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  • 29.06.2015 09:48

  • von Roman Wittemeier

Derek Bell kritisiert WEC: "Totaler Wahnsinn!"

Le-Mans-Legende Derek Bell im Interview: Große Sorgen um Privatteams auf der Langstrecke, Kritik an der überzogenen Technologie im LMP1-Bereich

(Motorsport-Total.com) - Neuer Zuschauerrekord bei den 24 Stunden von Le Mans, großes Interesse der Formel-1-Piloten an den LMP1-Autos, neue Rundenrekorde auf dem Circuit de la Sarthe - ACO, FIA und WEC haben viel Grund zur Freude. Doch ist in der Langstreckenszene tatsächlich alles gut? Geht die Entwicklung in die richtige Richtung? Nein, meint der fünfmalige Le-Mans-Sieger und ehemalige Sportwagen-Weltmeister Derek Bell. Der Brite haut im Interview mit 'Motorsport-Total.com' ordentlich auf die Pauke.

Titel-Bild zur News: Derek Bell

Sportwagen-Legende Derek Bell sieht große Gefahren für Privatteams Zoom

Frage: "Derek, wir haben bei den 24 Stunden von Le Mans extrem schnelle Rundenzeiten der LMP1-Autos gesehen. Aus Sicherheitsgründen will man die Fahrzeuge zum kommenden Jahr etwas einbremsen. Sind diese Autos mittlerweile zu schnell für die Strecke?"
Derek Bell: "Die Autos können nicht zu schnell für Le Mans werden. Die Autos werden höchstens zu schnell für die Fahrer. Aber richtige Sorgen mache ich mir da nicht."

"Was mich viel mehr beschäftigt, ist die Art und Weise, wie mit Privatteams umgegangen wird. Ich schaue auf die Zeitenlisten, sehe oben die Topteams und dann das erste Auto in privater Hand, das unfassbare acht Sekunden Rückstand hat. Wie soll den so ein gutes Rennen entstehen? Wenn der Rückstand zwei Sekunden beträgt, dann kann etwas Schönes entstehen. Aber so? Der Langstreckensport muss die kleinen Teams dringend im Auge behalten. Das habe ich den Herren von ACO, FIA und WEC auch gesagt."

Privatteam haben keine Chance im Wettbewerb

Frage: "Was genau hast du dort vorgebracht?"
Bell: "Die LMP1-Autos sind höllisch schnell, technologisch faszinierend. Aber warum müssen wir diese Technologie im Motorsport zeigen? Das interessiert dort doch gar nicht. Ich will tollen Sound, gute Action. Für ein gutes Langstreckenrennen braucht es starke Privatteams, wie damals von John Wyer, Brun, Joest, Kremer oder Henri Pescarolo. Solche Leute hätten heute nicht den Hauch einer Chance. Pescarolo hat es probiert, in diesem Spiel mitzuhalten - und er ist daran gescheitert."

Frage: "Aber war es nicht immer so, dass auf der Langstrecke einige wenige Werksteams mit ihren schnellen Autos im Fokus standen und dahinter die anderen Klassen ihre eigenen Kämpfe ausgetragen haben?"
Bell: "Auf den ersten Blick mag ein solches Rennen mit acht starken Werksautos spannend und spektakulär erscheinen, aber sonst? Klar, Audi hat ein bärenstarkes Auto, Porsche eine echte Rakete und Toyota sicherlich ein gutes Auto. Aber was kommt dahinter? Nichts! Die Leute kommen doch nicht zu einem Rennen, um sechs oder acht Autos um den Sieg fahren zu sehen. Da muss mehr kommen. Das muss es in Le Mans mit allen 56 Autos richtig krachen!"

Porsche

Porsche konnte mit dem 919 Hybrid in Le Mans 2015 einen Doppelerfolg feiern Zoom

Frage: "Rebellion ist seit Jahren dabei, hat viele Fans und sich in Le Mans gut verkauft. Meinst du nicht, dass wieder mehr Private kommen könnten?"
Bell: "Wie soll das heutzutage denn funktionieren? Wenn ein Henri Pescarolo auf einen reichen, leidenschaftlichen Motorsportfan trifft und dieser Mensch dann sagt, er würde das Team gern unterstützen, dann muss die ehrliche Antwort lauten: 'Kannst du gern machen, aber ich muss dir sagen, dass wir niemals die Chance haben werden, um Siege mitfahren zu können. Wir werden höchstens Fünfter.' Ein Tag nach einem Rennen weiß niemand mehr, wer Zweiter geworden ist - und schon gar niemand, wer auf Platz fünf war. Ich finde, das System ist diesbezüglich außer Kontrolle geraten."

Teure Hybridtechnik: Im Motorsport fehl am Platz?

Frage: "Liegt es auch daran, dass der Wettbewerb der LMP1-Werke so intensiv und teuer geworden ist?"
Bell: "Ganz genau. Wenn ein Hersteller hier 400 Millionen Euro in ein Le-Mans-Projekt steckt, dann ist das doch totaler Wahnsinn. Von dem Geld könnte das gesamte Starterfeld bestens leben."

Frage: "Die Kosten sind allerdings auch durch die neue Hybridtechnologie in die Höhe geschossen. Also quasi ist das Reglement mitverantwortlich..."
Bell: "Aber man muss der Welt aus meiner Sicht doch nicht beweisen, dass man tolle Hybridantriebe oder sonst etwas bauen kann. Die breite Masse schert sich kein bisschen darum. Wenn ich in Deutschland bin, wie viele Hybridautos oder Elektrofahrzeuge sehe ich da denn?"

Hans-Joachim Stuck

Seinen letzten von fünf Le-Mans-Siegen holte Derek Bell 1987 mit Porsche Zoom

"Als ich neulich für zwei Tage in Deutschland war, ist mir ein einziger Tesla begegnet - ein Auto in zwei Tagen! Diese Kisten schaffen vielleicht 200 km/h, aber nach 15 Minuten ist Schluss. Was ist das denn? Lächerlich ist das. Das passt doch nicht zum Alltag der breiten Masse."

Warum versucht es nicht jemand ohne Hybrid?

Frage: "Aber es ist ein Trend, der sich in den vergangenen Jahren stabilisiert hat. Wie soll man diesen Trend im Motorsport ignorieren?"
Bell: "Ich will hier nicht wie ein alter Knacker von über 70 Jahren klingen, der der guten alten Zeit nachtrauert. Nein, die Rennen sind heutzutage oftmals auch gut anzuschauen. Die Topteams liefern fantastische Arbeit. Aber warum muss ich im Motorsport auf diese Technologien setzen, die am Menschen vorbeigehen? Motorsportfans mögen Sound, sie lieben den Geruch. Wen interessiert da die zweifellos fantastische Technologie im Porsche 919? Niemanden! Die Fans wollen unterhalten werden."

Frage: "Die WEC hat aber nicht zuletzt wegen der neuen Technologien und verschiedenen Ansätze tollen Sport geboten. Manche sprechen von der neuen Königsklasse..."
Bell: "Sportwagen sind nicht die Formel 1. Manche meinen, die Szene könnte dorthin kommen. Sehe ich aber überhaupt nicht so - keine Chance. Die Formel 1 ist die Formel 1. Die haben eine unglaubliche Basis, haben unzählige Fans und Zuschauer. Ich schaue mir alle Formel-1-Rennen an, aber keine Sportwagenrennen. Klar, ich schaue natürlich auf die Endergebnisse, aber mehr auch nicht. Ich sitze meistens in den USA und kümmere mich nicht darum."


Fotostrecke: 24 Stunden von Le Mans: Die großen Helden

Frage: "Wie stellst du dir denn modernen Motorsport vor? Was wäre dein Wunsch?"
Bell: "Noch einmal: Vielleicht höre ich mich hier an wie ein verbitterter alter Knacker. Will ich nicht. Es geht mir nur darum, mal zu fragen, ob all diese Entwicklungen wirklich gut sind für den Motorsport. Viele Hersteller sagen heute, dass sie den Trends folgen müssen. Aber könnte nicht einer mal den Mut haben, zu sagen, dass man darauf verzichtet? Könnte man mit einem Auto mit Verbrennungsmotor allein nicht mehr mithalten? Zumindest versuchen könnte es doch jemand mal. Das wäre klasse!"