• 27.06.2014 13:27

  • von Roman Wittermeier

Le-Mans-Szene: Findet die Grauzonen!

'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über die Konsequenzen aus 2014, die Aussichten für das kommende Jahr und Kämpfe hinter den Kulissen

Titel-Bild zur News: Marcel Fässler, Benoit Treluyer

Die 83. Ausgabe der 24 Stunden von Le Mans wirft bereits ihre Schatten voraus Zoom

Liebe WEC-Fans,

die 24 Stunden von Le Mans 2014 waren ein echter Kracher. Schon lange hat der Klassiker an der Sarthe im deutschsprachigen Raum nicht mehr dermaßen großes Interesse geweckt wie in diesem Jahr. Und das lag ganz sicher nicht nur an der Rückkehr von Porsche. Aus meiner Sicht spielt vor allem eines mit hinein: Die Le-Mans-Szene macht derzeit vieles richtig, was die Formel 1 gerade nicht ganz so gut hinbekommt. Die WEC ist laut, spektakulär, sportlich spannend und für die Automobilindustrie ein perfektes Spielfeld.

Porsche stand aber natürlich oftmals im Zentrum des Interesses. Mythos, Legende und hochmodernes Auto gepaart mit einem Star wie Mark Webber - so etwas zieht an. Und die Stuttgarter sind sportlich eingeschlagen wie eine Bombe. Den 919 innerhalb von einem Jahr auf einen solchen Stand zu bringen, sodass man damit sogar am Sonntag noch das Rennen anführen kann, ist eine starke Leistung, die großen Respekt verdient. Es hat nicht zum Sieg gereicht - noch nicht.

Das schnellste Auto für Le Mans hatte eindeutig Toyota. Es war beeindruckend, welche Konstanz Alex Wurz und Stephane Sarrazin an den Tag legen konnten, und es war faszinierend zu sehen, wie schnell der Japaner Kazuki Nakajima in einem solchen LMP1-Prototypen fahren kann. Aber - als würde sich in Le Mans die Geschichte wiederholen - es hat halt wieder einmal trotz des schnellsten Autos nicht zum Toyota-Sieg gereicht. Die Enttäuschung war riesig, aber die Kampfeslust hat keinesfalls gelitten.

Diesel ist nicht mehr erste Wahl

In Le Mans fahren über 50 Fahrzeuge über 24 Stunden am Limit und am Ende gewinnt immer ein Audi. Dieser aus dem Fußball abgewandelte Sprung hat bis heute Gültigkeit. Aber wie lange noch? Die Ingolstädter haben selbst erkannt, dass sie sich konzeptionell so langsam mal Gedanken machen müssen. Der schwere Diesel, der übrigens mit fast handelsüblichem Treibstoff betrieben werden muss, während die Benziner nahezu Raketen-Shell-V-Power fahren dürfen, ist auf Grundlage des aktuellen Reglements nicht mehr erste Wahl.

Umfangreiche Erfahrung, perfektionierte Abläufe im Team (Turbolader-Wechsel in 18 Minuten!) und starke Fahrer haben Audi in diesem Jahr noch einmal den Sieg gebracht. Und vor allem eine Tatsache wurde deutlich: In Le Mans kann ein drittes Auto niemals schaden. Porsche und Toyota haben diesen Fakt vor dem Rennen oftmals heruntergespielt, aber nun denkt man in Kreisen der Nicht-Le-Mans-Gewinner (das Wort Verlierer mag ich hier nicht verwenden) anders darüber.

Anthony Davidson, Sebastien Buemi, Filipe Albuquerque, Marco Bonanomi, Oliver Jarvis

Zu langsam: Audi profitierte 2014 von den Fehlern der Rivalen Zoom

Bei Porsche sind die Pläne für ein drittes Auto in Le Mans 2015 ebenso schon gereift wie bei Toyota. Die Japaner haben die Enttäuschung an der Sarthe vielleicht noch nicht ganz verdaut, aber man wird sich ganz sicher nicht vor Scham am Okinawa-Strand einbuddeln. Im Gegenteil: Toyota wird mit einer "Jetzt erst recht"-Herangehensweise weitermachen. Die schlauen Köpfe bei TMG in Köln werden bestimmt schon wieder interessante Lösungen für das kommende Jahr in der Schublade haben.

Auf höchstem Niveau: Findet die Grauzonen!

Auf welchem Niveau der Wettbewerb in der WEC und in Le Mans mittlerweile angekommen ist, zeigen die Grabenkämpfe hinter den Kulissen. Vor dem Rennstart wurde in Teamkreisen mehr über ein angeblich flexibles Porsche-Heck, einen womöglich biegsamen Toyota-Flügel und ein pfiffiges Bremssystem im TS040 gesprochen als über Rundenzeiten oder Fluel-Flow-Meter, der übrigens immer noch so gar nicht stabil und präzise funktioniert.

Die Diskussionen über die fraglichen Bauteile an den Autos von Porsche und Toyota dauern noch an. Ich frage mich ernsthaft, worüber da eigentlich debattiert wird. ACO und FIA haben alle Autos genauestens untersucht - nicht nur einmal. Auf Druck von außen wurden die Regelhüter nochmals aktiv, als mit vielen Fingern auf Porsche-Heck und Toyota-Flügel gezeigt wurde. Alle Autos wurden zum Rennen zugelassen, die Belastungstests wurden bestanden. Was soll das also?

Roman Wittemeier wettet, dass Alonso spätestens 2016 in Le Mans fahren wird Zoom

Schaden solche Diskussionen der Szene? Vielleicht. Aber insgesamt finde ich die Tatsache gut, dass es solche Szenarien überhaupt gibt. Streit um Regelauslegungen sind aus meiner Sicht immer ein Kompliment für die Serie. Es zeigt sich in solchen Fällen, mit welchem Ehrgeiz, mit welchem Aufwand und mit welchem Engagement auf allerhöchstem Niveau gearbeitet wird. Jede genutzte Grauzone ist eine neue Stufe im hochklassigen Wettbewerb der großen Werke. Weiter so!

Webber an Alonso: Bitte kommen!

Audi, Porsche und Toyota werden nicht nachlassen, sondern in allen Bereichen nachlegen. Und 2015 kommt auch noch Nissan mit ins Spiel. Auch wenn ich von der Ernsthaftigkeit des Nissan-Projekts nicht überzeugt bin, so freue ich mich doch jetzt schon auf den Kampf von jeweils drei Werks-LMP1-Autos der vier Hersteller. 2015 werden zwölf grandiose Prototypen um den Sieg an der Sarthe kämpfen! Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Die Szene wird für Fans also noch viel attraktiver. Und für Fahrer sowieso. Zwölf LMP1-Werksautos wollen professionell bewegt werden. Das bedeutet: 36 Piloten werden im kommenden Jahr in der großen Prototypenklasse richtig gutes Geld verdienen können. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis weitere Formel-1-Stars vom Format eines Mark Webber nach Le Mans kommen. Ich wette: Es wird höchstens bis 2016 dauern, bis Fernando Alonso seinem Kumpel in die Szene folgen wird. Das wird ein Spaß!

Viele Grüße und bis bald,

Roman Wittemeier