• 10.05.2017 09:16

  • von Roman Wittemeier

Suche nach Regeln 2020: LMP1-Gefüge so fragil wie nie!

'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über die gefährliche WEC-Situation und den Sparhebel, der an der falschen Stelle angesetzt werden könnte

Titel-Bild zur News: Stephane Sarrazin

Streit um Regeln für 2020: Wie lange bleiben Toyota und Porsche ruhig? Zoom

Liebe Freunde der Langstrecke,

in den kommenden Wochen fallen bei ACO und FIA richtungsweisende Entscheidungen bezüglich der Zukunft der LMP1-Klasse in Le Mans und in der Langstrecken-WM. Das Reglement 2020 wird aufgestellt. In der Le-Mans-Woche sollen die Eckdaten des neuen Regelwerks vorgestellt werden. Man will die Interessen aller unter einen Hut bekommen. Jene von Toyota und Porsche ebenso wie jene des potenziellen Neueinsteigers Peugeot. Aber ist das überhaupt möglich?

Ich denke, dass man hier mit einem klaren Nein antworten kann. Ziel des aktuellen LMP1-Reglements war es, dass die Hersteller vor allem im Bereich Antriebe Kompetenz und neue Technologien darstellen können. Unter diesen Voraussetzungen ist Porsche in die Szene zurückgekehrt und Toyota als weltbekannter Vorreiter beim Thema Hybrid an Bord geblieben. Peugeot will diesbezüglich nicht auf gleichem technologischen Level mitspielen - und das nicht nur wegen der Kosten.

Die Löwen haben sehr wohl begriffen, dass man sportlich bessere Chancen im Wettbewerb gegen Porsche und Toyota hätte, wenn die Veränderungen im Regelwerk möglichst umfassend sind. Das neue Reglement als Resetknopf für das Leistungsgefüge, also somit als perfektes Einstiegsszenario für einen Neuling. Beim ACO nimmt man diese Forderungen von Peugeot nicht nur sehr ernst, sondern man hat sich für 2018 mit Sprithersteller Total verbunden, einem langjährigen Partner der Löwen. Nicht unwichtig.

Je mehr die Franzosen aus Le Mans auf die Wünsche ihrer Landsleute aus Viry-Chatillon (Peugeot Sport) eingehen, desto wahrscheinlicher wird es, dass Porsche und/oder Toyota die Lust verlieren. "Da gibt es unterschiedliche Interessen und Meinungen. Manchmal auch innerhalb eines Lagers", meint WEC-Boss Gerard Neveu. Der Promoter ist sich sicher, dass man in den wöchentlichen Meetings diverser Arbeitsgruppen "gut vorankommt".


Fotos: WEC in Spa-Francorchamps


Hybrid: Wer ein System hat, kann auch ein zweites

Toyota-Technikchef Pascal Vasselon hatte vor einigen Wochen bereits einen deutlichen Warnschuss abgegeben. Sollte man die Technologie nicht mindestens auf dem aktuellen Stand belassen, dann würde die LMP1-Klasse für die Japaner uninteressant. Bei Porsche denkt man kaum anders. "Wir müssen aber einen gesunden Mittelweg finden zwischen extremer Entwicklung mit vielen Freiheiten und einer kostengünstigen Möglichkeit", beschreibt Neveu die aktuelle Gemengelage.

Peugeot möchte die Hybridleistung limitiert wissen, nur ein System einsetzen und argumentiert dabei mit hohen Entwicklungskosten für die entsprechenden Technologien. Darüber können die bisherigen Kontrahenten nur schmunzeln. "Teuer sind in diesem Prozess die Einrichtungen, die ich bauen und ausstatten muss. Wenn ich ein Hybridsystem entwickelt habe, kostet das zweite kaum mehr", heißt es von einem Verantwortlichen aus dem Toyota-Lager. Bei Porsche sieht man dies genauso, auch beim ACO.

Pascal Vasselon

Pascal Vasselon will auch in Zukunft umfassend entwickeln dürfen Zoom

Die Hybridtechnologie wird bleiben, das steht fest - nur das Ausmaß ist nach wie vor unklar. "Man darf zum Jahr 2020 keine Revolution erwarten, sondern es wird eine Evolution mit Augenmaß sein", meint Neveu und versucht damit, die zweifelnden Macher der bisherigen LMP1-Hersteller zu beruhigen. Es sei ohnehin nicht die Frage, wie viele Hybridsysteme es in einem LMP1-Auto gebe. "Sondern es stellt sich vielmehr die Frage, wie viel ich dafür ausgeben muss", sagt ACO-Präsident Pierre Fillon.

Peugeot der einzige Interessent an der LMP1

"Wir müssen ein System finden, das folgendes gewährleistet: Du kannst so viel ausgeben wie du willst, aber ab einer gewissen Grenze wird es dir sportlich keine Vorteile bringen", erklärt Fillon die schwierige Suche nach einem gemeinsamen Nenner für den Wettbewerb der Zukunft, der im besten Falle zwischen drei Herstellern stattfinden wird. Denn - und das ist eine Tatsache: Neben Peugeot ist kein weiterer potenzieller Neueinsteiger in Sichtweite. Das Interesse von anderen Herstellern ist nicht vorhanden.

Klartext: Sollte sich einer der aktuell engagierten Hersteller zu einem Abschied aus der Szene entscheiden - das Beispiel Audi hat gezeigt, wie schnell so etwas gehen kann -, dann ist die LMP1-Klasse tot. Vor diesem Hintergrund sagt Gerard Neveu tatsächlich folgendes: "Natürlich ist alles fragil. Eines steht aber fest: Wir stehen insgesamt gut da. Wenn man es im Verhältnis zu anderen Serien sieht, dann ist das eine Tatsache." Meine persönliche Meinung: Eine solche Äußerung drückt Hilflosigkeit aus.

Gerard Neveu Pierre Fillon

Die großen Macher der Szene: Gerard Neveu und Pierre Fillon Zoom

"Es war der Chef einer anderen Rennserie in Spa zu Gast. Den Namen nenne ich nicht, aber es ist ein definitiv sehr guter und professioneller Mann. Der hat gesagt, dass er von der Atmosphäre bei uns komplett begeistert sei. Alle freundlich, offen und glücklich. Alles so gut", führt Neveu sein Plädoyer für die WEC fort. Wenn solche Schmeicheleien die Grundlage für eine Selbsteinschätzung sind, dann hätte der große Sympathieträger Alex Zanardi jedes seiner Rennen gewinnen müssen.

Sparen am falschen Ende: Weniger Rennen angedacht

Die Macher von ACO, WEC und FIA müssen sich auf den Hosenboden setzen und ihre Arbeit mal selbstkritisch hinterfragen. Auch jetzt, da man plötzlich wilde Ideen für weitere Sparpotenziale in der Szene hat. Wenn Tests kaum weiter begrenzt, Windkanalnutzung nicht mehr weiter eingeschränkt werden kann, dann streicht man eben ein oder zwei Rennen aus dem Kalender. Das ist ein konkreter Ansatz von Neveu und Co. Das mag es tatsächlich billiger machen, aber besser und stabiler ganz sicher nicht. Im Gegenteil.

Die LMP1-Hersteller hinterfragen ihre Engagements im Motorsport permanent. Bei den Analysen ist zuletzt immer deutlicher zutage getreten, dass in der WEC der sogenannte "Return on Investment" im Vergleich zu anderen Serien nicht stimmt. Mit Le Mans kann man punkten, aber das öffentliche Interesse an den weiteren acht Rennen hält sich in Grenzen. Wenn es dann noch weniger Rennen werden, nimmt die öffentliche Wahrnehmung noch weiter ab. Das braucht wirklich niemand.

Wenn die Hersteller nicht noch einmal eigenes Geld in die Hand genommen hätten, wäre die WEC niemals auf Sendern wie 'N-TV' und 'Sport1' zu sehen. Was ist das denn? Ich bespiele eine Bühne mit einem absolut hochklassigen Ensemble und bezahle dann das Publikum, damit es sich die Show anschaut? Absurd eigentlich! Auf etwaige Beteiligungen aus den Vermarktungserlösen der WEC können die Teams lange warten. Bisher steckt sich alles, was von Rolex, Shell, DHL und Co. kommt die LMEM (Le Mans Endurance Management) in die Kassen.


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Die Bereitschaft dieser genannten Partner, auch in Zukunft viel Geld in die Szene zu investieren, hält sich in Grenzen. Kein Wunder, wenn man den Stil teils betrachtet. Das möchte ich an einem Beispiel mal erklären: Shell. Der Mineralölriese war über Jahre enger Partner der WEC und deren Teams. Nachdem Total seine Formel-1-Aktivitäten beendet hatte, war dort das Interesse an Le Mans wieder groß. Man wedelte mit einem Scheck. Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn dem ACO droht nach dem Audi-Ausstieg ein gewaltiges Loch in den Kassen.

ACO braucht nach Audi-Ausstieg dringend neue Einnahmen

Was passierte? Man setzte Shell unter Druck. Konkret nach dem Motto: Ihr zahlt ab 2018 ein Vielfaches im Vergleich zu den Vorjahren, oder wir beenden die Zusammenarbeit. Gleichzeitig setzte man dem Partner eine Frist. Shell sollte mal eben innerhalb kurzer Zeit entscheiden, ob man für fünf Jahre circa 50 Millionen Euro (über 25 Millionen an ACO/LMEM, Rest als Aktivierung für das Marketing) ausgeben mag. So geht man doch mit langjährigen Partnern nicht um! Das Ergebnis kennen wir: Shell hört auf.

Es gibt weitere Beispiele dieser Art, wo man sich nicht wundern muss, dass selbst Neveu mittlerweile nicht mehr umhin kommt, die Szene als "fragil" zu bezeichnen. Aber weitere Beispiele möchte ich an dieser Stelle nicht nennen. "Wir sollten es dringend vermeiden, so zu agieren wie in der Strategiegruppe der Formel 1, wo direkt nach den Sitzungen der eine über die Ideen eines anderen herzieht. Das geht nicht. So etwas kann einfach nicht zielführend sein", sagt Toyota-Technikchef Pascal Vasselon.


Fotostrecke: 1999-2016: Audi bei den 24h Le Mans

Sollten Ideen, die konkret besprochen werden, aber nicht zielführend sein, so muss man dies doch ansprechen, bevor es zu spät ist. Ich bin wirklich ein Freund der Langstrecke, ich liebe Le Mans und bin begeistert von den 1.000-PS-LMP1-Raketen, aber mittlerweile bin ich ziemlich fest davon überzeugt, dass die Szene gegen die Wand fahren wird. Stand jetzt bin ich mir - leider (!) - sicher: Noch bevor wir Peugeot wieder in Le Mans sehen, wird mindestens einer der beiden aktuellen Hersteller aussteigen. So schade!

Viele Grüße

Roman Wittemeier

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