• 28.12.2015 08:27

  • von Roman Wittemeier

Timo Bernhard: Der Weltmeister im Interview

WEC-Champion Timo Bernhard im exklusiven Interview: Die goldene Schrift auf seinem Buch, die goldene Mischung im Porsche #17, die goldene Zeit im Rennsport

(Motorsport-Total.com) - Zumeist waren es Jubelbilder von Mark Webber, die den Gewinn der Weltmeisterschaft des Fahrertrios im Porsche #17 in der Langstrecken-WM 2015 darstellten. Die beiden Partner des Australiers, Brendon Hartley und Timo Bernhard, standen oftmals nicht derart im Rampenlicht. Dabei haben der Neuseeländer und der Deutsche einen mindestens ebenso großen Anteil am Erfolg. Vor allem Timo Bernhard gilt als Kernstück des Porsche-Programms. Im Interview blickt der Saarländer auf die erfolgreiche WEC-Saison 2015 zurück.

Titel-Bild zur News: Timo Bernhard

Timo Bernhard hat sich mit Porsche den WM-Titel auf der Langstrecke gesichert Zoom

Frage: "Timo, du bist nach dem Gewinn des WM-Titels pausenlos und europaweit von Ehrung zu Ehrung geeilt, hattest kaum Zeit zwischendurch. Wie hast du eigentlich Weihnachtsgeschenke besorgen können?"
Timo Bernhard: "Das war echt lustig. Bis zum Samstag vor dem vierten Advent ging diesbezüglich gar nichts, aber dann habe ich Power-Shopping gemacht. Ich habe das gemacht, wie es gute Rennfahrer eben machen müssen: mit Strategie, Taktik und Tempo (lacht). Die Läden, in die ich wollte, waren nicht alle an einem Ort. Da habe ich mir eine optimale Reihenfolge zurechtgelegt, die Strategie hat gepasst. Trotz der vollen Läden bin ich gut durch den Besucherverkehr gekommen."

Frage: "Hast du dir selbst auch etwas geschenkt?"
Bernhard: "Nö. Ich habe mir doch vorher schon das beste Geschenk überhaupt gemacht. Nach einem solchen Jahr ist man quasi wunschlos glücklich. Natürlich darf man sportlich nie ganz zufrieden sein. Es muss schließlich immer der Antrieb vorhanden sein, noch mehr zu erreichen. Im Grunde bin ich aber mit dem Jahr 2015 rundherum happy."

Le-Mans-Sieg mit Porsche das große Ziel

Frage: "Du hast 2010 Le Mans gewonnen, bist nun Weltmeister - hinzu kommen viele Gesamtsiege unter anderem in Daytona und auf der Nordschleife. Was willst du denn noch?"
Bernhard: "Ich möchte unbedingt auf einem Porsche den Gesamtsieg bei den 24 Stunden von Le Mans holen. Im GT-Auto habe ich schon für Porsche gesiegt, aber es geht mir um die ganz große Krone. Dort mit Porsche zu siegen, ist etwas ganz Besonderes."

"Das soll meinen Sieg mit Audi 2010 in keinster Weise schmälern. Das war schon etwas Großes. Aber dieses mit Porsche zu schaffen, wäre riesig - eine richtig runde Sache. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Man muss sich nur einmal die Karriere von Bob Wollek anschauen: 30 Starts in Le Mans, viermal Zweiter, zweimal Dritter, aber kein Gesamtsieg. Das zeigt, dass man den Respekt vor diesem Rennen niemals verlieren darf."

Frage: "Du bist Teamkollege von Mark Webber, der als Ex-Formel-1-Star einen riesigen Bekanntheitsgrad hat. Dieser Mark Webber hat mehrfach gesagt, dass du derjenige bist, von dem er am meisten gelernt hat. Empfindest du dich als sein Lehrmeister?"
Bernhard: "Nicht so wirklich, aber es hat sich halt so ergeben. Die Chemie hat zwischen uns sofort gestimmt. Als er ins Sportwagen-Programm kam, war sofort zu spüren, dass er sehr lernwillig und wissbegierig ist. Er hat erkannt, dass es eine ganz andere Disziplin ist und er trotz aller Erfahrung bei einigen Dingen lernen muss: Verkehr, Fahren bei Nacht, Le Mans zum Beispiel. Das ist sehr sympathisch."


Fotos: So feiert Porsche die WM-Titel


"Ich habe gleichzeitig auch viel von ihm gelernt. Er ist absolut top in ultraschnellen Kurven, er gibt sehr detailliertes Feedback bezüglich der Aero. Es hat insgesamt sofort perfekt gepasst, und ich konnte viel mitnehmen. Was ich besonders gut fand: Er ist nicht dahergekommen und wollte als Ex-Formel-1-Fahrer, dass alles nach seiner Pfeife tanzt. Er ist offen und quasi demütig an diese für ihn neue Disziplin herangegangen. Das war sehr gut."

Zusammenarbeit mit "Popstar" und "Formel-1-Held"

Frage: "Und dann ist da auch noch Brendon Hartley. Ihr nennt ihn wegen seiner Frisur den 'Popstar'. Ist er mit seinen ganz anderen Eigenheiten genau der richtige Mann, um euch als Team zu komplettieren?"
Bernhard: "Ja, absolut! Als wir 2014 erfahren haben, dass wir drei zusammen fahren werden, habe ich sofort gedacht: Das ist von außen betrachtet sicherlich eine ungewöhnliche Kombo, aber sie hat viel Potenzial. Dass wir drei in unterschiedlichen Stadien unserer Karrieren sind, ist ein wichtiger Faktor. Das sorgt dafür, dass es keine Eitelkeiten und überhaupt keinen Neid oder Konkurrenz gibt."

"Mark kommt mit dieser riesigen Erfahrung aus der Formel 1, Brendon ist der 'junge Glüher' aus dem Formelsport. Ich bin dazwischen als Langstreckenmann genau das passende Bindeglied. Jeder von uns weiß, was er kann. Jeder bringt sein Paket mit ein. Es gibt diesbezüglich keine Vorbehalte. Es gibt bei uns auch keine Nummer 1, der quasi alles macht. Wir teilen es auf, weil wir es alle auf unsere eigene Art können. Das gefällt mir. Wie wir uns die Arbeit dieses Jahr in den Freien Trainings aufgeteilt haben, ist ein perfektes Beispiel dafür."

Mark Webber, Timo Bernhard, Brendon Hartley

Die Champions: Brendon Hartley, Mark Webber und Timo Bernhard (v.l.n.r.) Zoom

Frage: "Deine Erfahrung ist unfassbar umfangreich, denn bist schon im Alter von 20 Jahren auf die Langstrecke gegangen. Wie viele Rennkilometer hast du eigentlich auf dem Buckel?"
Bernhard: "Puh, keine Ahnung. Aber da wird schon einiges zusammengekommen sein. Man muss allein mal überlegen, wie viele 24-Stunden-Rennen ich schon hinter mir habe. Allzu viele andere Fahrer wird es wohl nicht geben, die so viele Kilometer im Wettbewerb abgespult haben wie ich."

"The Story of a Champion" - Timo Bernhard im Porträt

Frage: "Kurz vor Weihnachten ist das Buch 'Timo Bernhard - The Story of a Champion' herausgekommen - mit gold-glänzenden Lettern auf dem Titel. Das passt gar nicht zu deiner Bescheidenheit..."
Bernhard: "(lacht) Da hast du schon ein bisschen Recht. Eine kleine Anekdote dazu: Am Freitag in Bahrain habe ich getweetet, dass dieses Buch erscheinen wird - und habe auch schon den Titel genannt. Da kam der Audi-Kollege Lucas di Grassi zu mir und meinte, dass es ja schon ziemlich mutig sei, einen Tag vor dem Rennen das Buch mit dem Titel 'Champion' anzukündigen, obwohl ich zu jenem Zeitpunkt noch gar nicht Meister war. Ich habe dann nur gesagt: 'Ich bin halt zuversichtlich'. Jetzt passt es perfekt, weil ich jetzt WEC-Champion 2015 bin. Es war aber eigentlich generell etwas anders gedacht."

"Der Verlag ist schon Ende 2011 an mich herangetreten. Es sollte eigentlich ein Buch über meine bisherige Karriere werden. Dass es nun perfekt passt und ich im Jahr 2015 ein echter Champion geworden bin, ist ein Zufall. Das Buch hätte eigentlich viel früher herauskommen sollen, aber es gab beispielsweise durch meinen Testunfall in Sebring 2012 einige Verzögerung. Dann begann das neue Abenteuer im Porsche-LMP1-Programm und wir haben deswegen gesagt, dass wir noch etwas warten. 2015 wollten wir es unbedingt umsetzen. Dass es ausgerechnet das Jahr des WM-Gewinns ist, passt optimal."

Frage: "Sebring 2012 und der dortige Crash bei 300 km/h war bestimmt ein einschneidendes Erlebnis. Ursache war ein technischer Defekt. Hat dies dein Verhältnis zu Rennfahrzeugen und dein Vertrauen in Autos nachhaltig beschädigt?"
Bernhard: "Nein, auf gar keinen Fall. Für mich war nach dem Unfall sofort klar, dass ich die Saison 2012 abhaken kann. In mir fand sofort ein Umdenken statt, ich habe mich auf ein neues Ziel fokussiert. Ich wollte stärker zurückkehren als zuvor. Es war für mich selbst überraschend, wie schnell ich diesen Switch hinbekommen habe. Mir ging es damals nur um eine intensive Reha, um das Ausheilen der Verletzungen."


FIA-Gala 2015: Die WEC-Weltmeister im Interview

Mark Webber, Brendon Hartley und Timo Bernhard haben in der WEC-Saison 2015 den Fahrertitel geholt und wurden im Rahmen der FIA-Gala in Paris geehrt

"Ich lege aufgrund dieser Erfahrungen jetzt noch mehr Wert auf meine Fitness und eine konsequente Vorbereitung. Ich möchte nie wieder einen solchen Unfall erleben, und ich wünsche auch niemandem eine solche Erfahrung. Sicher ist aber, dass eine gute Fitness einen größeren Puffer schafft, um solche Einschläge ohne bleibende Schäden zu überstehen. Ich gehe seither auch bei Helmen und dem Gewicht des Helms keine Kompromisse mehr ein. Ich bin durch den Unfall und die Abläufe danach noch zielgerichteter geworden - und wahrscheinlich auch ein besserer Rennfahrer. Also: Das Vertrauen in Rennautos habe ich nicht verloren. Es ist aber so, dass ich die Fahrzeuge gründlicher auswähle."

Gefahren: Racer wissen um die Risiken im Auto

Frage: "In deine Familie gibt es nur leidenschaftliche Racer, die dich seit jeher auf deinem Weg unterstützen. War aber der Unfall eine Situation, wo mal jemand aus deinem Umfeld gesagt hat, dass du diese Risiken in Zukunft nicht mehr eingehen solltest?"
Bernhard: "Glaube ich nicht, es war nie ein Thema. Es war wahrscheinlich sowieso allen klar, dass eine solche Entscheidung nur bei mir liegen kann. Es wurde niemals angesprochen, denn Racern ist immer klar, dass Rennfahren kein Bürojob ist. Meine Eltern wissen, dass ich in einem guten Rennauto sicherer unterwegs bin als in einem Straßenfahrzeug auf der Autobahn. Das ist in unserer Familie drin. Es ist eben mein Lebensinhalt - und eigentlich sogar der von uns allen."

Frage: "Wir haben eben schon über deine aktuellen Teamkollegen gesprochen, aber du hast im Verlauf deiner Karriere schon mit sehr vielen anderen Piloten zusammengearbeitet. Ist da jemand dabei, der ein wenig heraussticht?"
Bernhard: "Romain Dumas ist bestimmt der Fahrer, der mich am besten kennt - und mit dem ich auch in Summe die meisten Erfolge hatte. Wir waren über Jahre im Langstreckenbereich in den USA die Benchmark. Wir haben uns unglaublich gut ergänzt, es war nahezu perfekt. Wenn ich also einen herauspicken muss, dann ist es Romain. Wegen der Erfolge, wegen der Zusammenarbeit. Da wurde von außen oft gesagt, dass wir beiden eine Einheit bilden, die unschlagbar ist."

Frage: "Ich kenne Romain auch ein wenig. Bei ihm fällt mir immer diese verschmitzte Humor auf. Ist er einer, mit dem du auch abseits der Rennstrecken am meisten Spaß haben kannst?"
Bernhard: "Über ihn habe ich in meinem Leben sehr, sehr viel und sehr, sehr oft gelacht (lacht). Es gibt da unglaublich viele Geschichten. Was bemerkenswert ist: Er ist eigentlich der typische Südfranzose, ich hingegen der typische Deutsche. Wir haben uns auf unsere Weise angenähert. Wir haben uns in beide Richtungen geöffnet. Am Anfang war es so, dass ihm die Vorbereitung egal war und er nur fahren wollte. Bei mir ging immer strikt alles nach Plan. Wir sind diesbezüglich auf einen Nenner gekommen, sodass es für uns beide von Vorteil war."


Fotostrecke: Porsches Weg zum WM-Titel 2015

"Ein Beispiel, über das wir heute beide lachen müssen: In Le Mans stand das Scrutineering an, wo wir Fahrer auch unsere komplette Ausrüstung vorzeigen müssen. Bei mir war der Helm komplett fertig, beklebt mit allen Schriftzügen von Partnern und Sponsoren. Er hat mich ausgelacht, als er mit seinen zwei komplett blanken Helmen daherkam. Er hat mich gefragt, warum ich das mache, weil es doch eine Woche vor dem Rennen niemanden interessiert. Recht hat er eigentlich, aber es ist halt Teil meiner Vorbereitung. Komischerweise kommt er jetzt immer mit fertig beklebten Helmen...(lacht)"

Der Weltmeister genießt sein Rennfahrer-Leben

Frage: "Du warst in deine Karriere weltweit viel unterwegs. Hast du eine Lieblingsstrecke?"
Bernhard: "Kann ich nicht sagen, weil für mich immer der Anspruch war, überall schnell zu sein. Ich kann dir aber sagen, was definitiv nicht meine Lieblingsstrecke ist: der Norisring. Die Stimmung ist dort immer super, aber mit dem Kurs konnte ich mich nie anfreunden. Ein fünfter Platz im Porsche-Carrera--Cup war dort für mich wie ein Sieg. Es geht dort nur darum, die Linie mit den wenigsten Bodenwellen zu finden und möglichst spät den Anker zu werfen. Fahrtechnisch ist das nicht besonders anspruchsvoll. Ich habe nie einen wirklichen Draht aufbauen können."

"Ich habe mich am Norisring immer durch die Wochenenden gequält. Ansonsten gibt es natürlich Strecken, die von den Kurvenkombinationen zum Fahrstil passen. Mid-Ohio in den USA lag mir immer gut, Salt Lake City auch und Laguna Seca ebenfalls. Wenn man die WEC-Strecken sieht, dann sind es Austin, Spa und der Nürburgring - auch, weil es meine Heimstrecke ist. Und dann ist da Le Mans. Das ist wohl die letzte richtig große Herausforderung im Motorsport. Das ist nicht ohne - allein schon wegen der Porsche-Kurven. Das ist eine echte 'Männnerstrecke'!"

Timo Bernhard, Mark Webber, Brendon Hartley

Der Porsche #17 war in der Saison 2015 am konstantesten unterwegs Zoom

Frage: "Ich habe meinem neunjährigen Sohn dein Buch in die Hand gedrückt. Nach rund 30 Minuten interessiertem Durchblättern und Lesen hat er mir als erstes welche Frage gestellt?"
Bernhard: "Weiß ich nicht, sag mal!"

Frage: "Warum zeigt der Timo auf so vielen Fotos den Daumen nach oben?"
Bernhard: "(lacht) Okay, sehr gut, sehr aufmerksam! Ich glaube, da kommt einfach die Freude am Beruf zum Ausdruck. Ich will damit nicht zeigen, dass ich vielleicht der Beste oder der Coolste bin, sondern es ist einfach ein Zeichen von Spaß. Daumen hoch: Alles super, alles spitze! Man sagt doch 'I have a good time' - und genau das ist es. Ich mache gerade das, was mir am meisten Spaß macht - und ich habe das große Glück, das schon seit vielen Jahren machen zu dürfen. Das drücke ich damit aus wahrscheinlich. War mir vorher nie so aufgefallen...(lacht)."