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  • 07.05.2014 15:19

  • von Roman Wittemeier

Rettet die LMP2: Was plant der ACO?

Die LMP2-Klasse der Langstrecken-WM ist in größter Gefahr: 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über Ursachen und mögliche Rettungsmaßnahmen

Titel-Bild zur News: Roman Rusinov, Olivier Pla, Julien Canal

Die große Ausnahme: Das G-Drive-Programm in der LMP2 ist gut finanziert Zoom

Liebe Freunde der Le-Mans-Prototypen,

wir alle erfreuen uns derzeit am wunderbaren LMP1-Dreikampf der Werke Audi, Porsche und Toyota. Die neuen Topautos auf der Langstrecke sind erstklassige Maschinen mit faszinierender Technik und hervorragenden Piloten am Steuer. Wir alle blicken schon gespannt auf das bevorstehende 24-Stunden-Rennen in Le Mans. Das wird ein riesiges Spektakel. Zumindest wenn man den Blick nur auf die LMP1 und die GTE-Pro-Klasse lenkt. Wir alle sollten uns allerdings auch mal die Zeit nehmen, die anderen Klassen unter die Lupe zu nehmen.

Abseits jener Kategorien, in denen die Werksteams von Audi, Porsche, Toyota, Ferrari, Corvette und Aston Martin um die großen Ehren an der Sarthe fighten, findet ein Überlebenskampf statt. Vor allem die LMP2-Kategorie ist am Boden. Beim vergangenen Rennen in Spa-Francorchamps, der so wichtigen Generalprobe vor dem Highlight Le Mans, waren in der kleinen Prototypenklasse gerade einmal fünf Autos am Start. Zum Vergleich: 2013 waren an gleicher Stelle elf LMP2-Autos gemeldet, ein Jahr zuvor sogar 17 Fahrzeuge.

Der Teamschwund in der LMP2-Klasse kommt nicht überraschend. Im Rausch der Freude über die Porsche-Rückkehr hat der ACO offenbar viele deutliche Warnsignale ignoriert. Ende 2012 zog sich Enzo Potolicchio als Champion der Kategorie und nach seinem Le-Mans-Klassensieg zurück. Der Grund: die Kosten. Ende 2013 verabschiedete sich Luis Perez Companc aus der LMP2-Klasse. Der Grund: die Kosten. Sogar der leidenschaftliche Le-Mans-Liebhaber und ACO-Intimus Jacques Nicolet bringt keine eigenen Oak-Autos mehr. Der Grund: dreimal dürft ihr raten...

Die kleine Prototypenklasse ist am Tiefpunkt angelangt. Schlimmer geht nimmer. Von den insgesamt sieben für die komplette WEC-Saison genannten Autos haben wir in diesem Jahr erst vier gesehen. Der Dome-Strakka ist angeblich noch nicht rennbereit, die Finanzierung des Millennium-Programms alles andere als stabil. SMP droht wegen der Ukraine-Krise ebenfalls der Geldfluss abzubrechen. Dann wären es nur noch zwei (!) Autos in der Klasse. Noch viel schlimmer: in Le Mans wäre das Starterfeld nicht voll!

Rettungschancen: Über Geld oder Gold?

Angesichts dieses möglichen peinlichen Szenarios will der ACO nun doch einen Rettungsplan für die LMP2-Klasse entwerfen. Man sieht den Schlüssel zum Revival in der Fahrerkategorisierung. Bisher muss mindestens ein Pilot pro Auto ein Amateur sein, also zu den Kategorien Silber oder Bronze gehören. Diese Regelung will man nun offenbar ändern. Entweder werde man zukünftig auch reine Profibesetzungen (Gold/Platin) zulassen, oder es werden nur noch Amateure fahren dürfen.

Beide Möglichkeiten haben einige Vor-, aber auch viele Nachteile. Wenn reine Profiteams ermöglicht werden, erhofft man sich offenbar, dass die Hersteller womöglich einige Nachwuchspiloten in der LMP2-Klasse auf etwaige zukünftige LMP1-Aufgaben vorbereiten könnten. Brendon Hartley und Mike Conway werden als Beispiele genannt. Die beiden Youngster hatten sich über gute Leistungen für Werksverträge bei Porsche und Toyota empfehlen können.

Würden die Werke tatsächlich solche Nachwuchsteams in die LMP2-Klasse schicken? Ich persönlich halte das für Wunschdenken. Audi lässt Filipe Abuquerque derzeit für seine Einsätze im R18 trainieren. Und wo fährt der Ex-DTM-Pilot? In der ELMS - und zwar aus guten Gründen. Die Kosten sind dort geringer, die Trainingszeit am Rennwochenende erheblich länger und die LMP2-Klasse in der europäischen Serie offenbar kerngesund. Dort gibt es den engen Wettbewerb, den man in der WEC vergeblich sucht.


Fotos: WEC in Spa-Francorchamps


Junge Talente, die den Schritt von der GP2 oder Renault-World-Series in Richtung Formel 1 nicht schaffen, sollen in die LMP2-Klasse gelockt werden. Das könnte in manchen Fällen sogar funktionieren - auch finanziell. Statt siebenstellige Beträge für eine weitere Saison in den beiden Formelsport-Kategorien zu überweisen, könnten drei solcher Nachwuchsleute mit jeweils 700.000 Mitgift gemeinsam ein LMP2-Auto finanzieren. Gute Sache, aber mehr als zwei solcher "Young-Gun-Autos" würden es dann wohl doch nicht werden. Und zwei zusätzliche Autos wären niemals die Rettung der Klasse.

Amateure und Profis: Das Maß muss stimmen

Hinzu kommt ein Faktor, den man ebenfalls bedenken sollte. In der LMP1-Szene wechseln die Werksteams ihre Fahrer längst nicht so schnell aus wie in der Formel 1. Bei Toyota hat sich seit dem Einstieg in die WEC rein gar nichts am Einsatzkader verändert - Conway drückt die Ersatzbank, bis mal einer der Stammspieler in Rente geht. Bei Audi kam Lucas di Grassi nur wegen des plötzlichen Rücktritts von Allan McNish ins Auto mit der Startnummer 1. Loic Duval hatte im Jahr zuvor den Platz von Dindo Capello übernommen. Es gibt also ohnehin kaum Fluktuation, somit auch kaum Chancen für weitere Aufstiege aus der LMP2.

Und der andere Weg, den sich der ACO vorstellen kann? Sollten in der LMP2-Klasse plötzlich nur noch Amateure agieren, dann würde der Weg für junge Talente aus dem Formelsport generell verbaut. Die Hartleys und Conways dieser Welt müssten sich somit andere Wege in Richtung LMP1 suchen - und das dürfte äußerst schwierig werden. Hinzu kommt, dass ein solches Thema auch die Sicherheit aller betreffen würde. Was Amateure in Prototypen anrichten können, hat man wunderbar beim Sebring-Rennen der USCC erleben dürfen. So etwas kann doch niemand wollen. Schon gar nicht in einer Weltmeisterschaft.

Ryan Dalziel

2012 der große Klassensieger in Le Mans: Vicente "Enzo" Potolicchio Zoom

Der ACO hat ganz richtig erkannt, dass die Fahrereinstufungen durchaus eine Therapie zur Genesung der LMP2-Klasse darstellen könnten. Aber es ist sicherlich nicht das Allheilmittel. Man selbst hat in der Vergangenheit einige Fehler bei diesen Einstufungen gemacht. Wie konnte es passieren, dass ein Alex Brundle einige Zeit lang Silber-Status hatte? Umgekehrt kann auf Grundlage der aktuellen Liste ebenso festgehalten werden, dass nicht alles glänzt, was Gold ist. Da muss man nachbessern.

Die Signale wurden nicht erkannt

Die Verantwortlichen des ACO sollten allerdings nicht nur die Symptome behandeln, sondern tatsächlich die Krankheit angehen. Die Wurzeln des Übels in der LMP2-Klasse sind eindeutig die viel zu hohen Kosten. Die LMP1 den Werken, die LMP2 den Privatiers - so war es gedacht. So ist es aber nicht. Denn die Nicolets, Potolicchios und Perez Compancs dieser Welt hinterfragen trotz ihrer umfangreichen finanziellen Mittel immer auch den Nutzen. Das Verhältnis stimmt in der WEC einfach nicht.

Für den Einsatz eines einzigen LMP2-Autos in der Langstrecken-WM muss man mindestens zwei Millionen Euro pro Jahr rechnen. Wer sportliche Ambitionen hat und sich erfahrene Profis an die Seite holt, der liegt schnell weit darüber. Luis Perez Companc ließ sich sein LMP2-Abenteuer mit Pecom satte fünf Millionen Euro kosten. "Das ist es mir nicht mehr wert", sagt der Argentinier, der nun den Einsatz eines Ferrari in der GTE-Am-Klasse finanziert. "Ist nicht ganz so schnell, aber kostet halt auch weniger", meint der Geschäftsmann, der seine Lust auf Tempo im privaten Ferrari-Formel-1-Auto immer wieder befriedigt.

Redakteur Roman Wittemeier findet: WM-Titel für die LMP2, Kosten herunter Zoom

Hohe Kosten bei null Aufmerksamkeit - das ist das Kernproblem der LMP2-Klasse. Wenn die Kosten sinken, das Starterfeld wieder wächst und schöner Wettkampf entsteht, dann rückt die LMP2-Klasse ganz automatisch mehr in den Fokus. Die Chassis und Motoren unterliegen in der kleinen Klasse einer Kostenbegrenzung. Die Ersatzteile und Reifen sind hingegen sehr teuer, von der Logistik ganz zu schweigen.

Wo die Sparpotenziale liegen

Wer in der LMP2-Klasse der WEC ein Auto einsetzen möchte, muss über 400.000 Euro für Nennung und Frachtkosten überweisen. Als Gegenleistung gibt es den Transport des Equipments, die Organisation, die Zeitnahme und das Benzin. Da hat sich noch kein Rad gedreht. Seit 2013 kleben auf allen Autos Aufkleber vom WEC-Logistikpartner DHL. Warum wird das Geld aus diesem Deal nicht für die Unterstützung der kleinen Teams genutzt? Dort muss dringend Hilfestellung geboten werden.

Ich habe mir von erfahrenen LMP2-Teams mal ein paar Zahlen geholt. Diese Werte, die allesamt die untere Grenze darstellen, machen greifbar, wo die Probleme der WEC liegen. Für ein Fahrzeug muss kalkuliert werden: 150.000 Euro für Motorenleasing und -revision, 210.000 Euro für Reifen, 600.000 Euro für Fahrzeugteile, 200.000 Euro für Flüge, Miewagen, Hotels, Visa und Catering des Teams. Dies zusammen mit den Nenn- und Logistikgebührengebühren macht allein schon über 1,5 Millionen Euro! Für ein einziges LMP2-Auto!

Die WEC ist insgesamt im Aufschwung. Gleichzeitig steigen die Möglichkeiten für Einnahmen. DHL ist an Bord, Tudor neuer Seriensponsor und der Verkauf der TV-Rechte sowie die Paywall im Internet und die Vermarktung der neuen App sollten Geld in die Kassen spülen. Diese Mittel müssen dringend zur Unterstützung der kleinen Klassen verwendet werden. Und, liebe WEC-Macher, vergebt endlich auch in der LMP2-Klasse einen Titel. Warum gibt es in einer WM dort keinen Weltmeister?


Fotostrecke: Au revoir, Pescarolo Team

Der 2012er-LMP2-Champion Enzo Potolicchio ist leidenschaftlicher Racer. Der Geschäftsmann aus Venezuela, der seit vielen Jahren in den USA lebt und auch dort Motorsport betreibt, fährt - ebenso wie Luis Perez Companc - nun in einem GTE-Am-Ferrari. Potolicchio will dringend zurück in die LMP2-Klasse. Er hat einen neuen Ligier bestellt, den er 2015 wohl nicht in der WEC, sondern in der ELMS oder USCC einsetzen wird - sehr schade darum. Hoffentlich wird sich die Situation bald zum Guten wenden!

Viele Grüße und bis bald,

Roman Wittemeier