• 23.11.2016 06:57

  • von Roman Wittemeier

Michelin: Verausgabte LMP1-Fahrer sind der beste Lohn

Michelin-Motorsportchef Pascal Couasnon im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com': Warum die Franzosen niemals den Pirelli-Formel-1-Weg gehen würden

(Motorsport-Total.com) - "Endlich wieder echte Rennreifen", solche Worte formulierte Mark Webber nach seinen ersten Runden auf den Michelins in der LMP1-Klasse. Aus der Formel 1 gab es andere Erfahrungen. Dort setzt man ganz bewusst auf fragile und schnell abbauende Produkte von Pirelli, um angeblich der Show mehr Würze zu verleihen. Über Pirelli wird viel gesprochen, über Michelin fast nie. Warum man lieber ein "stiller Genießer" bleibt, erklärt Michelin-Motorsportchef Pascal Couasnon im Interview mit 'Motorsport-Total.com'.

Titel-Bild zur News: Pascal Couasnon Michelin

Bleibt lieber stiller Genießer: Michelin-Motorsportchef Pascal Couasnon Zoom

Frage: "Pascal Couasnon, die WEC verliert Audi zur Saison 2017. Was bedeutet dies für Michelin?"
Pascal Couasnon: "Für uns ist es so, als würde man einen richtig guten Freund verlieren. Das geht sicherlich anderen im WEC-Fahrerlager genauso, uns aber ganz besonders. Wir waren vom ersten Tag an deren Partner, die Zusammenarbeit war immer unglaublich gut."

"Man kann im Motorsport tolle Dinge machen. Richtig großen Erfolg feiert man jedoch erst dann, wenn man als Partner hunderprozentiges Vertrauen hat. Genau das hat Audi Sport und uns verbunden, diese Beziehung hat sich schon sehr früh derart entwickelt. Es ist ganz traurig, aber so ist das Leben manchmal. Es ist etwas ganz Besonderes, was nun zu Ende gegangen ist."

Der Audi-Ausstieg und die Kostenfrage

Frage: "Werden Le Mans und die WEC dadurch für Michelin weniger attraktiv?"
Couasnon: "(überlegt lange) Nein, denn das Leben geht weiter. Ich sage das mit allem Respekt gegenüber Audi. Man darf nicht vergessen, was gerade in der GTE-Szene passiert. BMW wird kommen. Es ist Bewegung drin. Es wird anders sein, aber dennoch immer noch sehr attraktiv. Der Grund sind die vorhandenen Möglichkeiten durch die Regeln."

"Michelin macht Motorsport, weil wir unsere Technologie weiterentwickeln möchten. Die Regeln in der WEC lassen es zu, dass wir hier auch mal neue Ideen umsetzen und testen können. Wir können besondere Lösungen entwickeln, ausprobieren und der Öffentlichkeit vorführen. Das ist klasse. Das werden wir auch in Zukunft weitermachen."

Frage: "Der Audi-Ausstieg und das angebliche Interesse von Peugeot am Comeback führen dazu, dass man sich nun noch intensiver über die Kosten Gedanken macht. Gibt es aus ihrer Sicht einen Weg, mit weniger Investment die gleichen Dinge zu erzielen wie bisher?"
Couasnon: "Ja, wenn man es schlauer angeht (lacht)."


Fotos: WEC in Bahrain


"Spaß beiseite: Die Entwicklung dieser Technologien kostet viel Geld. Das steht fest. Auf der anderen Seite kann die Entwicklung über ein Engagement im Motorsport langfristig betrachtet sogar Geld sparen. Ein Beispiel, wie man so etwas gemeinsam umsetzen kann und damit die Last verteilt: Wenn ich das Ziel habe, Sprit zu sparen und Emissionen zu senken, dann kann ich auch über Reifen viel tun. Allein eine Optimierung des Reifens kann vier bis fünf Prozent sparen. Das ist eine ganze Menge."

"Zurück zur Beantwortung der Frage: Auch auf unserer Seite kann man einiges machen, ohne dass wir unsere Entwicklungen komplett bremsen müssten. Es muss definitiv so bleiben, dass man die jeweiligen Spezifikationen der einzelnen LMP1-Hersteller geheim hält. Es wäre aber jederzeit möglich, dass man nur noch ein Update pro Jahr zulässt. Wir bringen nicht zu jedem Rennen veränderte Reifen, aber doch machen wir konstante Entwicklung. Das könnte man ein wenig einschränken."


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"Man könnte es genauso machen wie mit den Aeropaketen für die Autos, die 2017 auch nur noch zwei Varianten zulassen. Für uns wäre das kein Problem. Wir würden erst einmal jede Menge Feedback in der ersten Saisonphase sammeln, dann mit Entwicklungen darauf reagieren. Das funktioniert auch in der Rallye-Weltmeisterschaft ganz prächtig. Man könnte noch entwickeln, aber die Kosten wären definitiv geringer."

Simulationen lassen neue Entwicklungen zu

Frage: "Welche Entwicklungen stellt sich Michelin in Zukunft in Le Mans vor? Mit dem sogenannten 'Regenslick' hat man etwas Tolles hervorgebracht. Was kommt als nächstes?"
Couasnon: "Das darf ich doch noch nicht verraten. Aber der 'Regenslick' war wirklich eine tolle Sache. Diese Entwicklung war sichtbar, sie war greifbar für alle. Es gab darum eine Geschichte zu erzählen, was nicht ganz unwichtig ist."

Frage: "Wenn der Michelin immer perfekt funktioniert, dann spricht niemand darüber..."
Couasnon: "Das ist normal. Das nehmen wir als Kompliment (lacht)."

Frage: "Aber ist es nicht wichtig, dass man über die Pneus spricht?"
Couasnon: "Ja, schon. Die Frage ist aber, was das Thema ist. Okay, jetzt deute ich doch mal etwas an: In Bezug auf die chemische Zusammensetzung der Reifen wird es spannende Neuigkeiten geben. Leider wird man das nicht sehen können. Was für uns beispielsweise extrem wichtig ist, ist die Entwicklung der Simulationen. Das wird unglaubliche Auswirkungen auf die gesamte Industrie haben."


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"Wir sind jetzt so weit, dass wir die Reifenmischungen konkret anhand von Simulationen auswählen können, ohne jemals einen realen Reifen dieser Art gebaut zu haben. Das ist unheimlich wichtig, wenn es auch um die Entwicklung von Reifen für den Motorsport geht. Es geht alles unglaublich viel schneller."

Frage: "Ich bin kein Ingenieur und muss mal da einhaken: Sie fahren quasi einen Reifen ohne ihn zu haben?"
Couasnon: "Ja, ganz genau. Wenn mir in Zukunft ein Reifeningenieur von der Strecke die Meldung macht, dass Spezifikation A besser ist als B, dann lasse ich mal schnell eine Spec C durchrechnen. Das dauert nur ganz wenige Tage. Auf diesem Weg können wir unsere Ziele schneller erreichen. Wir wollen immer mehr Grip, mehr Effizenz und bessere Balance für die Autos, die unsere Reifen fahren."

Pirelli-Formel-1-Weg für Michelin absolut tabu

Frage: "Noch einmal zurück zu dem Thema von eben. Funktioniert der Reifen perfekt, dann spricht niemand darüber. Pirelli macht es in der Formel 1 ganz bewusst anders. Man baut Schwächen ein, um Thema zu sein. Wäre das ein Ansatz für Michelin?"
Couasnon: "Nein, auf gar keinen Fall. Wenn man mir sagen würde, dass man nur aufgrund von Schwächen ins Gespräch kommt, dann würde ich ganz klar sagen, dass es mir lieber wäre, wenn man über die Reifen kein einziges Wort verliert."

"Natürlich ist es auch frustrierend, wenn man richtig gute Arbeit abliefert und das dann in der Öffentlichkeit überhaupt nicht ankommt, weil niemand darüber spricht. So läuft es aber nun einmal, und so sind wir eben eingestellt. Ohne dass es arrogant gemeint ist: Wenn man uns für die Besten hält, dann darf man auch völlig zurecht von uns das Beste erwarten. Wir setzen da lieber einzelne, seltene Glanzlichter, die auch Thema in der Öffentlichkeit sind. Der 'Regenslick' ist da das beste Beispiel."

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"So etwas kann man nicht jedes Wochenende haben. Natürlich hätten auch wir es gern, wenn unsere Arbeit in der Öffentlichkeit manchmal mehr Darstellung finden würde. Wir beziehen unseren Lohn aber auch aus anderen Kanälen. Wenn ein Fahrer völlig verausgabt aus dem Auto steigt, weil er die ganze Zeit kämpfen und pushen konnte, dann ist das schön zu sehen. Das ist eine Art Lohn für unsere gute Arbeit."