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  • 24.11.2016 16:15

  • von Roman Wittemeier

Stephane Sarrazin: "Das System WEC ist sehr fragil"

Toyota-Werkspilot Stephane Sarrazin über den Titelkampf in der WEC-Saison 2016, seine Erfahrungen mit Herstellerentscheidungen und das Trendthema Formel E

(Motorsport-Total.com) - Nach einer sehr enttäuschenden Saison 2015 hat sich Toyota in diesem Jahr in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) wieder erheblich stärker präsentiert. In Spa schied man auf klarem Siegkurs aus, in Le Mans büßte man den Triumph auf dramatische Weise in den letzten Minuten ein, aber in Fuji gelang endlich der erste Erfolg mit dem neuen TS050. Gemeinsam mit seinen Kollegen Mike Conway und Kamui Kobayashi konnte Stephane Sarrazin bis zum Finale in Bahrain um den Fahrertitel kämpfen. Im Interview zieht der Franzose eine Bilanz und bewertet die Situation in der WEC nach dem Audi-Abschied.

Titel-Bild zur News: Stephane Sarrazin

Stephane Sarrazin hat eine Rechnung offen: In Le Mans fehlt ihm der Sieg Zoom

Frage: "Stephane, ihr habt bis zum letzten Rennen der Saison um den Fahrertitel kämpfen können, steht nun aber mit leeren Händen da. Wie fällt deine Bilanz aus?"
Stephane Sarrazin: "Dass wir überhaupt in Bahrain noch Chancen hatten, war erstaunlich. Das zeigt, dass es eigentlich eine tolle Saison für uns war. Leider hatten dir den Defekt in Spa, der uns wichtige Punkte gekostet hat. Immerhin hätten wir dort gewinnen können. Mit den Punkten wären unsere Chancen viel besser gewesen."

"Insgesamt hat Toyota in dieser Saison eines deutlich gezeigt: Wir sind zurück! In Le Mans hatten wir das schnellste Auto. Unser Schwesterauto hätte dort gewinnen können, oder sogar müssen. Es sollte leider nicht sein. Wir hatten nach dem Saisonauftakt in Silverstone anfangs ein wenig Sorgen, weil wir zurücklagen, aber dann ging es konsequent und deutlich nach vorn."

Frage: "Wo siehst du die Stärken eures TS050, der als komplett neues Auto 2016 in den Wettbewerb ging?"
Sarrazin: "Dass wir nun auch mit einem 8MJ-Hybridsystem fahren konnten, hat uns den größten Sprung ermöglicht. In Kombination mit dem neuen V6-Turbomotor sehe unseren Antriebsstrang klar als die Stärke im Auto an. Toyota hat da richtig gute Arbeit innerhalb sehr kurzer Zeit abgeliefert."

Sarrazin auch 2017 im Toyota? "Wir sehen uns wieder..."

Frage: "Der Toyota TS050 geht 2017 erst in sein zweites Jahr. Wie viel Potenzial für weitere Fortschritte steckt da noch drin?"
Sarrazin: "Eine Menge, würde ich sagen. Die einzelnen Komponenten können verbessert werden, das Zusammenspiel optimiert. Ich denke, dass wir da nochmal erhebliche Schritte machen werden."

Frage: "Wie geht es mit dir persönlich im kommenden Jahr weiter? Es wird viel über Änderungen im Fahrerkader spekuliert, Jose Maria Lopez soll schon einen Vertrag für 2017 in der Tasche haben..."
Sarrazin: "Ich mag diese Geschichten nicht kommentieren, kann auch zu meiner Zukunft im Team wenig sagen. Ich denke, ich habe eine richtig gute Saison abgeliefert. Ich bin mit meinen Leistungen wirklich zufrieden."

"In Mexiko war ich besonders gut drauf. Ich hatte einen Crash im Training und ging ins Rennen mit nur vier Runden auf der Strecke als Erfahrung. Es lief wirklich bestens. Das konnten wohl alle sehen. Aber auch in Le Mans war ich wieder ziemlich schnell. In einem Stint habe ich mir den Porsche geschnappt, habe ihn immer mehr distanziert und war zu jenem Zeitpunkt der schnellste Mann auf der Strecke. Das war super. Ich kann nur sagen, dass ich beim Team bleiben möchte und davon ausgehe, dass es auch passieren wird."


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Frage: "Hast du einen gültigen Vertrag für das kommende Jahr?"
Sarrazin: "(lacht) Wir werden uns nächstes Jahr wiedersehen, und du wirst mich in einem schnellen Auto sehen..."

Wenn der Motorsport nur ein ganz kleiner Teil ist

Frage: "Wie hast du den Abschied von Audi aufgenommen?"
Sarrazin: "Schade und traurig. Das sind die zwei Worte, die mir dazu einfallen. Audi hat das Level auf der Langstrecke erheblich in die Höhe getrieben. Ich habe damals auch schon mit Peugeot fünf Jahre lang gegen sie gekämpft. Die waren immer bärenstark. Jetzt mit Toyota waren sie immer noch solch ein starker Gegner."

"Eines hat mich im Wettbewerb gegen Audi immer begeistert, weil mir so etwas extrem wichtig ist. Der Umgang und der Wettbewerb waren zu jeder Zeit von Respekt geprägt. Aus meiner Sicht wird dort die Handschrift von Wolfgang Ullrich deutlich. Er war bei uns im Langstreckensport immer offen und fair. So gesehen passte er perfekt in diese Szene und ganz besonders nach Le Mans. Schade."

Frage: "Das, was die Audi-LMP1-Fahrer jetzt gerade durchmachen, hast du selbst beim plötzlichen Abschied von Peugeot erlebt. Wie fühlt sich so etwas an?"
Sarrazin: "Diese Engagements von Herstellern sind meistens unberechenbar. Wenn der Vorstand entscheidet, dass Schluss sein muss, dann informiert man die Rennabteilung und das war es dann. Die Motorsportler im Werk haben so etwas nicht selbst in der Hand. Bei Peugeot kam der Zwang zum Sparen auf und damit war das Programm von heute auf morgen beendet. Bei Audi ist das ähnlich."

Stephane Sarrazin, Mike Conway, Kamui Kobayashi

Toyota war mit dem TS050 wieder erheblich besser im Wettbewerb positioniert Zoom

Frage: "Wird allen leidenschaftlichen Racern erst in solchen Momenten wieder klar, wie klein die Rolle des Motorsports in den großen Konzernstrukturen ist?"
Sarrazin: "Ja, ganz genau. Da sind wir Motorsportler ein Nichts, höchstens ein Sandkörnchen am kilometerlangen Strand. Wir denken immer, dass wir mit unserem Sport so wichtig sind, weil wir die Marke in der Öffentlichkeit zeigen und präsentieren. Aber da überschätzen wir uns. Wenn man den Stecker ziehen will, dann tut man dies von jetzt auf gleich."

"Jetzt müssen wir aber nach vorn schauen. Wir können den Audi-Ausstieg nicht ändern, sondern müssen nun darauf hoffen, dass möglichst schnell neue Hersteller einsteigen."

Peugeot-Interesse vorhanden, aber die Kosten zu hoch

Frage: "Du kennst Peugeot sehr gut. Für wie realistisch hältst du ein Comeback deines früheren Arbeitgebers?"
Sarrazin: "Dafür muss alles erheblich kostengünstiger werden. Ich kenne das Budget, das Peugeot bis zum Ausstieg 2011 zur Verfügung hatte. Das war erheblich geringer als das, was jetzt notwendig ist. Die Entwicklung der heutigen Hybridautos ist unwahrscheinlich teuer. Wenn man einsteigt und das Level von Porsche und Toyota erreichen möchte, dann muss man zu Beginn extrem viel investieren."

"Ich bin sicher, dass es bei Peugeot ganz konkretes Interesse an einer Rückkehr gibt. Die Frage ist aber, ob sie es tatsächlich unter den aktuellen Bedingungen realisieren können. Ein weiterer Hersteller wäre sehr wichtig. Ich würde gern gegen ganz viele Marken kämpfen. Der Wettbewerb war gerade in diesem Jahr so unvorstellbar eng und spannend. Überleg mal: In Fuji nach sechs Stunden Rennen nur vier Sekunden zwischen Platz eins und zwei. Das ist doch unfassbar!"

Frage: "Also ist aber aus deiner Sicht der Abschied von Audi nicht das Ende der Welt?"
Sarrazin: "Nein, aber man muss klar sagen, dass die WEC ein fragiles System ist. Auch in der Rallye-WM ist das so. Die Hersteller verschieben ihre Prioritäten und dementsprechend auch ihre Rennaktivitäten. Manche gehen in die Formel 1, andere in die WRC oder in die WEC oder WTCC - wohin auch immer. Da gibt es bezüglich der Marken in den Serien zwangsläufig eine ständige Fluktuation."


Fotostrecke: 1999-2016: Audi bei den 24h Le Mans

"Im Moment gibt es zum Beispiel eine Phase, wo sich fast alle Marken auf den GT-Sport stürzen. Auch das wird sich irgendwann wieder ändern. Alles ist immer im Wandel. Die Taktung verändert sich vielleicht ein wenig. Im Moment ist die LMP1-Klasse halt für die meisten Werke einfach zu teuer."

Private LMP1-Teams: Was wollen die denn erreichen?

Frage: "Braucht die LMP1-Klasse mehr private Teams?"
Sarrazin: "(überlegt lange) Ich denke, sobald in der LMP1-Klasse einige Hersteller mit großem Aufwand dabei sind, dann werden Privatteams niemals eine Chance haben. Die werden dermaßen abgehängt, fahren quasi in einer anderen Kategorie, die aber auch den Namen LMP1 trägt. In der LMP2 werden wir 2017 viele großartige Teams mit neuen, schnellen Autos haben. Von daher meine ich, dass die LMP1 den Werken vorbehalten sein sollte."

"Ich bin selbst mal mit Pescarolo in Le Mans gefahren. Später hat Henri mit seinem Privatteam den Wettbewerb gegen unser Werksteam von Peugeot gesucht. Und was hat es ihm gebracht? Rein gar nichts. Selbst als er 2009 einen Peugeot im Kundeneinsatz hatte, war er im Vergleich zum Werk erheblich langsamer. Es macht überhaupt keinen Sinn, als private Mannschaft gegen solch übermächtigen Werke anzutreten. Da bekommst du nie eine Schnitte."

Stephane Sarrazin, Mike Conway, Kamui Kobayashi

Fuji 2016: Der befreiende Toyota-Sieg ausgerechnet in der Heimat Japan Zoom

"Rebellion war in diesem Jahr immer fünf, sechs oder sieben Sekunden pro Runde langsamer als die Werksautos. Ein Problem ist sicherlich, dass die Privaten keine Hybridsysteme einsetzen dürfen, nicht einmal, wenn es eines von der Stange zu kaufen gäbe. Ich weiß nicht, wie die WEC eine Lösung finden kann. Eines ist aber auch klar: Das gesamte System ist fragil. Wenn nun auch noch Toyota oder Porsche plötzlich aussteigen, dann kann man den Laden dichtmachen."

Frage: "Angesichts dieser Situation müsstest du umso mehr froh sein, dass du einen 'Nebenjob' in der Formel E hast..."
Sarrazin: "Ja, das stimmt. Ich bin unheimlich dankbar, dass ich schon so viele Jahre in diesen großartigen LMP1-Autos fahren durfte und es hoffentlich weiterhin darf. Das ist einfach meine große Leidenschaft. Aber was die Formel E da macht, ist für mich auch großartig. Es ist nämlich total günstig. Da fährst du mit einem Budget von sechs bis zehn Millionen Euro locker mit und kannst für das Geld bei einem der angesagtesten Themen der heutigen Zeit dabei sein - nicht übel, oder? Aber auch das kann irgendwann mal wieder vorbei sein."