powered by Motorsport.com
  • 11.04.2014 17:17

  • von Roman Wittemeier

Achtung Hochspannung: Sicherheit der Hybridsysteme

Die umfangreichen Hybridsysteme in den aktuellen LMP1-Autos arbeiten mit Spannungen von bis zu 700 Volt: Systeme werden automatisch überwacht

(Motorsport-Total.com) - Mit der Energie eines voll aufgeladenen 6MJ-Hybridsystems im Toyota TS040 kann man einen Toyota Aygo 60 Meter hoch in die Luft feuern. Mit dieser klaren Ansage, die später sogar nach oben korrigiert wurde (man könnte den Aygo zwölf Mal 60 Meter hoch feuern), haben die Japaner die geballte Ladung an Power in ihrem neuen Le-Mans-Auto sehr plakativ und greifbar dargestellt. Durch solche Aussagen versteht jeder, was im Hybridsektor geleistet wird - und wie viel Energie darin steckt, die es zu bändigen gilt.

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz, Kazuki Nakajima

An den LMP1-Autos darf nur gearbeitet werden, wenn der Hybrid auf Grün steht Zoom

Die Sicherheit der Hybride ist spätestens seit 2008 ein großes Thema. Im Juli jenes Jahres bekam ein BMW-Formel-1-Techniker bei Testfahrten in Jerez einen Stromschlag. Die Bilder von dem niedergestreckten Mechaniker gingen um die Welt. Man zog damals Konsequenzen: erweiterte Sicherheitssysteme, alle Streckenposten mit Gummihandschuhen und Fahrer, die beim Verlassen ihres Autos niemals Boden und Fahrzeug gleichzeitig berühren dürfen.

Bis heute sieht man die Grand-Prix-Stars im Falle eines Falles im hohen Bogen springen. "Hat man in den vergangenen Jahren mal einen unserer Fahrer aus dem Auto im hohen Bogen springen sehen?", fragt Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich amüsiert. "Die werden auch in Zukunft nicht springen. Das liegt an der Vorgabe, dass das Auto bei Unfall oder Ausfall in einen Zustand schalten muss, dass es keine Gefahr geben kann, wenn ein Fahrer oder Marschall gleichzeitig Auto und Boden berührt", erklärt der Österreicher.

Keine Gummihandschuhe nötig: Lampen informieren über Status

"Wir haben der Sicherheit unseres Hybridsystems große Aufmerksamkeit geschenkt. Da geht man natürlich keinerlei Risiken ein", sagt Porsche-LMP1-Technikchef Alexander Hitzinger. "Es gibt Sicherheitssysteme an Bord. Das Reglement gibt auch klare Richtlinien vor", so Toyota-Chefentwickler John Litjens. "Wenn gewisse g-Kräfte auftreten, dann muss das System automatisch abschalten. Bleibt man unter diesem Grenzwert, dann bleibt es an."

"Sollte aber etwas nicht stimmen, dann starten sofortige Schutzmaßnahmen", schildert Audi-LMP1-Entwickler Wolfgang Appel. "Wir haben hohe Spannungen an Bord und höchsten Respekt davor. Wenn du bei Gleichstrom einmal an diese Hochvolt-Leitung kommst, dann hast du als Mensch keine Chance. Da kommst du nicht mehr weg, dann ist es vorbei. Bei Wechselstrom im Haushalt kannst du durch ein Zucken noch wegkommen, aber bei Gleichstrom zuckst du nicht mehr. Mit diesem Wissen im Hinterkopf geht man natürlich sehr sorgsam mit dem Thema um."

In den LMP1-Fahrzeugen von Audi, Porsche und Toyota erreicht man Gleichstrom-Spannungen von bis zu 700 Volt. Da steckt reichlich Dampf drin. Die Systeme sind bei allen drei Herstellern mehrfach abgesichert. In Notfall werden Flywheel (Audi), Lithium-Ionen-Batterie (Porsche) oder Superkondensator (Toyota) komplett vom Hybrid-Bordnetz getrennt getrennt. Bei Boxenstopps signalisieren Lichter den jeweiligen Zustand des Hybrids.


Stromschlag in Jerez: KERS-Unfall 2008

"Wir haben uns viele Gedanken gemacht. Da fasst niemand etwas an, bis nicht das entsprechende 'Go' gekommen ist", erklärt Appel. "Beim Boxenstopp kann man das System nicht stromlos machen, weil es hoch aktiv ist. Wir verlassen uns auf unsere Stromüberwachung, die im Fahrzeug redundant vorhanden ist. Es wird immer zwischen Stromleitung und Schirmung das Potenzial überprüft, also ob dort ein Elektronenabfluss erfolgt. Nur wenn es auf Grün steht, ist alles okay."

Davidson-Crash 2012: Hybrid lief weiter

"Wir haben einen Vorteil. Wir verwenden einen Drehmassenspeicher, ein Flywheel. Wenn man am Morgen zum Auto kommt, dann steht das Ding. Es ist dann komplett entladen, das System stromlos", beschreibt der Audi-Ingenieur. Bei der Konkurrenz dürfen die Mechaniker nicht schlaftrunken und unachtsam ans Auto fassen. "Wenn man Batterien oder Kapazitoren benutzt, dann ist immer Spannung im Auto. Das war auch mit ein Grund, warum wir uns damals für den Weg mit dem Flywheel entschieden haben."

Am Rande: Der Drehmassenspeicher mag schwerer sein, aber er hat einen weiteren großen Vorteil. Aufgrund der stark reglementierten und aufwändigen Transporte von Lithium-Ionen-Battieren kommen auf Porsche bei Luftfracht nach Übersee deutlich höhere Kosten zu. Zurück zum eigentlichen Thema: Die Sicherheitssysteme in den LMP1-Autos sind dermaßen ausgeklügelt, dass man vollstes Vertrauen in die jeweilige Statusanzeige haben darf. "Wenn nichts Auffälliges passiert, dann bleibt es an", sagt Toyota-Entwickler Litjens.

"Mal ein Beispiel: Nach dem Crash von Anthony Davidson in Le Mans 2012 war das System noch aktiv", erklärt der Niederländer und sorgt damit sicherlich für ungläubiges Kopfschütteln. "Der Einschlag war heftig, aber die Elektronik hat das Hybridsystem angelassen, weil tatsächlich noch alles in Ordnung war. Das ist schon richtig robust gebaut. Wir machen da auch spezielle Crashtests, fahren quasi mit 60 g gegen eine Wand." Übrigens: Toyota-Pilot Alexander Wurz springt manchmal doch im hohen Bogen. "Ist er vielleicht aus der Formel 1 so gewöhnt. Nötig ist das nicht", lacht Litjens.