienzgedanken der LMP1 völlig und würde die Grundproblematik - den Boost am Beginn der Geraden - ebenfalls nicht bekämpfen.


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Es gibt nur eine einzige Lösung, die den Vorteil der Hybriden auf einen Schlag minimieren würde: Die Boost-Leistung müsste massiv eingeschränkt werden. Es dürften noch etwa 200 PS abgefeuert werden. Wird die maximal erlaubte Energiemenge gleich gehalten, würde das bedeuten, dass die Hybriden mit weniger Leistung für einen deutlich längeren Zeitraum boosten würden - im Idealfall genau bis zum Ende der Geraden. Die Beschleunigungskurve würde so an die Nicht-Hybriden angeglichen werden.

Hier stellt sich allerdings Toyota - verständlicherweise - quer. Ein Konzern, der sich für seine Hybridtechnologie rühmt, soll diese plötzlich auf Formel-1-Niveau einschränken? (Ja, bei aller Krise: Die Hybridtechnologie der LMP1 ist derjenigen der Formel 1 noch immer deutlich überlegen.) Toyota hat mir unmissverständlich klar gemacht: Die Hybridleistung weiter einzuschränken wäre ein KO-Kriterium. Geld zu investieren, um das Auto langsamer zu machen, gibt es nur in Absurdistan.

Und selbst wenn sich Toyota nicht querstellen würde, gäbe es noch immer ein Haken: Den Allradantrieb der Hybriden, gegen den jeder noch so leichten Non-Hybrid am Kurvenausgang alt aussehen würde. Egal, wie man es dreht und wendet, gelöst werden kann das Grundproblem nicht. Die einzige Maßnahme, die Toyota mit sich machen lassen würde, wäre noch weniger Benzin für den Verbrennungsmotor. Womit allerdings der Boost zu Beginn der Geraden bleibt und der Tank weiter verkleinert werden müsste, um den Reichweitenvorteil bei einer Runde zu halten.

Jose-Maria Lopez, Nicolas Lapierre, Yuji Junimoto

Gegen den gewaltigen Schub zu Beginn der Geraden gibt es kein Rezept Zoom

Die vorschnelle Ankündigung, dass Hybriden und Nicht-Hybriden schon beim ersten Rennen der neuen "Supersaison" auf einem Niveau fahren sollen, zeigt, wie sehr der ACO vom Porsche-Ausstieg überrascht wurde. Das Krisenmanagement haben Pierre Fillon und Gerard Neveu mit ihrem Vorpreschen sicher nicht schlecht gelöst. Doch der Teufel liegt nun im Detail.

Meine Prognose für die WEC-Saison 2018/19: Toyota wird noch immer schneller sein als die Nicht-Hybriden. Es geht schlicht und einfach nicht anders. Der Wettbewerb bei den Nicht-Hybriden wird sicher dafür sorgen, dass sie näher herankommen als es ByKolles und Rebellion in der Vergangenheit waren. Aber ein Ausgleich zwischen den Technologien gibt es nur im Reich der Fantasie.

Gerald Dirnbeck