• 15.10.2015 12:42

  • von Neel Jani

Kolumne von Neel Jani: 30 Minuten verändern meine Welt

Porsche-LMP1-Werkspilot Neel Jani berichtet in seiner neuesten Kolumne von einem "Charakter bildenden" Jahr in der WEC: Wenn das indische Karma gebraucht wird

Titel-Bild zur News: Neel Jani

Ich hoffe sehr, dass uns bald mal wieder mehr Glück zur Seite stehen wird Zoom

Liebe LMP1-und WEC Fans,

seit meiner letzten Kolumne auf 'Motorsport-Total.com' ist unheimlich viel passiert. Porsche hat in Le Mans gewonnen und seitdem auch jedes WEC-Rennen, das freut uns im Team natürlich alle sehr. Seit ich 2013 zum Porsche-Team gestoßen bin, war es das Ziel, in Le Mans zu gewinnen und in der WEC regelmäßig um Siege zu kämpfen. Das haben wir alle als Team geschafft!

Wir Rennfahrer sind aber auch Menschen, die in der "Ich-Form" denken, und leider habe ich mit meinen Teamkollegen Romain und Marc seit Le Mans eine eher Charakter bildende Zeit erlebt. Sportlich hatte ich sicherlich einige Hochs, aber - wie es im Motorsport so gehen kann - auch einige Tiefs. Wir sicherten uns drei Poles in Folge, wobei für mich sicher die Pole und der neue Rundenrekord in Le Mans die Highlights darstellen.

Unsere Meisterschaft ist aber die FIA WEC-Langstrecken-WM. Wie der Name schon so schön sagt, sind das lange Rennen, mindestens sechs Stunden lang. Die Pole ist zwar nie ein Nachteil, da sie auch mit einem WM-Punkt belohnt wird, aber sie ist nicht wirklich Match-entscheidend wie in der Formel 1. Man braucht auch ein bisschen Glück bei solch langen Rennen. Leider vermissen wir seit Le Mans das Rennglück, sodass wir schlussendlich aus dem Kampf um den Fahrertitel geworfen wurden.

Ich bin der festen Überzeugung, dass 30 Minuten den entscheidenden Unterschied im WM-Kampf für Romain, Marc und mich ausgemacht haben. Unser Beinahe-Ausfall in Austin kurz vor Ende des Rennens hat uns quasi das Genick gebrochen. Wären wir dort ohne Probleme durchgekommen, hätten wir den Sieg und so viele Punkte geholt, dass nun Marc, Romain und ich an der Spitze des WM-Klassements liegen könnten. Ein technisches Problem hat dies verhindert, und wie wir alle wissen, gibt es im Sport kein hätte, wäre oder könnte...

WM-Roulette: Ab sofort alles auf die 17

Somit wurden die Karten nun neu gemischt und in Japan unter neuen Regeln gespielt. Aktuell stehe ich natürlich noch unter dem Eindruck der Geschehnisse aus Fuji. Romain, Marc und ich lagen mit unserem Porsche #18 auf Siegkurs. Nachdem wir bei den letzten beiden Rennen um den Sieg gefightet hatten, aber durch technische Defekte gebremst wurden, war hier von Anfang an klar, dass wir im Ernstfall unsere Kollegen Bernhard, Webber und Hartley unterstützen müssen. Da das Schwesterauto noch gute Chancen auf den Gewinn des Fahrertitels hat, muss dieses die maximale Punktezahl mit nach Hause nehmen.

Ich bin stolz und glücklich, dass ich Werksfahrer bei Porsche bin, einem Team, das erst seit zwei Jahren wieder in der WEC mitmischt. Es ist nicht nur ein Job, sondern es steckt sehr viel Leidenschaft darin. Werksfahrer bei einem solch großartigen Hersteller in der Le-Mans-Szene zu sein, bringt auch Verantwortung mit sich. Verantwortung, der man sich als Fahrer stellen muss.

Wir haben und werden diese Verantwortung im Sinne des Teams übernehmen. Wir hoffen, dass am Ende des Jahres Porsche-Piloten die Fahrerkrone 2015 tragen dürfen. Es wäre für alle, die für Porsche gearbeitet haben, ein voller Erfolg: Gewinn der Hersteller- und der Fahrer-WM. Ich bin gespannt, wie der Kampf um die Weltmeisterschaft weitergehen wird, denn Audi und Porsche werden sich sicher nichts schenken.

Abgesehen vom persönlichen Endergebnis fand ich das Rennen in Fuji richtig gut. Wir hatten vor allem in der ersten Halbzeit extrem interessante Fights - genauso muss es sein. In Japan konnte man den Eindruck gewinnen, dass uns Audi in Sachen Performance näher gekommen sei. Ich bin da noch nicht ganz so sicher. Es kann sein, dass der Fortschritt von Audi nur eine Momentaufnahme in Fuji war. Vielleicht sieht die WEC-Welt in Schanghai wieder ganz anders aus.

Indisches Karma: Wer gibt, der bekommt auch

Wie auch immer, ich würde mir wünschen, dass wir bei den nächsten Rennen wieder so enge Fights wie in Silverstone und Fuji mit unseren Kollegen von Audi haben. Da machen gute Resultate noch viel mehr Freude. Ein Sieg zum Abschluss des Jahres ist unser minimales Ziel. Einen Sieg, den wir sicher schon längst verdient hätten. Hoffen wir, dass das Karma ("Karma is the destiny that you earn through your actions and behavior") zum Saisonschluss uns wohlgesinnt ist.

Bevor ich jetzt richtig zu träumen beginne, möchte ich euch kurz noch von ein paar Aktivitäten abseits der Rennstrecken berichten. Nach Le Mans hatten wir eine recht lange Sommerpause, die ich wunderbar in meiner Heimat Schweiz nutzen konnte. Bei herrlichem Wetter sind wir auf ein paar richtig hohe Berge gekraxelt. Das war nicht nur gutes Training für die zweite Saisonhälfte, sondern auch ein tolles privates Vergnügen. Auf einem Gipfel zu stehen, zeigt einem immer wieder auf Wie viel Kraft und Schönheit in der Natur steckt!

Neel Jani Mofa

Im Sommer habe ich unter anderem an einer riesigen Gaudi auf Mofas teilgenommen Zoom

Auch in Sachen Beziehung habe ich zur Mitte des Jahres die Spitze erklommen. Ich habe meine langjährige Partnerin Lauren offiziell geheiratet. Der Heimathafen wurde also ausgebaut. Ich bin mehrfach gefragt worden, ob sich durch die Eheschließung etwas geändert hat. Ich kann nur sagen: Überhaupt nicht! Was vorher gut war, ist jetzt immer noch gut, sonst hätte ich ja eine falsche Entscheidung getroffen.

Eine Party der ganz anderen Art durfte ich nach dem WEC-Rennen von Austin erleben. Ich war bei der Porsche Rennsport Reunion V in Laguna Seca zu Gast. So viel Tradition, Motorsportgeschichte und Rennfahrerlegenden an einem Ort - es war der Hammer. Ich selbst durfte ein paar Runden im Porsche 936 drehen, in dem Derek Bell und Jacky Ickx in Le Mans gewonnen hatten. Das war eine besondere Erfahrung in zweierlei Sinne.

Interessante Eindrücke aus Laguna Seca

Zuerst einmal steht dieses Fahrzeug für puren Rennsport. Der Motor brüllt, was Puristen unter uns Gänsehaut auf die Arme zaubert, die Viergang-H-Schaltung lässt einen aktuellen Fahrer immer nach dem Fünften suchen, das Turboloch ist so extrem wie man es heute gar nicht mehr kennt - aber wenn das Monster dann zupackt wird es richtig schwierig! Die rohe Gewalt des 936 zu spüren ist fantastisch. Man merkt genau, dass man damals fahrerisch und mit Fahrgefühl noch mehr Einfluss auf das Auto nehmen konnte. Von daher gesehen, wäre ich sehr gerne auch zu jener Zeit Autorennen gefahren.

In solchen Autos trennt sich die Spreu vom Weizen eventuell deutlicher als heutzutage in modernen, technisch hoch entwickelten Autos. Viel Talent braucht es auch heute, aber mit der Elektronik und den Datenauswertungen wird uns Fahrern heute schon sehr unter die Arme gegriffen. Es ist, glaube ich, heute einfacher bis auf eine halbe Sekunde an eine Bestzeit heranzufahren.

Anderseits braucht man heutzutage viel technisches Verständnis, gepaart mit dem alten Rennfahrer-Gefühl, um genau diese letzten 0,5 Sekunden schneller zu sein. Da wir heutzutage aber auch jede Runde am Limit fahren, ist auch der Fitnesslevel enorm gestiegen, ansonsten könnte man dieses hohe Renntempo nicht mitgehen! Da mussten die Jungs von früher schon ein bisschen schonender mit dem Material umgehen. Die verschiedenen Ansichten und Vergleiche, Pro und Kontras von reinem Fahrgefühl und heutiger Technik und Datenauswertung zu hören, haben mich fasziniert und gleichzeitig nachdenklich gemacht.


Fotos: Porsche Rennsport Reunion V


Ein groß diskutiertes Thema in Laguna war die Sicherheit früher und heute. Wenn ich fahrerisch gerne das Auto mit früher getauscht hätte, bevorzuge ich natürlich im gleichen Moment das heutige Auto aus sicherheitstechnischer Sicht. Sieht man, dass die Füße der Piloten damals fast ungeschützt auf Höhe der Vorderachse waren, dann ist man sich ganz schnell sicher: Bitte kein Abflug! Ich habe mich mit den zahlreichen Porsche-Legenden wie Hurley Haywood oder Vic Elford unterhalten. Wenn die von den damaligen Unfällen berichten, von verschluckten Zungen und anderen verrückten Zwischenfällen, dann wünscht man sich doch wieder in den hoch modernen 919 Hybrid zurück.

Tests und Rennen: WEC-Saison geht schnell weiter

Die Zeitreise in Laguna Seca war für mich eine ganz klare Horizonterweiterung. Hochachtung vor den Rennlegenden, aber auch große Freude über die Entwicklung im Renngeschehen bis heute. Wir könnten jetzt zwar noch das Thema Auslaufzonen auf modernen Rennstrecken beackern, aber das würde nun definitiv zu weit führen.

Schon bald sitze ich wieder in unserem LMP1-Hybridauto, das sich seit dem Sieg in Le Mans als schnellstes Auto der Szene etabliert hat. Wir werden beim Michelin-Test in Aragon unterwegs sein und weitere Optimierungen unseres Pakets vornehmen. Anschließend geht es ganz schnell weiter zum Rennen in China. In Schanghai könnte es ähnliche Bedingungen wie zuletzt in Fuji geben. Ich erwarte auch dort wieder ein spannendes Wochenende mit feinstem Racing für die Fans.

Neel Jani Berg Schweiz Privat

Blick vom Gipfel: Ich bin ohne die berühmten Flügel von Red Bull dort hinauf gekommen Zoom

Egal wie das Rennen in Schanghai ausgeht: meine indischen Wurzeln helfen mir bei der Verarbeitung. Alles kommt so, wie es kommen muss, denn es ist zu einem Besten, auch wenn man die Bedeutung im ersten Moment nicht versteht.

Drückt uns in den weiteren WEC-Läufen weiterhin die Daumen. Bis bald,

Neel Jani

P.S.: Schaut auch auf meinen Accounts bei Twitter, Facebook und Instagram vorbei, um weitere besondere Einblicke in mein Leben als Porsche-Werksfahrer zu bekommen!

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